20
Feb
2009

Vier krisenfeste Engländer

Man kann es in letzter Zeit fast jeden Tag in einer deutschsprachigen Zeitung lesen: Grossbritannien ist dem Staatsbankrott gefährlich nahe. Ich habe schon so viel darüber gelesen, dass ich mir die Läden von Londons stolzer Oxford Street zur Hälfte zugebrettert vorstelle. Die neue Wohlfühl-Meile am Südufer der Themse ist vor dem frogg'schen geistigen Auge menschenleer und von Vandalen zerstört. Ich sehe sie vor mir, die Briten, wie sie in ihren Reihenhäuschen sitzen, zitternd vor Kälte, weil sie sie nicht mehr zu heizen vermögen.

Umso überraschter war ich, als ich neulich in einem Café in Luzern vier purlimunteren Engländern begegnete. Jeder hatte ein prächtiges Tortenstück vor sich. "Ach wissen Sie", sagte einer, "Wir haben das Glück, Rentner zu sein. Ausserdem haben wir beim Staat gearbeitet. Unsere Pensionen sind sicher. Naja, einigermassen", grinst er, als er meine skeptische Miene sieht.

Ich versuche die Realität und die Bilder aus meiner offenbar allzu lebhaften Phantasie wieder in Einklang zu bringen. Das gelingt mir erst, als mir ein uraltes Lehrstück aus meinem eigenen Geschichtenschatz einfällt. Es stammt aus dem Jahr 1986, als ich in England in einem Kinderheim arbeitete. So gegen Anfang Mai wurde uns dort allmählich klar, dass eben die Katastrophe von Tschernobyl stattgefunden hatte. Was das bedeutete, war uns weniger klar - zumal unser Blatt, die "Times", geradezu vorbildlich die Mengenangaben Becquerel und Mikrogramm vermischte: Genau so, dass ein durchschnittlich gebildeter Mensch unmöglich verstehen konnte, was da im trüben Frühlingshimmel über uns vor sich ging*.

Aber dann war da plötzlich etwas, was ich sehr genau verstand: Ich sass im Zug von Tunbridge Wells nach London Charing Cross. Im Abteil nebenan las einer Zeitung. Auf der letzten Seite stand gross der Titel "Radioactive Cloud Over Switzerland". Ich sass da und hätte ihm am liebsten die Zeitung aus der Hand gerissen. Später stieg er aus und liess sie liegen. Ich packte sie - und fand im Bericht nur das übliche Becquerel- und Mikrogramm-Kauderwelsch.

In Charing Cross stürmte ich aus dem Zug und zur erstbesten Telefonkabine. Wenig später hörte ich die purlimuntere Stimme meiner Mutter in der Schweiz. "Radioaktive Wolke? Welche radioaktive Wolke denn?!" fragte sie, "Bei uns steht in der Zeitung, IHR hättet eine radioaktive Wolke!"

Ja, so war das.

Und nachdem mir das wieder eingefallen ist, weiss ich nur eins noch nicht ganz sicher: Ob ich wissen möchte, was die Britischen Zeitungen im Moment über die Schweiz schreiben.

* So viel zum Thema "früher waren die Zeitungen einfach viel besser!". Aber das ist eine andere Geschichte.

18
Feb
2009

Salatschleuder-Trauma

Ich erfuhr es schon, bevor ich mit Herrn T. zusammenzog: Er nennt eine Salatschleuder sein Eigen.


(Quelle: www.cookplanet.de)

Ja, genau so ein unhandliches, nur unter Mühen abwaschbares - kurz: vollkommen unpraktisches Möbel, das primär der Zumüllung der Küche dient. Man kann darin Salat waschen und ihn danach trocken schleudern. Für alles andere reicht auch ein normales Löchersieb.

Ich zog trotzdem mit Herrn T. zusammen. Schliesslich liebte ich ihn. Ich war ich bereit, zu seiner Salatschleuder Ja zu sagen wie zu all seinen anderen Eigenheiten, Mödeli und Marotten.

Dennoch kam ich nicht umhin, sie ab und zu zur Sprache zu bringen: Wenn sie mir beim Kochen im Weg stand zum Beispiel. Und bald merkte ich: Die Salatschleuder war nur das am sperrigsten dastehende Symptom einer viel tiefer gehenden Verschiedenheit zwischen Herrn T. und mir. Herr T. ist das, was ich einen Küchen-Clutterer* nenne. Er empfindet Freude an der gerätschaftlichen Vielfalt in seiner Küche. Die Dinge darin sind Teil seiner selbst. Sie stellen ihn dar als Menschen mit Besitz und Distinktion. Er nennt auch Grapefruitmesser, eine Pouletschere, eine Joghurtmaschine seine Eigen und ist glücklich damit - seine Mutter hatte gar Messerbänkchen für die Sonntagstafel. Solche Neigungen sind kulturell oder erblich bedingt.

