6
Jun
2009

Unheimlicher Strand

Manche Momente sind so intensiv, so beinahe unwirklich real, dass ich sie nie mehr vergesse. Sie müssen nichts besonderes bedeuten. Doch starke Sinneseindrücke und so viele Geistesblitze treffen in diesen Augenblicken in meinem Kopf aufeinander, dass sie mir im Gedächtnis haften bleiben wie ein Brandloch in einem T-Shirt.

Einen solchen Moment erlebte ich, als ich am Strand von Maden auf den Auslöser drückte, um dieses Bild zu machen:

Tahtali dagi

Es zeigt den Tahtalı, den berühmtesten Berg von Lykien. An schönen Tagen sieht man auf seiner Ostflanke auch den Mast der Seilbahn, die hinaufführt. Mir fiel beim Anblick jenes Masts jedes Mal der Mann ein, der die Bahn gebaut hat. Er setzte sich mit dem Bauwerk ein Denkmal - und verlor bei der Errichtung seinen Sohn, der am Berg abstürzte.

Eine Tragödie, die perfekt ins Land von Mausolos und Midas passt.

Auf diesem Bild ist der Mast unter der Wolke an der rechten Bergflanke verborgen. Das Wetter hatte vor kurzer Zeit umgeschlagen. "Auf dem Tahtalı regnet es vielleicht schon", sagte ich. "Ich finde, so sollte man ihn fotografieren! Die meisten anderen Touristen sehen ihn ja bloss bei Sonnenschein!" Ich legte gerade den Finger auf den Auslöser meiner Kamera, als ich selber die ersten Regentropfen spürte.

"Komm, wir stehen im Container unter!" rief Acqua und lief los. Ich stellte noch scharf, drückte auf den Auslöser.

Dann folgte ich ihr.

Der Container. Er war ein Transportbehälter für Laswagen oder Schiffe und stand einsam am einsamen Strand von Maden, der einzige Unterstand weit und breit. Wie von Gottes Hand eigens hingestellt, damit wir zwei Genusswanderinnen trocken blieben.

Der Strand von Maden. Er liegt zwei Stunden Fussmarsch von Çıralı. Aber er könnte auch in einem Traum vorkommen. Oder einem Alptraum, ich bin mir nicht ganz sicher. Denn eigentlich ist er ein Prachtsstrand. Mindestens einen Kilometer lang, aus grauschwarzem Sand und Kies. Dahinter zartgrüne Wiesen. Und dahinter Pinienwälder und Berge.

Baden aber hätte ich hier auch bei idealen Wassertemperaturen nicht wollen. Denn Menschen haben dem Idyll unübersehbare Schäden zugefügt: eine verlassene Chrom-Mine am Westende des Strandes. Kleine Lagerhütten einer Fischfarm am Ostende. Die kreisförmigen Gehege der Farm hatten wir von oben weit draussen auf dem Meer gesehen. Bei den Baracken selber wohnte auch eine hungrige Hundesippe, die mich an jene von Pamukkale erinnerte. Und irgendwo in der Mitte lagen zwei grosse, tote Fische am Strand. Und dahinter, auf der ersten Düne, stand unser Container.

"Die gute Nachricht ist: Es stinkt hier nicht nach Pisse", sagte Acqua, als ich zu ihr in den Container traf. Sonst lag allerhand Unrat in dem Kasten: eine rostige Kette, klumpiger Staub. Aufrecht standen wir da und warteten, bis der Regen aufhörte.

Nach zehn Minuten war es soweit. Wir machten uns auf den Weg zurück nach Çıralı. Die Sonne brach bald wieder zwischen den Wolken hervor.

Erst in Çıralı fanden wir knöcheltiefe Regenpfützen vor. Hier musste es den halben Nachmittag geregnet haben.

4
Jun
2009

Ehrgeizige Pläne abgespeckt

Vielleicht habt Ihr Euch schon gefragt, weshalb wir überhaupt in die Gegend westlich von Antalya fuhren. Nun: In der Region, die Lykien heisst, kann man gut wandern. Acqua und ich hatten uns sogar ziemlich viel vorgenommen. Wir wollten einen Teil des Lykischen Wegs absolvieren, eines Fernwanderwegs, der zwischen Fethyie und Kemer der Küste entlang führt.

