14
Mrz
2009

Krise als Lifestyle - widerlich

Damit wir uns richtig verstehen: Ich finde das Magazin des Tages-Anzeigers noch immer etwas vom Besten, was man hierzulande am Wochenende zu lesen bekommt. Aber wie das "Magi" die "Krise" zum Lifestyle macht, macht mich wirklich tobsüchtig.

Zum Beispiel der erste Satz im aktuellen Editorial (No.11/S. 3): "Allen Ballast von sich werfen, sich befreien von allem Unnötigen und sich auf das Wesentliche zurückbesinnen, das raten uns die Psychologen und Philosophen in Hinblick auf die Rezession, die unser Leben noch eine ganze Weile beeinflussen wird."

Mit Verlaub: Hauptbetroffene dieser Krise werden wieder einmal zwei Gruppen sein:

1) Die jungen Leute: Sie werden einen schwierigen Einstieg ins Berufsleben haben (Wie das sich anfühlt, davon erzähle ich gerne mehr. Ich habe die Krise der 90er-Jahre als Jungakademikerin mit einem auf dem Arbeitsmarkt so gut wie wertlosen Phil-1-Abschluss erlebt).
2) Leute so ab 50: Wenn sie arbeitslos werden, laufen sie grosse Gefahr, überhaupt keinen Job mehr zu finden.

Betroffene beider Gruppen werden vor allem damit beschäftigt sein, sich ihre Selbstachtung und ihre Hoffnung auf die Zukunft zu wahren. Beides betrachte ich nicht als "Wesentliches", das ein Individuum für sich selber aufbringen muss. Die Basis für Selbstachtung und Hoffnung auf die Zukunft sollte eine Gesellschaft eigentlich allen Individuen bieten können.

Aber vielleicht betrachten die "Magi"-Macher die wirklich Betroffenen ja gar nicht als ihre Leser. Vielleicht richtet sich das Editorial ja vor allem an die Züriberg-Millionäre, die im letzten Jahr mal schnell 24 von 75 Milliönchen verloren haben. Dass die sich vielleicht jetzt gerade keinen überflüssigen Luxus mehr leisten können ... ja, das bedarf schon einer tröstlichen Kommentierung! Da muss man den Verzicht zum Trend machen, um das Leiden zu lindern!

13
Mrz
2009

Zwei Fragen über die Liebe


Endlich begreife ich auch, was mich an diesem Buch so begeistert.

Es stellt unüberhörbar und dringend zwei elementare Fragen über die Liebe:

1) Welche Ansprüche stelle ich an einen Partner, mit dem ich dauerhaft zusammen bleiben will? Oder anders gefragt: Was soll es sein, was uns beide zusammen hält? Muss er fähig zu einem so differenzierten emotionalen Austausch wie es Peter von Roten war? Oder genügt auch eine durch gemeinsame Erlebnisse errungene Stabilität der Gefühle?

2) Worauf wäre ich zu verzichten bereit, um die Bindung mit einem geliebten Partner einzugehen?
- Wäre ich bereit, mich wegen meines Partners mit meiner Familie zu zerstreiten?
- Wäre ich bereit, mich mit jemandem einzulassen, der eine komplett andere Weltanschauung hat?
- Wäre ich bereit, dafür an den hinterletzten Ort zu ziehen?

11
Mrz
2009

Buchfink und Känguru

Ihr erinnert Euch vielleicht an meinen Eintrag über jenen Buchfink, der jeweils so blindwütig auf unsere Bürofenster einhackt.

Gestern kam Herr T. nun freudestrahlend in mein Büro und sagte: "Ich habe des Rätsels Lösung! Hör Dir mal das hieran!"

"Das hier" ist die Geschichte eines tapferen Innerschweizer Wahl-Australiers. In einem Bungalow irgendwo im Busch springt nachts ein Känguru durchs Fenster in sein Familienbett. Offenbar hatte das Tier in der Scheibe sein Spiegelbild entdeckt, sich einem Rivalen gegenüber gewähnt und attackiert - genau in jenem Moment, als das Fenster aufging. Was der Held unserer Geschichte machte? Naja, hört es Euch selber an...

Jedenfalls schloss Herr T. messerscharf: "Wenn Kängurus ihre Spiegelbilder in Fensterscheiben angreifen... Warum sollten es nicht auch Buchfinken tun?"

Wunderbar. Dann hättest Du Recht gehabt, Veronika.

Nur: Für uns in Frogg Hall ergibt sich aus dieser Erkenntnis ein unangenehmes Dilemma:
Sollen wir den Vogel quälen und ihm jeden Tag die nervtötende Präsenz eines unbesiegbaren Gegners zumuten?
Oder sollen wir uns quälen und auf die kärgliche Morgensonne verzichten, die dieser Tage unsere sonst so düsteren Büros erhellt?

9
Mrz
2009

Hütet Euch vor Haacker

Er sieht ganz unscheinbar aus, dieser Christoph Haacker. Als könnte er kein Wässerchen trüben. Er sitzt hinter dem Stand seines Kleinverlags Arco und bewacht seine Bücher. Denkt man, wenn man so an der Messe Luzern bucht unterwegs ist wie ich das letztes Jahr war. Was sollte er auch sonst tun? Alle machen das hier so.

