18
Nov
2007

Das rosarote Gift

Die Tabletten kommen in einer Verpackung, auf der „Prednisolon Streuli“ steht. „Streuli“, das lässt an Sprüngli denken, an Confiserieherrlickeit, an pastellfarbene Süssigkeiten.



Tatsächlich sind Prednisolon Streuli-Tabletten rosarot. Aber sie schmecken bitter und enthalten ein gefährliches Gift: Cortison.

Es lässt die Frogg kurzsichtig werden.
Es lässt ihr die Finger anschwellen und die Haut austrocknen.
Nachts lässt es ihr das Herz rasen.
Es macht den Magen kaputt, sagt der Hausarzt.
Es lässt manche Leute aufgehen wie Kugeln, sagt Helga.
Es entzieht dem Körper Calcium.
Es kann Diabetes verursachen.

Aber es wirkt. Ich höre wieder besser.

16
Nov
2007

Romantische Streikgeschichte

Jungen Leuten gegenüber wird die Frogg allmählich wie ihre Grossmutter. Sie redet gern von ihren Jugendabenteuern und verzapft dazu in abgeklärtem Ton allerhand Lebensweisheiten.

„Ach weisst Du“, sagt sie im Büro zur Praktikantin Lea, die die Eisenbahnerstreiks in Deutschland gerade ziemlich happig findet: „Für viele ist sowas doch total aufregend. Die werden noch ihren Enkelkindern vom grossen Streik erzählen.“
Dann gibt auch die Frogg ihre grosse Streikgeschichte von anno dazumal zum besten. Es ist eine romantische Geschichte. Ich widme sie hier allen Streikgeplagten.

„Es war in Italien, anno 1984“ erzählt die Frogg, „Die Frogg war 19 und auf Maturareise mit ihrer Klasse. In Italien. In Lucca. Nach vier Tagen fuhr die Klasse nach Hause. Die Frogg aber blieb noch eine Nacht, denn sie wollte weiter nach Korsika. Sie hatte sich mit einem Kollegen namens Stanley in Livorno verabredet. Um 8 Uhr morgens. Nun begab es sich, dass gerade Eisenbahnerstreik war in Italien – und natürlich konnte am Bahnhof niemand sagen, ob die Frühmorgenzüge nach Livorno fahren würden. Stanley war telefonisch nicht mehr zu erreichen (es gab noch keine Handys). Also hüpfte die Frogg um vier Uhr morgens aus den Federn und begab sich auf den Bahnhof (wenig Schlaf und – noch besser – wenig Essen gehörten damals zu den unabdingbaren Ingredienzen eines froggschen Reiseabenteuers).

Auf dem Bahnhof standen ein paar Leute, aber kein Zug. Die Frogg beschloss, sich durchzuradebrechen. Sie hatte im Gymnasium ein Jahr Italienisch gehabt und betrachtete sich als Sprachtalent. Sie begann herumzufragen. Tatsächlich geriet sie an einen übernächtigten Mann mit Stoppelbart, einen Seemann. Ich meine mich zu erinnern, er habe einen Streifenpullover getragen. Der Seemann nahm die Frogg zu einem Zug auf einem Abstellgleis mit, schnorrte ein bisschen mit den Leuten dort und sagte dann, ja, dieser Zug fahre nach Livorno. Das Abteil, in dem die Frogg mit dem Seemann stieg, war leer. Der Frogg war die Sache nicht ganz geheuer. Aber sie blieb sitzen."

„Sollen wir jetzt weghören?“ fragte an dieser Stelle Kollege Fröhlich von dem Männerschreibtisch nebenan. Die Frogg errötete und erzählte weiter, denn jetzt kam der grosse Moment: "Weil der Seemann nicht wusste, was er sonst mit der Frogg reden sollte, begann er Gedichte zu rezitieren. An viel erinnere ich mich nicht mehr. Aber da war dieses Gedicht, in dem immer wieder das Wort „piove“ fällt, „es regnet“. Noch heute höre ich den hageren Mann mit dem Stoppelbart „piove“ wiederholen, „piove“, mit seiner sonoren Stimme, „piove“, total rhapsodisch, "piove", in diesem holpernden Zug ohne sicheres Ziel.

