21
Mai
2009

Seltsamer Betriebsausflug

Kollege Eisenherz und die Frogg sitzen im Thermalpool. Laues Wasser umfächelt uns. Wir plaudern seit mindestens einer halben Stunde so intensiv wie wir in bald zehn Jahren Kollegenschaft nicht geplaudert haben. Irgendeine Unterwasserdüse hat gerade aufgehört, mit ihrem Gesprudel fröhlich quietschende Kinder an uns vorbeizutreiben. Da sagt er: "Weisst Du, wenn Du mich fragst, war das erst der Anfang."

Für einen Moment ist es, als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben. Denn Eisenherz meint die Kündigungwelle, die während meiner Ferien über unseren Betrieb gegangen ist. Mittlerweile wissen wir, welche unserer Kollegen sie mit sich gespült hat. Wir haben eine Wirtschaftskrise. Der Inseratemarkt ist zusammengebrochen. Und, sagt Eisenherz: "Jetzt werden doch überall immer mehr Leute arbeitslos. Wenn die ihre nächste Aborechnung bekommen, überlegen sie sich gut, ob sie noch eine Zeitung brauchen oder nicht."

Er hat zweifellos Recht.

Da sitzen wir, mitten in einer wahnwitzig schönen Landschaft. Die Sonne scheint uns wie irr ins Gesicht. Wir reden weiter, noch viel länger. Uns trennen so viele Dinge, dass es ein Wunder ist, dass wir uns so gut verstehen.

Dem Buffet später spreche ich mit aussergewöhnlichem Genuss zu. Wir Kollegen begegnen uns mit einer neuen Art von Freundlichkeit. Keiner von uns weiss, wo er in einem Jahr sein wird.

19
Mai
2009

Rasender Taxifahrer

Ich möchte hier keineswegs behaupten, alle türkischen Chauffeure seien Raser. Im Gegenteil: Ich bin in der Türkei schon Hunderte Kilometer Taxi, Dolmuş und Bus gefahren - über Bergstrecken und im Stadtverkehr, bei Tag und Nacht. Nur wenige Male hatte ich Grund, mir Sorgen zu machen. Aber der Kerl, der uns vom Flughafen Antalya ins Stadtzentrum fuhr, jagte mir Todesangst ein.

Wir hatten einen Fixpreis mit ihm ausgemacht - und er schien die Strecke in der im Preis verrechneten Richtzeit zweimal zurücklegen zu wollen. Er donnerte mit Vollgas bei Rot über Kreuzungen, weil er gar nicht hätte bremsen können. Standen Autos vor ihm, bremste er erst, wenn ich es im Geiste schon knallen hörte. Damit es nicht knallte, wechselte er im letzten Moment die Spur. Dass er dabei ein paar Sicherheitslinien überfuhr? Völlig irrelevant für ihn. Und natürlich hockte er jedem auf die Stossstange, der sich vor ihm auf die Überholspur wagte.

Ich fand ihn eine Zumutung für alle anderen Verkehrsteilnehmer und sah mich sterben, und das in unserer ersten Nacht in Antalya! Und wie es so ist, wenn man seinen Tod unmittelbar vor sich glaubt: Mein Bewusstsein veränderte sich. Nein, es war nicht so, dass mein Leben an meinem geistigen Auge vorbeizog. Ich begann bloss zu denken. Und ich beobachtete mich dabei selber wie in einem glasklaren Spiegel. Ich erinnere mich noch an jeden meiner Gedanken. Ich dachte an Orhan Pamuk, der den Bruch von Verkehrsregeln als nationalistischen Akt beschrieben hat. Für manche sei er Ausdruck für eine "eine antiwestliche 'Verfeinerung", eine Lebensart, die besagte, dass unsere alte Welt noch immer Bestand hatte und sogar ein Nationalismus des: 'Wir sind die, die wir sind.'" Laut dem Nobelpreisträger "steckte auch die Sehnsucht dahinter, sich an unsere eigene praktische Geschicklichkeit gegenüber einem Westen zu erinnern, dessen Überlegenheit in Technologie, Kultur und Organisation im täglichen Leben überall zu spüren war."* Und derweil ich mit diesem vermaledeiten Taxifahrer durch die Nacht von Antalya raste, glaubte ich plötzlich diesen Raser und auch die Raser der Schweiz zu verstehen (auch wenn ich ihr Verhalten in keinster Weise billige). Rasen als Akt der Selbstbehauptung in einer Welt, in der man als minderwertig dazustehen glaubt. Wie einleuchtend!

