25
Feb
2009

Der Frühling kommt doch!

In den letzten Wochen war das Wetter hier grauenhaft. Schnee folgte auf Schneeregen folgte auf Eisregen folgte auf Hochnebel. Und dann das ganze nochmal. Die Frogg ahnte schon: Diesmal würde der Frühling gar nie kommen. Diesmal würde der Februar direkt in den nächsten Hochnebel-November übergehen.

Doch eines Tages belehrte ein vertrautes Geräusch aus Herrn T.s Büro mich eines Besseren: Es klang von dort, als würde ihm jemand Kieselsteine ans Fenster werfen, und zwar nicht zu leise. Im vierten Stock, nota bene.

Nein. Das war keine fliegende Verehrerin von Herrn T. Es war unser Gast vom letzten Frühjahr.

rotkehlchen.jpg 001
(Herrn T. hat sich verdankenswerterweise die Mühe genommen, ihn zu fotografieren).

Hingebungsvoll pickte er auf Herrn T.s Fensterscheibe ein. Das hat er schon letzten Frühling getan. Wochenlang. Manchmal attackierte er auch mein Fenster. Zunächst waren wir besorgt. Tat diese Pickerei dem Vogel nicht weh? Nein, offenbar nicht. Interessiert sahen wir zu. Spekulierten über die Gründe dieser manischen Pickattacken. Territorialverhalten? Hunger? Training für den Kampf gegen Liebes-Rivalen? Je später der Frühling, desto ausdauernder unser Vogel. Mit der Zeit sah Herr T. sich hie und da genötigt, die Storen vor seinem Fenster zu schliessen. Er hielt das Gepicke nicht mehr aus.

Im Sommer verschwand der Vogel wie er gekommen war.

Jetzt ist er also wieder da. Ein einigermassen verlässliches Zeichen, dass der Frühling kommen wird. Zumal wir vermuten, dass es sich um ein Rotkehlchen handelt. Und die galten früher immerhin als Überbringer der Sonne

Also bittebitte! Her mit der Sonne!

24
Feb
2009

Brief aus der Schweiz

Lieber Trox

Ich soll nicht zu früh um die Banken weinen, schreibst Du. Mache ich auch nicht, denn dazu sähe ich nun wirklich keine Veranlassung. Aber ich mache mir Sorgen um die Schweiz.

Ich habe ja lange hin- und herüberlegt, ob ich das hier überhaupt schreiben soll. Erst war ich sprachlos vor Bestürzung. Dann erinnerte ich mich an einen früheren Entscheid: Dieser Blog ist meine Spielwiese. Hier schreibe ich nicht über Politik. Schon gar nicht über Banken, das Bankgeheimnis, die UBS. Dann schwieg ich vor Scham. Wer wird jemanden aus der Schweiz noch ernst nehmen? Profiteure alle. Und dazu noch erpressbar.

Doch ich habe entschieden: Scham ist ein schlechter Ratgeber. Und dann werfen die Ereignisse der letzten Tage ihre Schatten gross und düster noch über die hinterste Spielwiese. Da scheint es mir naiv, so zu tun, als wären sie nicht da.

In den letzten Tagen habe ich mich ein paarmal gefühlt, als flöge mir die Schweiz in Trümmern um die Ohren. Recht, Ordnung, Vertrauen, alles mit Füssen getreten, kaputt*.

Jetzt weiss ich nicht, über wen ich am wütendsten sein soll:

Auf die Gangster bei der UBS: Weil sie mit ihren kriminellen Machenschaften in den USA dafür gesorgt haben, dass jeder in diesem Land so aussieht, als wäre er ein fröhlicher Nutzniesser von ertrogenen Steuergeldern.
Auf unsere Regierung. Weil sie es verpennt hat, das Debakel zu verhindern. Obwohl sie es gekonnt hätte.
Auf das Parlament: Weil es ebenfalls in der Lage gewesen wäre, uns diese Ungeheuerlichkeit zu ersparen.
Auf die Amerikaner: Weil sie uns allen gezeigt haben, dass wir in einem kleinen Land leben und uns von jeder Grossmacht in den Arsch treten lassen dürfen.

