6
Jul
2008

In Istanbul

Wir können uns glücklich schätzen: Noch vor unserer Abreise hatten wir einen echten Istanbuliker kennengelernt. Einen Mann aus unserem Städtchen, der in die Schönheit der Grossstadt am Bosporus vernarrt ist. Der mindestens einmal im Jahr dorthin fliegt und sogar jahrelang türkisch gelernt hat. Er vermittelte uns einen guten Kontakt*. So kam es, dass wir schon am Flughafen abgeholt wurden. Ein netter, wenn auch unserer mangelhaften Sprachkenntnisse wegen zwangsläufig stiller Türke fuhr uns zu einem Haus beim Galataturm. Dort bekamen wir erst einmal ein Tässchen Tee serviert bekamen.


(Quelle: www.antalya.de)

Dann chauffierte er uns weiter zu unserer Wohnung. Fuhr das steilste Strässchen hinunter, das ich je gesehen habe. Stoppte und führte uns mit Sack und Pack hinein in ein unscheinbares Wohnhaus aus den sechziger Jahren. Vier Stockwerke hoch. In einem Treppenhaus, das leise nach Katzenpisse roch und hinter einer zugemauerten Tür die Ruinen eines Lifts ahnen liess (Man hatte uns ja gewarnt: Treppenhäuser in Istanbul seien nicht das, was Europäer so erwarteten).

Und dann öffnete er die Tür zu "unserer" Wohnung. Die Frogg trat ein, schaute, blieb mit offenem Mund stehen und vergass beinahe, Herrn T. auch herein zu lassen. Der stille Türke grinste. Vor uns lag eine riesige Fensterfront, die direkt auf den Bosporus ging. Das was unsere Aussicht (von rechts nach links):

moscheen
Hinüber zum Topkapı-Palast , zur blauen Moschee und der Hagia Sophia.

frachter
Hinüber nach Kadiköy und Üsküdar, hinüber nach Asien.

brueckebeitag
Hinüber zur Boğaziçi-Brücke, die Europa und Asien verbindet...

brueckebeinacht
... und hinüber zur selben Brücke bei Nacht.

Ja, so blau ist der Bosporus. Eigentlich hatte ich ihn mir anders vorgestellt. Weniger frisch und fröhlich. Aber hier war er, der Bosporus, so blau wie der Luganersee, und wir konnten kaum den Blick von ihm wenden. Tag und Nacht dröhnten die Schiffe an uns vorbei, hinauf zum Schwarzen Meer oder herunter von ebendort. Direkt unter uns lag der Fährhafen Kabataş. Manchmal überholten die eiligen Schiffe aus Üsküdar einander, bevor sie dort anlegten. Morgens und abends waren sie gestossen voll mit Pendlern.

Und wahrlich: Wir schätzten uns glücklich, auf einem Sofa liegen und der ganzen Geschäftigkeit zuschauen zu dürfen.

* Ernsthaften Istanbul-Interessenten vermittle ich den Kontakt gerne weiter. Ob wir dabei auch Istanbuliker geworden sind, weiss ich noch nicht. Es wird sich wohl erst noch zeigen.

2
Jul
2008

Pfeffer-Schock

Schon im Flugzeug nach Istanbul erlitt die Frogg einen leichten Kulturschock. Wegen dieses kleinen Päckchens auf unserem Lunchtablett:

biber

Kenner der Frogg'schen Auseinandersetzung mit der Peperoni-Frage werden leicht verstehen, weshalb. Hatte die Frogg doch vor den Ferien fleissig ein paar Worte türkisch gelernt und brav memoriert: "Biber" heisst "Peperoni" oder "Paprikaschote" (etwa in "biber dolması", gefüllte Peperoni). Wenn "biber" aber irgendetwas mit Paprika heisst, so eines der unerschütterlichen Frogg'schen Glaubenssätze, dann kann "biber" unmöglich auch "Pfeffer" heissen.

Und doch war in dem Päckchen Pfeffer.

Wie also heisst dann Paprika?

Die Frage drehte irgendwo im Frogg'schen Hinterkopf ihre Runden. Derweil besichtigten wir auch Gewürzmärkte. In Istanbul. In Bodrum.

gewuerze

Und hier fand ich eines Tages die Antwort: In einem Kistchen lag ein rotes, grob gemahlenes Pulver, auf dem Schildchen dazu stand kırmızı biber: Roter... ja, was jetzt? Pfeffer oder Paprika?