Doch ich war nicht bereit, für diese Erkenntnis zu sterben! Verstohlen studierte ich das Gesicht unseres Taxifahrers. Erleichtert stellte ich fest, dass er die 30 überschritten haben musste. Er hatte seinen eigenen Fahrstil also bereits um die 10 Jahre überlebt. Da bestanden für uns auch noch Chancen.

Ich erwog, ihm einen Aufpreis anzubieten, damit er langsamer fuhr. Aber meine Begleiterin Acqua fasste später in Worte, was ich zu dieser Idee nicht dachte, sondern nur ahnte: "Damit hättest Du ihn wohl in seinem Stolz verletzt." Und wir beide waren sicher, dass das nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hätte.

So blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu beruhigen. Wir überlebten denn auch den Höllenritt.

Und unser nächster Taxichauffeur fuhr uns mustergültig durch einen Hagelschauer auf der Schnellstrasse.

*Orhan Pamuk: "Der Blick aus meinem Fenster", Frankfurt am Main, 2008, S. 62.

17
Mai
2009

Adieu Antalya!

ampool Gestern Morgen nach frühstückten wir an diesem Swimming Pool im Garten unseres Hotels. Der Himmel war blau. Die Luft war auch am Schatten so warm wie ich es liebe. Das kühle Lüftchen vom Swimmig Pool her erfrischte angenehm. Endlich, endlich hatte die Sonne der Türkei die letzten Reste helvetischen Winter aus meinen Knochen vertrieben.

10 Tage lang hatte ich nicht an die Schweinegrippe gedacht; nicht an die Finanzkrise, nicht an Peer Steinbrück, nicht an zu hohe Krankenkassenprämien, nicht an die marode Schweizer Armee, die marode Invalidenversicherung und nicht an einen einzigen meiner Kunden und Kontaktpersonen.

Wir sassen am Pool und nahmen zum letzten Mal Gurken und Tomaten zu uns - in einem Land, in dem man gut und gerne dreimal am Tag Tomaten und Gurken isst. Und es irgendwie doch immer wieder geniesst.

Die Türkei ist ein schönes Land. Antalya eine schöne Stadt. Es stimmt: Sie ist eine Destination für alle Pauschaltouristen, die sich Ferien an den Stränden der EU nicht leisten können oder wollen. Aber sie und ihre Umgebung hat auch entdeckungsfreudigen Zeitgenossen ebensoviel zu bieten wie Italien oder Spanien. Plus eine irgendwie westliche und irgendwie doch ungeheuer fremde Kultur.

Wir tranken unseren letzten Schluck Tee. Dann gingen wir packen. Später sass ich wieder am Pool und wartete auf Acqua. Als sie kam, hatte sie gerade irgendwo ein paar Fetzen Nachrichten gesehen. "Weisst Du was?! die Schweinegrippe ist in der Türkei!" rief sie mir zu (auf Türkisch!).

Da waren die Ferien vorbei.

Gestern Abend landete unser Flugzeug in Zürich-Kloten. Auch hier war der Himmel blau. Aber hier hat der Himmel immer einen kühlen, businessmässigen Stich ins Graue. Auch wenn er blau ist. Ganz anders als am Mittelmeer.

Deshalb möchte ich auf meinem Blog gerne noch ein Weilchen in Erinnerungen schwelgen. Ob wieder ein umfassendes Türkei-Epos draus wird, weiss ich noch nicht. Aber wir werden sehen.

3
Mai
2009

Auf Wiedersehen!

So. Heute kurz vor 19 Uhr geht unser Flug. Acqua und ich machen uns auf nach Antalya. Wie immer reise ich mit möglichst wenig Gepäck. Meinem Laptop nehme ich nicht mit. Ob ich überhaupt über die Reise schreibe, werdet Ihr also erst in zwei Wochen erfahren.