Ich meine: Ich selber war nie besonders glücklich mit dem Bankgeheimnis. Vor vielen Jahren habe ich an der Urne sogar einmal für seine Abschaffung gestimmt. Heute sehe ich, dass es auch Argumente für seine Beibehaltung gibt. Aber jetzt ist es genug. Jetzt will ich von allen Verantwortlichen, dass sie alles dran setzen, in unserem Staat wieder für Ordnung und Würde zu sorgen. Und für einen ehrbaren Umgang mit Geldern jeglicher Herkunft. Dafür würde ich sogar selber einen Beitrag leisten! Meine Spielwiese werde ich deswegen ja nicht aufgeben müssen.


*Für alle Nichtschweizer hier eine kurze Chronologie der Ereignisse:

Mittwoch, 18. Februar, abends: Unsere Regierung beschliesst, den USA Unterlagen über 300 amerikanische Kunden der Schweizer Bank UBS zu liefern. Sie tut es auf Druck der Amerikaner. Die hätten der Schweizer Grösstbank die Lizenz in den USA entzogen, wenn die Daten nicht subito gekommen wären. Das hätte unsere Volkswirtschaft ruiniert. Unsere Regierung will also das Beste für uns tun, verstösst dabei aber gegen unsere eigenen Gesetze: Wir haben hierzulande ein Bankgeheimnis. Ob wir es mögen oder nicht.

Freitag, 20. Februar, gegen Abend: Das Bundesverwaltungsgericht schreitet ein. Die Auslieferung der Daten sei gesetzwidrig, teilt es mit und verbietet sie.

Später am selben Abend wird klar: Das Gericht steht mit abgesägten Hosen da. Die Kundendaten sind bereits in den USA.

Seither herrscht Heulen und Zähneknirschen und die Medien suchen nach den Schuldigen für den Skandal, die Staatskrise. Aber niemand weiss, wie es weitergehen soll.

22
Feb
2009

Die Schweiz zittert

Neulich habe ich hier nahe gelegt, am besten erfahre man in englischen Zeitungen, ob die Schweiz bald untergeht. Heute habe ich festgestellt: Man muss gar nicht bis zu den Briten gehen. Die Deutsche Financial Times sagt es uns sogar in einer unserer Sprachen.

Tausendfüssler

Sonntag. Familienfest im Säli, irgendwo in einer tief verschneiten Landschaft.

Die Erwachsenen reden über komisches Zeug. Von einer Bank. Von einer Bank mit einem Geheimnis. Ernst reden sie, und nicht einmal der Papa scheint diesmal zu wissen, wie man die Sache mit der Bank und dem Geheimnis in Ordnung bringen könnte. Und die Tante auch nicht. Obwohl die beiden doch sonst immer alles wissen, wenn sie zusammensitzen und reden.

Aber sonst ist die Welt in Ordnung. Carina (3) zeichnet eine Sonne. Ein Rundumeli mit Strichen.
"Das ist eine Sonne", sagt sie zur Tante, "Aber, gell, Tante: Eigentlich sieht diese Sonne doch aus wie eine Spinne."
"Eine Spinne? Naja, ein bisschen schon mit so vielen Strahlen", sagt die Tante.
"Nein, nein, das ist keine Spinne!" ruft Herr T. der Tante über die Schulter. "Da sind ja viel zu viele Beine dran. Das ist ein Tausendfüssler!"
"Ach was!" sagt die Tante. "Tausendfüssler sind doch nicht so rund!" Jetzt zeichnet sie einen Tausendfüssler.

Ungefähr so (naja, nicht ganz so schön):

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(Quelle: www.prepolino.ch)

Aber mit fast so vielen Beinen. "Hast Du schon mal so einen gesehen?" fragt die Tante.

"In Zürich gibt es so einen", sagt Carina. In Zürich hat sie früher gewohnt. Jetzt nicht mehr. Aber in Zürich gibt es alles. Auch Tausendfüssler.
Carina zeichnet dann auch einen Tausendfüssler. Und weil er vorne so gross gerät, zeichnet sie ihm auch noch ein Gesicht.
"Das sind die Augen. Und das ist der Mund. Und hier hat er einen riesigen Nasenböögg*!" sagt sie vergnügt.