Mein Sprachführer schaffte Klarheit: kırmızı biberheisst "Paprika (Gewürz)".

Ich musste eines meiner Dogmen revidieren und feststellen: Die Welt ist eben doch komplizierter als ich gedacht habe. Oder einfacher?

30
Jun
2008

Fussball in Istanbul

Seit gestern sind wir aus der Türkei zurück. Seit gestern ist die Fussball-EM zu Ende. Eigentlich ist es zu spät, die Erinnerung an unser persönliches Spiel der Spiele Revue passieren zu lassen: Schweiz - Türkei am 11. Juni. Ich werde es dennoch tun. Einfach, weil es so schön war: Wir sahen den Match in einer Seitengasse der Istiklal Caddesi, der Vergnügungsmeile von Istanbul. In einem kleinen Restaurant mit weissen Tischtüchern, warmem Licht und offenen Türen.

Neben dem Fernseher hing dieses Bild:

atatuerk

Es zeigt Mustafa Kemal Atatürk. Den Vater aller Türken. Den Mann, der nach dem Ersten Weltkrieg aus den Trümmern des Osmanischen Reiches die moderne Türkei schuf. Er starb 1938. Sein Bild sieht man in der Türkei heute noch täglich irgendwo. In unserem Restaurant wachte er über das Spiel und ich ahnte: Die Türken würden gewinnen. Denn wer wird nicht gewinnen, wenn dieser Blick über ihn wacht? Diese väterliche Wärme. Diese Ahnung von Grausamkeit. Das Wissen: Dieser Mann kann töten. Und die Ungewissheit: Aus welchem Anlass würde er es tun?

Hätte doch Fatih Terim gewusst, dass der Vater aller Türken persönlich über das Spiel wachte! Er hätte mit seinen Affentänzen gar nicht erst begonnen.

Das Restaurant wurde voll und voller. Den vordersten Zehnertisch füllte allein ein zahnloser, liebenswürdiger, aber nicht ganz zurechnungsfähiger Türke. Er gehörte wohl zur Familie. Jedenfalls behandelten ihn die zahlreichen Kellner mit freundlicher Nachsicht. Auch wenn er sich in Glücksmomenten den französischen Touristinnen am Nachbartisch allzu freudig an die Oberweite hängte. In der zweiten Reihe sass eine türkische Grossfamilie. Die weiteren Reihen füllten Touristenaus den USA, die selbstverständlich für die Türken waren. Wir, an einem Seitentisch, waren die einzigen Schweizer. Unser Jubel über das Goal von Hakan Yakin ging im Zorngeschrei der Türken unter.

Nun suchten die Türken den Ausgleich, und die Spannung steigerte den Appetit der Gäste ins Unermessliche. Auf silbernen Tabletten trugen die Kellner Berge von frittierten Sardellen und Calamares, Salat und volle Brotkörbe vorbei. Und dazu Getränke. Und später Teller voller Wassermelonenschnitze, Aprikosen und Kirschen.

Das Wetter trug viel zum allgemeinen Wohlgefühl bei: Derweil die Fussballkämpfer in der Schweiz durch knöcheltiefe Regenpfützen schlitterten, sass man in Istanbul im T-Shirt vorm Fernseher - trotz fortgeschrittener Stunde ohne Jäckchen. Als Semih in der 57. Minute das erste türkische Tor schoss, wurde aus dem Fussballfest vollends ein grosses Fressen.

Derweil erob sich draussen ein dumpfes Dröhnen. Rundum gab es Bars, die ihren letzten Stuhl vor den Fernseher im Freien gestellt hatten. Und die Zuschauer da draussen schienen alle Pauken mitgenommen zu haben. Es war ein gewaltiger Lärm. Die Istiklal Caddesi brodelte... ach was, brodeln tut sie jede Nacht, sie kochte über, sie zischte und dampfte wie ein Wasserfall auf einer gigantischen, hiessen Herdplatte. Die Spannung stieg ins Unermessliche.

Für uns wäre ein Unentschieden schon ok gewesen.

Doch dann, ganz am Schluss, fiel das Siegestor der Türken.