Gut ausgerüstet mit diesem Buch von der Engländerin Kate Clow, begannen wir, ehrgeizige Pläne zu schmieden. Noch vor unserer Abreise wichen wir jedoch von unseren hochfliegendsten Träumen ab: Wir beschlossen, kein Zelt mitzuschleppen. Wir wollten nur dort wandern, wo es auch Pensionen gab.

Dann kamen wir auf die Idee, erst einmal eine Art Basislager in einer Pension an der Strecke einzurichten. Übernachten wollten wir dort nicht oft. Wir wollten es hauptsächlich als Depot für unser überflüssiges Gepäck benützen. Wir entschieden uns, glückliche Fügung, für Çıralı als Basislager. Schlafen wollten wir dort nur drei Nächte.

Doch schon bald änderten wir unsere Pläne wieder. Denn wir stellten fest:

- In der Nähe von Çıralı gibt es in jeder grösseren Bucht eine antike Stadt, die es gebührend zu bewundern gilt.

olympos, turkey
Hier etwa das römische Bad von Olympos, wo die antiken Ruinen gewissermassen aus dem Dschungel aufsteigen.

- An den Wanderwegen zwischen den Buchten liegen zahlreiche Küstenvorsprünge. Hat man sie erstiegen, so MUSS man einfach stehenbleiben, begeistert von der Aussicht sein und ein Foto machen (oder auch zwei).

View on the Coast of Lycia

- Wegen der vielen Küstenvorsprünge, die man auf so einer Wanderung erklimmt, erleidet man erheblichen Höhenmeterdiebstahl.

- Acqua liess es sich nicht nehmen, auch auf Wandertouren hie und da eine Schwimmpause einzulegen. Wie sie die Wassertemperatur in unserer ersten Woche aushielt, ist mir bis heute ein Rätsel.

- Kate Clow's Buch enthält zwar eine relativ detaillierte Karte. Doch die hat keinen Massstab. So stellen wir bald fest: Es ist beim Wandern in der Türkei wie beim Busreisen in der Türkei. Ist alles immer ein bisschen weiter als man denkt!

So blieben wir schliesslich sechs Nächte in Çıralı. Die Tage dazwischen verbrachten wir durchaus mit Wandern (die meisten). Aber wir verabschiedeten uns von unseren ehrgeizigen Plänen und verlegten uns aufs Genusswandern.

Übrigens: Falls Ihr Euch gefragt habt, weshalb es mit meinem Lykien-Epos erst nach einer Woche weitergeht: Die Erinnerung an das Paradies hat meine Gedanken in solche Harmonie versetzt, dass ich nicht wusste, wie ich weitermachen sollte. Das ist mir noch nie passiert, ehrlich!

31
Mai
2009

Blasierte Mädchen

Gestern habe ich an Redder gedacht. Redder ist ein ausgezeichneter Blogger aus Zürich. Was mich manchmal bei ihm nachdenklich macht, ist allerdings die Tatsache, dass er Frauen oder Mädchen meist als "Griiten" bezeichnet. Dieses Wort ist wahrscheinlich eine Abkürzung von "Margrit"*. In meinem Dialekt bezeichnet es blasierte Schönheiten, die Männer anmachen, um sie dann mit einer Abweisung zu demütigen. Redder braucht das Wort "Griite" für alle Frauen, deshalb bin ich mir nicht sicher, ob es in seinem Dialekt dasselbe bedeutet. In meiner Welt sind nämlich die wenigsten Frauen "Griite".

Aber gestern habe ich eine "Griite" gesehen: Marie-Christiane, meine Nicht (fast 8). Bevor Ihr jetzt schlecht über Marie-Christiane denkt, muss ich es sagen: Sie ist ein wunderbares Kind. Sie ist lieb zu ihrer kleinen Schwester Carina (fast immer), hat die beste Phantasie von allen Kindern und ist, auch das muss in diesem Zusammenhang gesagt sein, bildschön. Sie ist gross für ihr Alter und schmal und tanzt Ballett. Sie bewegt sich so grazil wie ein perfekter, neuer Caran d'Ache-Bleistift in der Hand eines Meisterzeichners.

Gestern spielten wir zu Dritt sicher eine Stunde lang Fangen in verschiedenen Rollenspielen. Wir rannten und quietschten. Die kleine Carina rannte und quietschte mit. Dann war ich der Taschendieb und Marie-Christiane die Dame mit dem Perlencollier. Sie holte sich eine Kette mit Plastikperlen und eine Handtasche, stieg in die zierlichen Stöckelschuhe von Omama Ottokar. Ein Stofftier in der Tasche erklärte sie zu ihrem Handy. Und plötzlich wurde alles anders.

Sie stöckelte ihre Mähne schwingend davon bis zum Ende des Gartens. Sie war plötzlich eine Unbekannte. Beim Baum blieb sie stehen und wurde ein extrem angeödeter Teenager. Total blasiert. Sie zückte ihr Handy aus Stoff und rief ihren Freund an.

Ich war richtig verstört. "Wo hat sie bloss dieses Gesicht her?" dachte ich. "Griite" war das einzige Wort, das mir einfiel.

Ich musste an Redder denken.

Ob es daran liegt, dass dieses Mädchen den grössten Teil seiner Kindheit in Zürich verbracht hat?

Dann bliebe eigentlich nur noch die Frage, was Zürcher an "Griiten" so toll finden.

* behauptet Hobbylinguistin Frogg

26
Mai
2009

Das Paradies hat einen Namen

Es heisst Çıralı. Aber versucht gar nicht erst, den Namen des Paradieses auszusprechen! Was haben Türken uns ausgelacht, korrigiert oder einfach nicht verstanden, wenn wir "Çıralı" sagten! Dabei haben wir es genau so ausgesprochen, wie es uns der Sprachführer beigebracht hatte, nämlich "Tscherale" oder "Tschöralö". Das "ı" sprachen wir aus als "kurzes, dumpfes 'i', fast wie das 'e' in 'machen'" (so mein Sprachführer). Doch das schien ganz falsch zu sein. Was die Türken so anders machten als wir, wenn sie "Çıralı" sagten? Das hat Frau Frogg aber auch nicht wirklich verstanden, auch wenn sie genau hinhörte. Da Frau Frogg aber einmal Linguistik studiert und sich für Phonetik interessiert hat, ist sie der Sache nachgegangen. Sie hat festgestellt: Das türkische "ı" ist ein sogenannter geschlossener, ungerundeter Hinterzungenvokal, phonetisch geschrieben ein [ɯ]. Aber das bringt Frau Frogg, mittlerweile Hobbylinguistin, ehrlich gesagt, auch nicht weiter. Und im Moment fällt mir herumturnen mit der Zunge im Mund sowieso schwer: Ich war gerade beim Zahnarzt, und er hat mich unebittlich gequält.

Wenden wir uns dem Paradies also zu, ohne es beim Namen zu nennen. Wir erreichten es am Montag, 4. Mai, nachmittags. Es handelt sich um ein Dorf in einer Bucht rund 80 Kilometer südwestlich von Antalya. Die Gegend ist bemerkenswert naturbelassen. Und sie hat durchaus muslimische Züge: Ihre Schönheit wehrt sich gegen eine bildliche Darstellung. Oder lag es nur an meiner mangelnden Könnerschaft als Fotografin? Ich habe getan, was ich konnte. Und doch schien es mir fast unmöglich, die Wirkung des Ortes bildlich festzuhalten. Hier ein paar wenige Impressionen.