Dumm nur, dass seine Küche jetzt auch meine Küche war. Denn die Frogg ist eine ausgesprochene Küchen-Minimalistin. Eine praktische Küchenausrüstung besteht für mich aus wenigen, vielseitig verwendbaren Gegenständen. Musts sind lediglich: ein Sparschäler, eine Bircherraffel, eine Röstiraffel und ein von meiner Mutter passend Löcherbecken genanntes Stück (als Salatsieb und zum abtropfen lassen von Spaghetti geeignet).



Weitere Geräte zu horten und zu warten ist für mich Platz- und Zeitverschwendung.

Tja. Wie hätten wir ans Kinderkriegen denken können, wo so fundamentale Differenzen uns schon die Haltung einer gemeinsamen Küche beinahe verunmöglichten?

Zum Glück gelang es mir, schon früh viele von Herrn T.'s guten Stücken auf Nimmerwiedersehen ins Kabinett des Doktor Caligari zu verbannen. Aber nicht die Salatschleuder.

Sie blieb. Und sie sorgte für unzählige Debatten in unserem Bekanntenkreis. Denn von der Erkenntnis unserer küchentechnischen Differenz beflügelt, erforschten wir nun die Gewohnheiten unserer Bekannten. So unterhielten wir eine Zeitlang mit einem Salatschleuder-Forschungsprojekt nicht nur ganze Abendgesellschaften. Wir stellten dabei auch fest: Der Salatschleuder-Graben verläuft quer durch die dicksten Freundschaften. Ja, er entzweit auch andere Paare. Sogar solche, die sich an die Gründung einer Familie gewagt haben.

Wir staunten.

Bis ich merkte, dass ich begonnen hatte, die Salatschleuder auch zu benützen. Da staunte ich noch mehr. Ja, ich lernte sogar, Salatsaucen anders zuzubereiten: mit mehr Öl, Essig oder Milch. Denn merke: Geschleuderter Salat ist trockener als im Sieb gewaschener Salat. Aber das ist eine andere Geschichte.

Jetzt hat Herr T.'s Salatschleuder bald acht Jahre in Frogg Hall hinter sich. Die äussere Schale ist spröde und trüb geworden. Und manchmal hat die Schnur im Deckel Leerlauf. Ich fürchte, das Möbel wird bald das Zeitliche segnen.

Vielleicht werde ich Herr T. dann ein Neues schenken müssen. Sicher würde er sich nicht wohl fühlen ohne. Und sicher wird er nicht wütend, wenn ich sie auch ab und zu brauche.

* von engl.: "to clutter up" = vollstopfen.

16
Feb
2009

Glücksmoment

Es ist spät abends, am anderen Ende der Stadt. Ich stehe an der Bushaltestelle und warte auf den Bus nach Hause. Gegenüber in einem Wohnblock sehe ich eine hell erleuchtete Wohnung. Ich weiss: Sie gehört alten Freunden. Ich habe die beiden lange nicht gesehen.

Ein Universum von Traurigkeit tut sich über mir auf.

Es ist kalt. Ich stecke die Hände in die Mantelsäcke.

Da ertaste ich in der rechten Tasche jene eine Lindor-Kugel, die mir jemand hineingesteckt hat.

Danke Acqua!

14
Feb
2009

Kinder haben

Gibt es "richtige" Gründe ein Kind zu wollen? Was bedeutet es überhaupt, Mutter, beziehungsweise Eltern, zu sein? Diese Fragen haben neulich auf meinem Blog eine hitzige Debatte ausgelöst. Ein Beitrag dazu hat möglicherweise bisher zu wenig Beachtung gefunden. Ich möchte nicht versäumen, ihn hier noch nachzuverlinken.

Wenn ich übers Kinderkriegen schreiben würde, dann wäre das ja so, wie wenn der Pfarrer über Sex in der Ehe spricht. Der oben verlinkte Beitrag aber bestätigt manche Ansicht, die ich zu dem Thema habe. Und ich finde ihn sehr mutig.

12
Feb
2009

Fit oder fett?

Ich habe geneu eine halbe Stunde Zeit, bevor ich mich bereit machen und zur Arbeit muss. Soll ich eine Runde gummizellen-joggen. Oder soll ich mich meinem Krimi widmen?

Ich entscheide mich für den Krimi.

Ich meine: Das Streben nach einem perfekten Körper kann ja kein ernst zu nehmendes Projekt sein.
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