"Einen Nasenböögg?! Nein, nein!" ruft die Tante empört, "Tausendfüssler haben nie Nasenbööggen! Und wenn sie doch einmal einen haben, dann kommt Mama Tausendfüssler und gramselt ihnen mit allen tausend Beinen im Gesicht herum. Weisst Du, wie das den kleinen Tausendfüsslern verleidet, wenn ihnen jemand mit tausend Füssen im Gesicht herumgramselt?! Die haben nachher das ganze Leben lang nie mehr einen!"

Dazu kitzelt sie Carina ein bisschen unter der Nase herum. Carina kichert, wischt die Hände der Tante weg und zeichnet ihrem Tausendfüssler gleich noch einen Böögg ins Gesicht.

* Popel

20
Feb
2009

Vier krisenfeste Engländer

Man kann es in letzter Zeit fast jeden Tag in einer deutschsprachigen Zeitung lesen: Grossbritannien ist dem Staatsbankrott gefährlich nahe. Ich habe schon so viel darüber gelesen, dass ich mir die Läden von Londons stolzer Oxford Street zur Hälfte zugebrettert vorstelle. Die neue Wohlfühl-Meile am Südufer der Themse ist vor dem frogg'schen geistigen Auge menschenleer und von Vandalen zerstört. Ich sehe sie vor mir, die Briten, wie sie in ihren Reihenhäuschen sitzen, zitternd vor Kälte, weil sie sie nicht mehr zu heizen vermögen.

Umso überraschter war ich, als ich neulich in einem Café in Luzern vier purlimunteren Engländern begegnete. Jeder hatte ein prächtiges Tortenstück vor sich. "Ach wissen Sie", sagte einer, "Wir haben das Glück, Rentner zu sein. Ausserdem haben wir beim Staat gearbeitet. Unsere Pensionen sind sicher. Naja, einigermassen", grinst er, als er meine skeptische Miene sieht.

Ich versuche die Realität und die Bilder aus meiner offenbar allzu lebhaften Phantasie wieder in Einklang zu bringen. Das gelingt mir erst, als mir ein uraltes Lehrstück aus meinem eigenen Geschichtenschatz einfällt. Es stammt aus dem Jahr 1986, als ich in England in einem Kinderheim arbeitete. So gegen Anfang Mai wurde uns dort allmählich klar, dass eben die Katastrophe von Tschernobyl stattgefunden hatte. Was das bedeutete, war uns weniger klar - zumal unser Blatt, die "Times", geradezu vorbildlich die Mengenangaben Becquerel und Mikrogramm vermischte: Genau so, dass ein durchschnittlich gebildeter Mensch unmöglich verstehen konnte, was da im trüben Frühlingshimmel über uns vor sich ging*.

Aber dann war da plötzlich etwas, was ich sehr genau verstand: Ich sass im Zug von Tunbridge Wells nach London Charing Cross. Im Abteil nebenan las einer Zeitung. Auf der letzten Seite stand gross der Titel "Radioactive Cloud Over Switzerland". Ich sass da und hätte ihm am liebsten die Zeitung aus der Hand gerissen. Später stieg er aus und liess sie liegen. Ich packte sie - und fand im Bericht nur das übliche Becquerel- und Mikrogramm-Kauderwelsch.

In Charing Cross stürmte ich aus dem Zug und zur erstbesten Telefonkabine. Wenig später hörte ich die purlimuntere Stimme meiner Mutter in der Schweiz. "Radioaktive Wolke? Welche radioaktive Wolke denn?!" fragte sie, "Bei uns steht in der Zeitung, IHR hättet eine radioaktive Wolke!"

Ja, so war das.

Und nachdem mir das wieder eingefallen ist, weiss ich nur eins noch nicht ganz sicher: Ob ich wissen möchte, was die Britischen Zeitungen im Moment über die Schweiz schreiben.

* So viel zum Thema "früher waren die Zeitungen einfach viel besser!". Aber das ist eine andere Geschichte.

