2
Jan
2009

Agnes geht

Zum letzten Mal höre ich sie im unteren Stock ihr Geschirr abwaschen. Ihre Abfallsäcke lässt sie im Treppenhaus stehen, damit Herr T. sie am Dienstag auf die Strasse hinunterbringen kann. Denn heute ist das verboten, und am Dienstag ist sie nicht mehr hier: Unsere Nachbarin Agnes zieht aus.

Sie wohnte hier, als wir vor bald acht Jahren einzogen, und vermisse sie jetzt schon. Ich bin etwas verblüfft darüber, dass sie mir so ans Herz gewachsen ist. Sie ist nicht gross aufgefallen in unserem Leben. In den Sommerferien hat sie unsere Pflanzen gegossen. Dann haben wir ihr ein Souvenir gebracht, und ein- zweimal haben wir sie zum Essen eingeladen. Ein paarmal haben wir auch ihre Pflanzen gegossen. Ohne je Aufsehen zu erregen hat sie zudem ihren Dienst als Oberaufseherin gemeinschaftlichen Waschküche versehen.

Jetzt hat sie ihre Traumwohnung gefunden.

Ich fürchte, ein Teil ihrer Pflchten wird an mir hängen bleiben.

Ich überlege mir, wie ich das anpacken soll, und plötzlich höre ich im Geiste leise einen Song.



Er muss jetzt umbenannt werden: Fortan soll er "Living Nextdoor to Agnes" heissen.

31
Dez
2008

Beschwindelte Regierung

Immer zum Jahresende werden aus hart gesottenen Nachrichten-Schurnis* feinsinnige Kunstkritiker. Dann erscheint nämlich das Bundesratsbild, und dann werweissen die Herren (meist sind es Herren) an ihren Schreibtischen, was man uns Schweizern mit genau dieser Darstellung unserer Regierung wohl sagen wolle.

SCHWEIZ BUNDESRAT
(Quelle: Michael Stahl, Keystone)

Meniere-Patientin Frogg aber warf einen Blick auf die Bewegungsunschärfe der Schweizerkreuze im Foto und erkannte dessen Message ohne auch nur einen Moment nachzudenken. "Diese Kreuze drehen sich ja um den Bundesrat. Das bedeutet, dass die Schweiz einen Schwindelanfall hat!" rief sie aus, "Und zwar einen ziemlich heftigen, glaube ich. Die BundesrätInnen aber stehen felsenfest und lächeln sogar. Was bei diesem Drehtempo eine ziemliche Leistung ist!" Wie sie aus Erfahrung weiss.

Wir werden ja sehen, ob sie dann wirklich so aufrecht stehen, wenn es so weit ist!


* Berufsjargon für Journalisten

30
Dez
2008

Weltuntergang

Es ist die Zeit der Jahres-Rückblicke. Ein guter Anlass, Euch einmal etwas über die Frogg zu erzählen, was ich Euch bislang schamvoll verschwiegen habe: Herr T. nennt seine Liebste manchmal eine Jammertante. Was sie nach einem Arbeitstag jeweils von sich gibt, nennt er Jeremiaden. Und da Herr T. zu Untertreibungen neigt, ist auch das eine. In Wirklichkeit ist es so: Frau Frogg ist die grösste aller Jammertanten, die Königin der Jeremiaden-Sängerinnen.

Übertroffen wird sie nur von ihren beiden geschätzten Kollegen Stöhn und Bartholomäus. Von Herrn Stöhn kann man mit Fug sagen, dass er das Klagen zur Kunstform erhoben hat - echt und gfürchig und doch mit hie und da einem Funken Selbstironie. Aber das ist eine andere Geschichte. Hier geht es um meinen Jahresrückblick, und ich muss es einmal ehrlich sagen: Die Frogg prophezeite 2008 ihren Weltuntergang. Natürlich hat Herr T. es jeweils nicht so ernst genommen, wenn sie sagte: "Komm, leisten wir uns diese phantasische, aber schweineteure Ferienwohnen in Istanbul! Vielleicht ist es das letzte Mal, dass wir so weit reisen können. Komm, ich kaufe das teurere Sofa! Vielleicht bin ich nächstes Jahr mausarm!"

Aber die Frogg hatte 2007 auch plausible Argumente für ihre pessimistischen Prognosen gesammelt (Angst hatte sie keine: SIE würde mit offenen Augen und für einmal schwindelfrei in jeden Abgrund schauen, der sich 2008 auftäte!)