lykien 09 028 lykien 09 031 lykien 09 010 lykien 09 025

Aber ich konnte das Paradies riechen. Es roch nach Pinienwäldern und Meer, nach Rosen und Jasmin und nach glücklichen Hühnern.
Ich konnte es hören: Im nahen Fluss quakten die Frösche, der Wind raschelte in den Blättern und in unserem Zimmer hörten wir die Brandung auf den Kiesstrand donnern. Und am Abend im Restaurant am Meer konnte es schon mal vorkommen, dass wir unter unserem Tisch ein merkwürdiges Geräusch hörten. "Das klingt wie eine kotzende Katze", sagte Acqua. Und es war eine kotzende Katze. An jedem anderen Ort auf der Welt hätte die Frogg einen Zustand bekommen. Aber nicht hier. Hier hatte sogar eine Katze mit Brechreiz unter meinem Restaurant-Tisch Platz. Easy.

Und wir selber sahen das Paradies natürlich: Den gewaltigen Strand. Die zartgrünen Wiesen dahinter, in denen die Bauernfrauen aus der Nachbarschaft abends wilde Kräuter pflückten. Die riesigen Pinienwälder. Die Rosensträucher in unserem Garten, all die Katzen und Hunde und Frösche.

Ich bin ja sonst eher misstrauisch, wenn ich beim Reisen im Paradies lande. Aber diesmal gab ich mich dem Glück, an einem so schönen Ort zu sein, einfach hin.

23
Mai
2009

Antalya: Frühstück im Regen

Unsere erste Nacht in Antalya verbrachten wir in einem preisgünstigen Stadthotel. Ihr werdet diese Sorte Hotel kennen: In den Zimmern kann man sich gerade so umdrehen, wenn man sich dabei nicht zu breit macht. Im Bad wackelt die Klobrille, der Wasserhahn spinnt und die Druckvorrichtung des Seifenspenders fällt ab, wenn man sie drückt. Und puncto Sauberkeit ist man nicht unglücklich über eine leicht verminderte Sehfähigkeit. Ich hätte in dem Haus meine zwei, drei Nächte verbracht und es dann vergessen. Wenn da nicht der hübsche Garten mit den Orangenbäumen, dem Swimming Pool und der Bar gewesen wäre.

"Hier werden Sie morgen frühstücken", sagte der Mann von der Réception vergnügt, als er uns durch den Garten in unsere Zimmer führte.

Wir genehmigten uns einen Schlummertrunk. Dann legten wir uns ins Bett. Dann begann es draussen zu regnen.

Das Fenster unseres Zimmers war geöffnet. Schliesslich waren wir in der Südtürkei, und es war Anfang Mai. Ich lag in der Dunkelheit und lauschte auf das sachte, helle Rauschen da draussen. Nun ist die Frogg ein Voralpenkind und kennt, weiss Gott, den Regen. Eigentlich gab es für sie keinen Grund, zu horchen und zu staunen. Das war nichts weiter als ein leichter Landregen. Und doch war es ein besonderer Regen. Mein erster Regen in der Türkei. Regen, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. Die Regensaison war doch vorbei! Und warum hätten ausgerechnet wir von den durchschnittlich drei Regentagen, die die Statistik für den Mai in Antalya ausweist, einen bekommen sollen?! Noch dazu in unserer ersten Nacht?! Doch es war Regen. Ein leichter Regen, der ohne giftigen Wind kam und die Luft lau liess.

Gegen Morgen wurde er heftiger. Als wir aufstanden war er zum klebrigen Dauerregen mit eingestreuten heftigen Schauern geworden. Draussen im Garten tropfte alles. Auch die Orangenbäume. Das Frühstücksbuffet stand dennoch am Pool, unter einem Vordach. Die ersten Gäste der Saison hielten schützend die Hand über ihre Brotkörbe, wenn sie sie von Vordach zu Vordach trugen.

antalya regen"
(Bild von Acqua)

Der Barmann freute sich. "Endlich regnet es", sagte er. "Es hat den ganzen Winter nie genug geregnet!"

Als wir ins Zimmer zurückgingen, hatte ich nasse Füsse. Als wir mit dem Taxi zum Otogar von Antalya fuhren, hagelte es sogar kurz.

Dann blieb es zwei Tage wechselhaft.
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