Wir fuhren zusammen bis nach Livorno. Dort ging er in die Bahnhofbar und bestellte Kaffee mit Eierlikör. Ich machte mich auf die Suche nach Stanley.“

Ein paarmal habe ich das Gedicht gesucht. Der Seeman hat gesagt, es sei von Gabriele dAnnunzio. Gestern bin ich endlich auf die Idee gekommen, es zu googeln.

Hier ist es.

15
Nov
2007

Blubbern und tröten

Fast schon gelassen nimmt die Frogg zur Kenntnis, dass die Lastwagen wieder einmal blubbern und tröten, die Kühlschränke kiechen und ächzen. Ich habe meine Tieftöne verloren. Wieder. Hat alles nichts genützt. Nicht die grosse Führerin, nicht Frau Bing, nicht das Trental vom Ohrenarzt.

Nur das Vieh ist kleiner geworden, die Angst. Ich weiss jetzt, dass ich nichts gegen mein Ohrenleiden tun kann. Warum sollte ich jetzt noch Angst haben?

Äh, und seien wir ehrlich: Auch gegen Angst gibt es Medikamente.

13
Nov
2007

Ist das normal?

Ist es normal, dass einer 42-Jährigen tagein tagaus zwei Fragen im Kopf herumbohren wie fresssüchtige Würmer?
Zwei Fragen die da wären: Was fange ich mit dem Rest meines Lebens an?
Und: Wer bin ich überhaupt?
Ist das normal?

9
Nov
2007

Lust und Gefahr

Er hat durchaus eine erotische Ausstrahlung, dieser Herr Yee (Tony Leung). Dennoch ist er kein Mann, mit dem frau eine Affäre haben möchte: Er kollaboriert mit dem Feind (es ist gerade Krieg, und China ist von den Japanern besetzt). Und er ist ein sadistisches Vieh. Wang Jiazhi (Wei Tang), die mit ihm anbändelt, vergewaltigt er beim ersten Schäferstündchen brutal. Nur: Wang Jiazhi hat keine Wahl. Sie muss so lange mit dem Schwein ins Bett, bis es ihr gelingt, ihn in einen Hinterhalt zu locken, in dem ihre Partisanenkollegen ihn erschiessen können.

Das ist die Ausgangslage von „Lust, Caution“, dem neuen Werk des Filmemachers Ang Lee (oder „Gefahr und Begierde“, wie er in Deutschland heisst).



Wer sich diesen Monat nur einen Film ansehen kann, sollte sich diesen ansehen. Er ist ein packendes Psychodrama mit Bildern von grosser suggestiver Kraft. Zu reden gaben vor allem die Sexszenen, in denen der Liebesakt aber eher einem Stellungskrieg gleicht als einem erotischen Zusammentreffen. Dennoch entsteht zwischen dem knallharten Kollaborateur und der zarten Widerstandskämpferin, naja, nicht Liebe, aber so etwas wie Innigkeit. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem Wang Jiazhi entscheiden muss: Liefert sie ihren Liebhaber nun wirklich ans Messer oder rettet sie ihn und bringt ihre Freunde in Gefahr? Der Moment, in dem sie entscheidet ist einer der rätselhaftesten Momente, die ich je im Kino erlebt habe. Ich frage mich nach drei Tagen noch immer: „Warum hat sie das so gemacht?“ Spekulationen sind willkommen.

Wenn ich eine Kritik an dem Film habe, dann ist es die: Er schaut zu viel bei Wong kar wai ab, von dem er sich ja auch Tony Leung geborgt hat. Ein- zweimal sieht man ihm oder Wei Tang beim Anzünden einer Zigarette zu und wähnt sich in "In the Mood for Love". Das sind Bilder, die allmählich zum Klischee werden.

Dafür liefert liefert Ang Li am Schluss noch eine der bildgewaltigsten Sterbeszenen mit, die die Frogg je gesehen hat. In der Nacht nach dem Film ist sie ein paarmal aufgewacht, hat in diesen Schwindel erregenden Abgrund geschaut und geschaudert.
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