Da waren zum einen diese unheimlichen Ohrenprobleme: Die Schwindelanfälle, und viel schlimmer noch: Die Hörnachlässe in meinem guten rechten Ohr, das Gedröhn und Gegurgel. Wer hätte da nicht Angst gehabt vor dem Taubwerden? Davor, irgendwo da draussen umzufallen und nicht mehr aufzustehen.

Und dann war da noch die Finanzkrise. Schon im Januar wusste die Frogg: "Da kommen gröbere Dinge runter!" (So prophezeit es jeweils der Busen- Blut, Blech- und Wetterspezialist unserer Zeitung an unseren Sitzungen).

Gott sei Dank ist alles nicht so schlimm gekommen wie befürchtet. Noch hört die Frogg. Noch hat sie einen Job. Der Krimi macht Fortschritte. Es gab auch grosse Glücksmomente, sogar mehr als einen. Eigentlich war 2008 ein bemerkenswert gutes Jahr. Es gibt Anlass zu Hoffnungen. Ich schmiede sogar schon wieder Reisepläne für 2009. Es soll wieder in die Türkei gehen!

Und doch. Eins wird die Frogg nie ausser Acht lassen können: Die Welt kann auch 2009 noch untergehen!

In diesem Sinne Euch allen ein gutes Neues Jahr!

28
Dez
2008

Kleiner mit Freundin

baum dez. 08 001

28 Zentimeter gross ist er jetzt, mein kleiner Ahornbaum Benji. Und vollkommen kahl. Im November hat er seine Blätter doch noch eins ums andere abgeworfen. Ohne vorher die Sache mit dem Gelbwerden begriffen zu haben, allerdings.

Trostlos sah er aus. Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich ihn etwas aufheitern könnte. Jetzt hat er zu Weihnachten ein Gspänli bekommen: eine lachende Giesskanne von Tim und Veronika.

27
Dez
2008

Horror im Kinderzimmer

Vater Frogg wird älter. Und ich habe gemerkt: Das hat auch Vorteile. Zum Beispiel erzählt er neuerdings gern aus seiner Jugendzeit. Am Heiligabend, leise untermalt von weihnachtlichen Klängen ab CD, kam er plötzlich ins Berichten.

Als Fünfjähriger habe er ein Zimmer mit einem Mädchen geteilt, sagte er. Sie hiess Maribeth oder ähnlich, und, so fügte er schnell hinzu: Sie war natürlich kein Mädchen im heutigen Sinne, sondern eine Magd, also, ein altes Mädchen, so Anfang 80.

Ich sollte hier noch erklärend einfügen: Vater Frogg ist 1939 geboren und auf einem Bauernhof weit draussen auf dem Lande aufgewachsen. Noch heute liegt sein Geburtshaus in einem Handyloch. Es war zwar ein grosses Haus, und Grossvater Frogg hatte auch immer reichlich Personal, um den Betrieb am Laufen zu halten. Ansonsten aber war die Familie bitter arm.

"Ich hatte schon mitbekommen, dass es der Maribeth nicht so gut gegangen ist", erzählte Vater Frogg, "Aber das war halt ganz normal, sie war ja alt. Eines Morgens aber, als ich aus dem Bett stieg, war sie über Nacht gestorben."

Ich empöre mich für ihn. Ich meine: Heutzutage würde man doch ein Kind nie immer Zimmer einer Sterbenden schlafen lassen! Vater Froggs zwei Enkelinnen jedenfalls führen da ein ganz anderes Leben: Die haben neuerdings je ein eigenes Zimmer. Und die durften sogar auswählen, welche Farbe die Wände darin haben sollen. Das von Marie-Christiane (7) ist pink, das von Carina (3) gelb.

Doch Vater Frogg erzählt, ohne zu vergleichen. Ohne Groll. Ohne Moralinsäure. Auch ohne Prahlerei. Vater Frogg gehört nicht zu den Leuten, die ständig darlegen müssen, was für tolle Hechte sie einmal gewesen sind.

"Ach weisst Du, das war halt so!" sagt er gelassen, "Damals gab es so Hierarchien in unserem Haus."

Ich glaube, er hätte gerne noch ein bisschen von diesen Hierarchien erzählt. Aber vor Empörung frage ich nicht nach, denn es ist ja klar, was gemeint ist: Er als Jüngster im Haus war gerade gleich viel Wert wie ein krankes "altes Mädchen".

Erst später wird mir plötzlich klar, welche Welten dieser stets so überaus freundliche und zurückhaltende ältere Herr in seinem Leben durchquert hat. Warum er so manches im Leben als Geschenk betrachtet. Als eine verwunderliche Gabe, die er fast nicht annehmen darf. Plötzlich verstehe ich besser, wer er ist. Wer wir sind.
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Journal einer Kussbereiten

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