Neulich hat irgendjemand zu mir gesagt: "Älter werden hat doch auch Vorteile, nicht wahr? Zum Beispiel den, dass man am Samstagabend nicht zwanghaft etwas loshaben muss."
Das Ritual ist sakrosankt und in Stein gemeisselt: Am 24. Dezember trifft sich die Familie Frogg bei den Eltern Frogg. Das sind:
- Mutter und Vater Frogg
- Herr T. und Frau Frogg,
- Bruder Andreas, seine Ehefrau Stella Frogg Ottokar und die zwei Töchter Marie-Christiane und Carina.
Diese treffen sind unserer Frau Frogg heiliger als die drei Könige. Früher waren sie ein beliebtes Datum für die lustvoll ausgetragenen politischen Streitigkeiten der Geschwister Frogg. Heute hat sie Zeit, mit ihren Nichten zu spielen.
Doch dieses Jahr wird alles anders. Dieses Jahr bringt Schwager und Erdbebenspezialist Dilibert Ottokar unsere so solide geglaubte Weihnachtsplanung zum Einsturz. Nun gut, er hat einen triftigen Grund: Seine Frau ist Venezolanerin, und dieses Jahr sind die venezolanischen Verwandten in der Schweiz. Und die möchten Stella und Andreas doch auch kennenlernen. Doch einzige Gelegenheit dafür ist der 24. Dezember.
Also sollte der 25. Dezember der Termin für unser Frogg'sches Familientreffen werden. Für Mutter und Vater Frogg kein Problem. Geht es um ihren einzigen Sohn und die Enkelkinder, dann können sie sich jeden beliebigen Termin freischaufeln. Da muss Grossmutter Walholz halt noch ein paar Tage warten - obwohl sie am 25. Dezember auch noch Geburtstag hat.
Doch wird plötzlich Familie T. zum Problem. Denn am 25. Dezember ist ja eigentlich jeweils unser Termin für das Treffen mit Filomenas Schwiegerfamilie in spe. Und den kann Familie T. unmöglich auf den 24. Dezember verschieben.
Denn am 24. kocht Vater T.'s Freundin La Serenissima schon für ihre eigenen Enkelinnen.
Und die taube Tante Ida von Herrn T. kann auch erst am 25. Dezember. Denn am 24. taucht sie jeweils bei ihrer verlorenen Tochter auf.
Und dann wäre da noch irgend eine entfernte Verwandte von T's. La Traviata. Die ist bei diesen Familienfeierlichkeiten auch immer dabei.
Was also tun?
Herr T. findet schliesslich das Ei des Kolumbus und bringt das aufgewühlte Frogg'sche Gemüt wieder zur Ruhe: Wir fahren am 24. Dezember zu Mutter und Vater Frogg. Am 25. Dezember zu T.s, ganz wie üblich. Und am 26. Dezember kommen dann Andreas und seine Familie zu uns.
Seit das klar ist, habe ich schon eine ganze Reihe von Hebeln in Bewegung gesetzt, damit ich am 26. Dezember nicht schon wieder arbeiten muss.
Heute ging ich mit der Überzeugung durch die Stadt, dass ich einen Drehschwindelanfall bekommen würde. Manchmal weiss ich einfach, wenn einer im Busch ist. Ich weiss es, weil sich das linke Ohr so seltsam dicht anfühlt, wie mit Beton zugekleistert. Jaja, das klingt seltsam. Ist es auch. Gehört zu dieser idiotischen Krankheit.
Ich war guter Dinge, aber ich rechnete mit dem Schlimmsten. War auf alles vorbereitet. Das Antemin im Täschchen, die Absätze flach.
So tappte ich an einem Reisbüro für Studenten vorbei. Schickte mich an, einem Plakatständer mit günstigen Reiseangeboten nach Singapur und Japan auszuweichen. Sah einen hellblauen Globus auf weissem Grund und den Slogan auf der Tafel.
"The World Is Turning Around You".
Und musste lachen. Die meinten den Satz wohl nicht so wie ich ihn verstand.
Am Samstag habe ich zwei hübsche Pouletbrüstchen gekauft. Für Sonntag.
Am Sonntag früh habe ich diese Story gelesen.
"Pah!" sagte sich die Frogg, "Ich habe seit August drei- oder viermal Hühnerfleisch gegessen, und mir war danach vögeliwohl. Mein Sonntagspoulet lasse ich mir nicht verderben!"
Es gab gestern also doch Sonntagspoulet im Hause Frogg. Schön knusprig gebraten. Köstlich wars!
Doch danach rumpelte mir der Magen. Tüchtig.
Muss ein Anfall von Hypochondrie gewesen sein.
Ich habe gerade einen Italien-Krimi* zu lesen begonnen. Da ist von Espresso-Bars die Rede und von Fischmärkten und einer schönen Stadt. Und da fallen ein paar italienische Sätze. Welch schöne Sprache, italienisch, denkt die Frogg und schaut hinaus in den Novemberhimmel (ja, ich weiss, es ist Dezember. Aber hierzulande haben wir ja von Mitte Oktober bis Mitte März nichts anderes als November). Ich bekomme Sehnsucht nach Italien.
Doch halt! Da fällt mir der letzte italienische Film ein, den ich gesehen habe: Gomorra von Roberto Saviano.
Sofort muss ich an die giftmüll-verseuchten Böden von Kamapanien denken. Daran, dass ich seit diesem Film einen flauen Magen bekomme, wenn ich im Coop Trauben aus Italien sehe. Daran, dass ich mir geschworen habe, nicht mehr nach Italien zu reisen, bis die Mafia weg ist (also, wahrscheinlich nie mehr). Dann bin ich noch einmal schockiert darüber, dass Menschen in der alten EU in so höllischen Zuständen leben müssen wie der Film sie zeigt.
Na gut, mit Italien wird nichts nächsten Sommer. Aber es gibt ja noch andere reizvolle Mittelmeerländer.
Kroatien zum Beispiel. Der Bürgerkrieg ist ja jetzt vorbei. Doch was soll ich davon halten, dass es dort einmal eine Ustascha gegeben hat? Und was soll ich darüber denken?
Da wäre Griechenland schon unproblematischer. Naja, mehr oder weniger. Griechenland begeht massive Menschenrechtsverletzungen an Asylbewerbern. Hat deswegen eine Klage der EU-Kommission am Hals.
Bliebe also die Türkei. Aber, ach, die Türkei! Die Kurdenfrage! Die Zensur, überhaupt!
Und Libanon? Zu gefährlich, glaube ich.
Und Israel? Lieber nicht.
Und ganz Nordafrika: Nicht einmal Ägypten ist puncto Demokratie über jeden Verdacht erhaben.
Bleibt nur noch Südfrankreich. Ich meine: Frankreich hat die Menschenrechte erfunden. Da muss doch alles in Ordnung sein. Ist es aber nur beschränkt.
Tja, was soll man da machen. Fürchterliche Zustände gibt es überall, Schweinehunde auch. Noch dazu ist ausgerechnet unser aller Haus-Badestrand gleichzeitig Schauplatz einer stillen Flüchtlingskatastrophe. Am beisten bleibt die Frogg zu Hause in der heilen Schweiz. Doch uiuiuiui! Die Schweiz! Die Steueroase! Der Ort, wo die Schweinhunde der Welt ihr geraubtes Geld hinbringen!
Was also tun? Wo die Grenzen setzen? Wie reisen? Wie zu Hause bleiben?