18
Feb
2009

Salatschleuder-Trauma

Ich erfuhr es schon, bevor ich mit Herrn T. zusammenzog: Er nennt eine Salatschleuder sein Eigen.


(Quelle: www.cookplanet.de)

Ja, genau so ein unhandliches, nur unter Mühen abwaschbares - kurz: vollkommen unpraktisches Möbel, das primär der Zumüllung der Küche dient. Man kann darin Salat waschen und ihn danach trocken schleudern. Für alles andere reicht auch ein normales Löchersieb.

Ich zog trotzdem mit Herrn T. zusammen. Schliesslich liebte ich ihn. Ich war ich bereit, zu seiner Salatschleuder Ja zu sagen wie zu all seinen anderen Eigenheiten, Mödeli und Marotten.

Dennoch kam ich nicht umhin, sie ab und zu zur Sprache zu bringen: Wenn sie mir beim Kochen im Weg stand zum Beispiel. Und bald merkte ich: Die Salatschleuder war nur das am sperrigsten dastehende Symptom einer viel tiefer gehenden Verschiedenheit zwischen Herrn T. und mir. Herr T. ist das, was ich einen Küchen-Clutterer* nenne. Er empfindet Freude an der gerätschaftlichen Vielfalt in seiner Küche. Die Dinge darin sind Teil seiner selbst. Sie stellen ihn dar als Menschen mit Besitz und Distinktion. Er nennt auch Grapefruitmesser, eine Pouletschere, eine Joghurtmaschine seine Eigen und ist glücklich damit - seine Mutter hatte gar Messerbänkchen für die Sonntagstafel. Solche Neigungen sind kulturell oder erblich bedingt.

Dumm nur, dass seine Küche jetzt auch meine Küche war. Denn die Frogg ist eine ausgesprochene Küchen-Minimalistin. Eine praktische Küchenausrüstung besteht für mich aus wenigen, vielseitig verwendbaren Gegenständen. Musts sind lediglich: ein Sparschäler, eine Bircherraffel, eine Röstiraffel und ein von meiner Mutter passend Löcherbecken genanntes Stück (als Salatsieb und zum abtropfen lassen von Spaghetti geeignet).



Weitere Geräte zu horten und zu warten ist für mich Platz- und Zeitverschwendung.

Tja. Wie hätten wir ans Kinderkriegen denken können, wo so fundamentale Differenzen uns schon die Haltung einer gemeinsamen Küche beinahe verunmöglichten?

Zum Glück gelang es mir, schon früh viele von Herrn T.'s guten Stücken auf Nimmerwiedersehen ins Kabinett des Doktor Caligari zu verbannen. Aber nicht die Salatschleuder.

Sie blieb. Und sie sorgte für unzählige Debatten in unserem Bekanntenkreis. Denn von der Erkenntnis unserer küchentechnischen Differenz beflügelt, erforschten wir nun die Gewohnheiten unserer Bekannten. So unterhielten wir eine Zeitlang mit einem Salatschleuder-Forschungsprojekt nicht nur ganze Abendgesellschaften. Wir stellten dabei auch fest: Der Salatschleuder-Graben verläuft quer durch die dicksten Freundschaften. Ja, er entzweit auch andere Paare. Sogar solche, die sich an die Gründung einer Familie gewagt haben.

Wir staunten.

Bis ich merkte, dass ich begonnen hatte, die Salatschleuder auch zu benützen. Da staunte ich noch mehr. Ja, ich lernte sogar, Salatsaucen anders zuzubereiten: mit mehr Öl, Essig oder Milch. Denn merke: Geschleuderter Salat ist trockener als im Sieb gewaschener Salat. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jetzt hat Herr T.'s Salatschleuder bald acht Jahre in Frogg Hall hinter sich. Die äussere Schale ist spröde und trüb geworden. Und manchmal hat die Schnur im Deckel Leerlauf. Ich fürchte, das Möbel wird bald das Zeitliche segnen.

Vielleicht werde ich Herr T. dann ein Neues schenken müssen. Sicher würde er sich nicht wohl fühlen ohne. Und sicher wird er nicht wütend, wenn ich sie auch ab und zu brauche.

* von engl.: "to clutter up" = vollstopfen.
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