Für alle, die unterdessen doch gern etwas von mir lesen möchten hier Frogg's Favourites von meiner letzten Türkei-Reise im Juni 2008:


Fussball in Istanbul

Hochzeit auf Türkisch Çanakkale

Der beste aller Kellner (Kuşadası)

Die Bestien von Pamukkale

Die Stadt der Liebe (Bodrum)

Bevor ich gehe, muss ich noch schnell 134 Sachen erledigen. Deshalb sage ich jetzt nur noch: Güle Güle!

P.S.: Was natürlich falsch ist: "Güle güle!" sagt derjenige der bleibt - nicht derjenige der geht. Aber irgendwie stimmt es trotzdem: Denn mein Blog bleibt hier, und ich freue mich, wenn ihr wiederkommt in zwei Wochen!

2
Mai
2009

Tamiflu-Hysterie

In den letzten Tagen habe ich mir ernsthaft überlegt, ob ich auch in Tamiflu-Hysterie verfallen sollte. Ja. Ihr lacht jetzt. Ach, Frau Frogg, die grün angemalte Angsthäsin, die Hypochonderin, denkt Ihr! Aber ich kann Euch sagen: Ich erinnere mich ungern daran, was die letzte Grippe mit meinem Gehör gemacht hat. Seither falle ich in Alarmbereitschaft, wenn ich das Wort Grippe nur schon höre. Und ich lasse mich Jahr für Jahr impfen.

Ich fürchte Grippen nicht so sehr, weil sie vielleicht töten. Nein. Ich fürchte sie, weil sie taub machen können. Jedenfalls mich.

Also spielte ich mit dem Gedanken, meinem Hausarzt auf die Pelle zu steigen und ihm so ein Tamiflu-Rezept auszureissen. Schliesslich reise ich ja morgen in die Türkei. Und wer weiss, ob unser erster Anlaufsort Çıralı überhaupt einen Arzt hat. Und ob dieser Arzt im Notfall Tamiflu hat. Und ob er Deutsch, Englisch oder Französisch versteht. Kumpel Fröhlich hat mich zwar ausgelacht und mir Anfang Woche einen Link geschickt: Da konnte ich nachschauen, ob das Virus die Türkei schon erreicht hat. Dann hat er gönnerhaft gelacht und gesagt: "Siehst Du?! Ein Fall in Israel. Mehr nicht! Aber ich verstehe Dich: Die Türkei liegt ja so nahe bei Mexiko!" Die Frogg liess ihm das Vergnügen, setzte dann ihr verschmitztes Lächeln auf und sagte weise: "Warts ab, Fröhlich, warts ab!" Inzwischen schickt er mir keine Links mehr. Er hat zu viel zu tun. Schweinegrippe kann eine schon von der Wirtschaftskrise angekränkelte Newsredaktion ganz schön auf Trab halten.

Die Newsredaktionen hierzulande trugen ihr Übriges dazu bei, dass die Frogg an den Rand einer Tamiflu-Hysterie geriet. Ich meine: Da heisst es immer und überall, das Medikament sei nur gegen Rezept zu haben. Und die Ärzte würden nur bei Leuten, die viel reisten, Rezepte ausstellen. Und doch gibt es bereits Lieferengpässe. Die Apotheker scheinen das Zeug zu verkaufen wie warme Weggli. Also: Was ist hier los? Wohnen tatsächlich so viele globale agierende Geschäftsleute in unserem Land? Oder sollten sich vielleicht auch einfache Türkeireisende vorsichtshalber eindecken - weil sie sonst im Notfall zu den Gelackmeierten gehören? Nun ja, kein Apotheker wird es einem Journalisten erzählen. Aber wissen würde ich es trotzdem gern. Es könnte mein Gehör retten.

Aber am Schluss bin ich meinem Hausarzt dann doch nicht auf die Pelle gestiegen. Ihr wisst ja, wie das ist: Man hat immer so viel zu tun vor einer Reise. Und es schien mir dann alles doch ein wenig übertrieben.
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Journal einer Kussbereiten

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