Aber wehe man (oder frau) nähert sich Haackers Büchern und lässt seinen Blick aus Hördistanz über die Bände auf seinem Stand schweifen. Dann enthüllt Haacker seine wahre Natur: Er löst sich von seinem Stuhl. Er spricht. Er wird zum Verkäufer. Zu einem hervorragenden Verkäufer. Zum Verführer. Er lässt die Kundin sofort durchschauen, dass er nichts anderes will als ihr etwas verkaufen. Unbedingt. Das ist sein Job. So ist das Leben, machen wir uns einen gepflegten, feinen Spass draus, sagen seine Mundwinkel, derweil er spricht! Und so wird die Kundin nicht gehen, bevor sie ein Buch erstanden hat, einfach weil sie sein Spiel mag. Er muss seine Verkäuferlehre bei einem Türken gemacht haben!

Mir hat er letztes Jahr Ludwig Winders "Die Pflicht" aufgeschwatzt. Er machte mich glauben, es sei ein Krimi. Ist es nicht. Es ist die Geschichte eines Widerstandskämpfers im Prag des Zweiten Weltkriegs. Präzis in der Sprache, karg, parabelhaft beinah. Es war nicht das begeisterndste Buch, das ich letztes Jahr gelesen habe. Aber es vermittelte mir ein paar höchst bedenkenswerte Einsichten über den Geist des tschechischen Widerstands. Über die Situation eines kleinen Landes in der Nähe des Tausenjährigen Reiches.

"Nehmen Sie es nach Hause und lesen Sie es! Wenn es Ihnen nicht gefällt, nehme ich es wieder zurück!" hatte er mir nachgerufen

Nun ja, ich bin ja nicht der Typ, der bei so etwas die Probe aufs Exempel macht!

"Und sonst kommen Sie nächstes Jahr und sagen Sie mir, wie es Ihnen gefallen hat" hatte er auch gesagt.

Das tat ich am Wochenende, als wieder "Luzern bucht" war. Dann kaufte ich ihm ohne lange zu verhandeln Vladimir Körners "Adelheid"ab.

"Aber seien Sie gewarnt! Es ist todtraurig!" rief er mir noch nach.



Erst draussen wurde mir klar: Ich hatte es ihm diesmal viel zu leicht gemacht.

7
Mrz
2009

Packende Liebesgeschichte


Das Buch ist bald zwei Jahre alt. Ausserdem dürfte es eher Schweizer Leser interessieren. Dennoch kann ich es nicht lassen, hier darüber zu schreiben. Denn ich finde es gerade unglaublich packend. Es schwebt in meiner Gunst ohne Ruhm über allen sieben Wellen und sämtlichen Feuchtgebieten.

Ich stehe auf Seite 272, und bislang hat es mir viel von Peter von Roten erzählt, einem Mann voller Widersprüche: Er stammt aus einer katholisch-konservativen Walliser Aristokratenfamilie. Aber er ist auch Armeegegner und hat linke Tendenzen - und das während des Zweiten Weltkrieges! Er ist auf eine Art verklemmt wie es vielleicht nur unsere Schweizer Väter sein konnten. Doch während die meist schwiegen, gelingt es Peter, seine Dilemmas und Unsicherheiten so eindringlich in Worte zu fassen, dass es zuweilen richtig weh tut, immer aber fesselt. Er tut es in den 40er-Jahren in Briefen an Iris Meyer, die später seine Frau wird. Einige Briefe sind in langen Strecken wörtlich zitiert. Und wo Peter nicht selber zu Wort kommt, füllt Autor Wilfried Meichtry mit gut informierter Intuition die Lücken.

Nun ist Iris von Roten-Meyer auch nicht niemand: In den fünfziger Jahren schrieb sie ein heftig umstrittenes Standardwerk des Schweizer Feminismus. Auch ihre Briefe beeindrucken durch eine aussergewöhnlich hoch entwickelte Fähigkeit, ihr Empfindungen in Worte zu fassen. Sie war zudem alles, was ihr späterer Ehemann nicht war: urban, ehrgeizig, auch nach aussen unkonventionell.

Dass die beiden in ihren Briefen zunächst unaufhörlich streiten, liegt nicht nur in der Verschiedenheit der beiden begründet. Vor allem er sträubt sich zunächst ungeheuer gegen die Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübt. Manchmal ist er ein solcher Umstandskrämer und dabei so witzig, dass man gleichzeitig lachen und ihn schütteln will. So wird die Annäherung der beiden vielleicht zum kompliziertesten breiflich dokumentierten Liebeswerben der Weltgeschichte.

Jetzt warte ich darauf, dass Meichtry mir noch mehr über Iris erzählt. Denn sie interessiert mich mehr als die noble Familie von Roten, der Meichtry (zu) viel Raum gibt. Streckenweise erliegt er leider der Versuchung, sich zu ihrem Familienhistoriker zu machen und wirkt dann provinziell. Ich verstehe zum Beispiel nicht, was das Kapitel über Peters Rilke-Recherchen (ein Gerücht besagt, dass Rilke unehelicher Sohn eines von Roten war) mit der Geschichte des Liebespaars Peter und Iris zu tun hat.

Mit seiner Herangehensweise liegt Meichtry übrigens quer zum aktuellen öffentlichen Bewusstsein: Wer Peter von Roten googelt, findet zu ihm fast nur noch Zugang bei Einträgen über seine Frau. Das ist aussergewöhnlich. Normalerweise verschwinden ja auch starke Frauen in der Geschichtsschreibung hinter ihren Ehemännern.

Aber noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er Iris bald der gleichen gründlichen und verständigen Analyse unterziehen wird wie Peter.

Wilfried Meichtry: Verliebte Feinde - Iris und Peter von Roten, Ammann Verlag, Zürich 2007
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