Der Zahnlose fiel den Französinnen um den Hals. Alle Türken sprangen auf und jubelten. Die Touristen sprangen auf und jubelten. Wir standen auf und taten irgendetwas. Draussen legte das Getöse an Dezibel zu. Dann kamen zwei Musiker herein und begann den allgemeinen Lärm mit traditioneller türkischer Volksmusik zu übertönen.

Mir wurde es zu laut. Wir gingen. Draussen zogen Scharen feiernder Türken mit Fahnen durch die Gassen.

Herr T. und ich machten uns auf den Weg in unsere Wohnung. "Eigentlich", sage ich zu Herrn T., als wir die erste ruhige Strasse fanden, "Eigentlich ist das für uns eine Win-Win-Situation. Die Türken hätten uns doch verhauen, wenn die Schweizer gewonnen hätten!" Solches Zeug behauptet die Frogg. Obwohl sie überhaupt kein Gesicht macht, als hätte sie eben sowieso gewonnen. Nein. Sie ist enttäuscht und fühlt sich einsam.

Erst später sollte sie feststellen, dass die Stärke der Türken erhebliche Vorteile hatte: So hielt das Fussballfieber in der Türkei noch zwei Wochen an. Es sorgte stets für guten Gesprächsstoff mit Reisebekanntschaften. Und für mächtige Spektakel: leintuchgrosse Türkenflaggen an den unglaublichsten Orten und Feuerwerke bei ersten Goal gegen die Deutschen.

Erst danach wurde es ruhiger.

7
Jun
2008

Ich reise

Ich verreise nicht mehr, ohne vorher meine Krankenkasse anzurufen. Ich frage nach, ob sie einen Spitalaufenthalt in meinem Ferienland bezahlen würde. Nur so, falls ich einen Schwindelanfall hätte und mich eine Ambulanz von der Strasse kratzen müsste...

Auf meiner Packliste stehen unzählige Medikamente, darunter:

- zwei Notrationen Cortison für den Fall eines akuten Hörverlusts im rechten Ohr (eine im Handgepäck, eine im Fluggepäck)
- Nexium 40 (um den Magen vor den Nebenwirkungen des Cortisons zu schützen)
- Gingosol (für die Durchblutung des Innenohrs)
- Duralipon (für was auch immer)
- Nasentropfen, um den Druckausgleich im Mittelohr während des Fluges zu gewährleisten
- Antemin (gegen Brechzeiz bei Schwindelanfällen)

ausserdem steht dort "Zubehör für das Hörgerät" meines linken Ohrs. Will heissen:
- drei Batterien (eine Batterie reicht für etwas mehr als eine Woche)
- ein Trockenbeutel mit Trockenkapsel (darin muss man das Hörgerät nachts trocknen lassen, damit die Elektronik nicht durch Feuchtigkeit kaputtgeht).

Ich reise ferner mit einer kleinen Karte, auf der steht: Lûtfen bana yardım edin! Morbus Meniere hastasıyım. baş dộnmesi
kulakta uiuttu saiırlık
(zu Deutsch: Bitte helfen Sie mir! Ich leide an Morbus Meniere. Schwindel Ohrgeräusch, Hörverlust)

Jaja, ich weiss: Ich habe keinen Grund zu klagen. Wenn jemand mit einem Rollstuhl verreist, ist das zehnmal aufwändiger. Trotzdem: Das alles nimmt dem Reisen jenen Geschmack der Unbeschwertheit, den es früher für mich hatte. Einfach losziehen mit nichts als einer Zahnbürste, einem Pass, zwei T-Shirts, einem Walkman und etwas Geld... das ist vorbei.

Ich reise übrigens auch nicht ohne die ständige Angst, dass der Stress meinen Ohren irgendwie schaden könnte. Denn dieses Dröhnen in beiden Ohren, das ist das Gegenteil von Reisen: Das ist Gefangenschaft im eigenen Schädel.

Aber dennoch, verdammt nochmal: Ich verreise! Am Montag früh fliegen wir nach Istanbul, und ich freue mich!

In drei Wochen bin ich zurück!

3
Jun
2008

Mein Kleiner

baumjuni2

Endlich weiss ich, was er ist: ein Ahorn!
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

September 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7660 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 25. Aug, 12:26

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren