4
Nov
2007

Schweiztümelei

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) stellt sich ja immer als Hüterin schweizerischer Werte dar. Diese Propaganda scheint bei der Frogg verfangen zu haben. Wenn sie eine Schweizerfahne sieht, denkt sie jedenfalls sofort "Blocher"*. Weshalb ihr der Anblick einer Schweizerfahne meist Unbehagen bereitet. Schon lange. So war es auch, als sie dieses Bild hier sah:

sbbfroggblog

Es prangte auch dem Umschlag, das ich von den Schweizerischen Bundesbahnen für mein Billett nach Deutschland bekommen hatte. "Wääck!" rief die Frogg, "Jetzt wird sogar die SBB schweiztümelig! Mit dieser 30er-Jahre-Aestehtik! Und diesem pathetischen Helden!"
"Ist doch alles ironisch unterlaufen!" sagt meine Freundin Helga, "Total überrieben! Und siehst Du nicht die Gummistiefel an diesem Helden?"
Ja, schon. Nur hat die Frogg bei der Zeitung gelernt, dass viele Leser keine Ironie verstehen.


* für nichtschweizer Leser: Bundesrat Christoph Blocher, das Anführer der rechtskonservativen SVP, die die letzten Wahlen so deutlich gewonnen hat.

30
Okt
2007

Schlaraffenland

Übers Wochenende habe ich meine Freundin Helga in Deutschland besucht.

Ich reiste am Freitag und bin erst heute nach Hause gekommen. „Du kannst auch länger kommen“, forderte Helga mich auf, aber ich hörte auch die warnende Stimme der Frogg: „Du kennst doch das Sprichwort: Gäste sind wie Fische. Nach drei Tagen fangen sie an zu stinken. Bleib also nicht zu lange.“

Ich entschied auf vier Tage.

Helga lebt in einem winzigen Haus in einem kleinen Dorf in der Pfalz. Das Häuschen erweist sich als Materie gewordener Traum von Fülle, als kleines Schlaraffenland. Ihre Wohnung quillt über von Bildern in wärmenden Orange- und Gelbtönen. Kaum hat man sich hingesetzt, streichen einem zwei schnurrende Kater um die Füsse. Helgas Kühlschrank ist zum Bersten voll. Da gibt’s pfälzische Wurstspezialitäten, Käse (den sie mich bringen hiess), Sahne und Kürbissuppe, Pumpernickel, so viel Salat, man könnte ein Silo damit füllen, Pumpernickel und Serrano-Schinken, und überall auf den Tischen liegt Schokolade, für das grosse Fest am Samstag.

Das gewaltigste aber ist Helgas Bibliothek. Sie hortet in ihrem Häuschen einen Bücherschatz, der eine mittelgrosse Gemeindebibliothek füllen würde – wobei ihre Interessen von der deutschen Klassik über Jane Austen via Harry Potter bis hin zu Robert Schneiders neuem Roman reichen. Und im Esszimmer prangt eine Wand mit Kunstbänden. Etwas Klimt zum Frühstück? Kein Problem. Oder doch lieber Schweizer Frühbarock oder Wiener Secession? Nur zu. Und sonst gibt’s immer noch die Wände mit Philosophie und Weltgeschichte im ersten Stock. Und abends zückt sie eine DVD aus einem der drei Koffern in der grossen, alten Bauernkommode in der Stube

A propos alte Bauernmöbel… nein, das spare ich mir. Auch davon hat Helga jede Menge. Und Porzellan.

Ich lasse es mir gutgehen bei Helga.

Am Samstag kommen ihre Freunde. Sie hat wunderbare Freunde, kennt sie alle seit 20 Jahren. Wir lassen es uns alle gutgehen.

Aber schon am Montag wird klar: Helga selber geht es nicht so gut. Mit ihrer Jobsituation steht es nicht zum besten. Aber sie will nicht drüber reden. Sie ist noch fülliger als vor einem Jahr. Und vor ein paar Monaten hatte sie eine schwere Operation.

Am Montag Abend schliesslich lässt sie mich mit ihren Büchern, den DVDs und einem immer noch vollen Kühlschrank allein. Sie ist erkältet und kann nicht mehr sprechen. Mir machen DVDs und Bücher plötzlich weniger Spass als auch schon.

Heute Mittag hat sie mich zum Bahnhof in Mannheim gefahren. Es gab einen kurzen, geflüsterten Abschied.

Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Bin ich doch zu lange geblieben? Habe ich genervt? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich weiss es nicht. Und ich glaube nicht, dass sie es zugegeben hätte, wenn ich gefragt hätte.

25
Okt
2007

Gute Ratschläge

Meine Wunderdoktorin glaubt, dass mein Ohrenleiden irgendwas mit meiner Niere zu tun hat. Sie gab mir als erstes ein paar gute Ratschläge mit auf dem Weg.
Zum Beispiel:
- „Essen sie salzig, das ist gut für die Niere!“
- „Und, oh, ihre Kleider! Sie sollten nicht schwarz tragen. Tragen Sie blau!“

Dann schickte sie mich zu einer ihrer Akupunkteurinnen namens Bing. Frau Bing kann nicht gut Deutsch, aber sie steckt mir zweimal wöchentlich das Gesicht und die Hände voller Nadeln und gibt mir dabei jedes Mal ein paar weitere gute Ratschläge mit auf den Weg:
- „Trinken Sie viel. Oh, nein, nicht kalt Wasser. Kalt Wasser schlecht für Niere. Trinken Sie heiss Wasser! Tee! Jasmin-Tee!“
- „Ziehen Sie Hut an, jetzt ist so kalt!“
- „Reiben Sie morgens und abends Ohren: So!“
- "Sie nicht so viel denken!"

Also kaufte ich mir einen scheusslichen, taubenblauen Filzhut (für eine neue Gesamtgarderobe reicht es nicht, ich brauche Geld für die Akupunktur!) und rieb mir die Ohren, wenn ich ihn gerade nicht trug. Und weil ich Jasmintee nicht mag, begann ich, jeden Tag einen Liter heisses Wasser zu trinken. Ohne gar nichts. Bizarr? Ach wo. Kaltes Wasser trinkt man ja auch ohne gar nichts. Ausserdem frönte ich genüsslich meiner Vorliebe für Parmesan und Sbrinz. Doch es half alles nichts.

Letztes Mal sagte Frau Bing dann: „Sie aufpassen bei Haare waschen! Dass kein Wasser in Ohr kommt!“

Ehrlich, da wollte ich die Sache aufstecken. Ich meine: Wenn nicht mal meine Akupunkteurin begreift, dass ich meine Probleme nicht im Gehörgang, sondern im Innenohr habe…

Aber genau nach jener Stunde begann es mir merklich besser zu gehen!
So viel besser, dass sich sogar das Vieh ein wenig beruhigt hat.

Jetzt mache ich doch weiter!

20
Okt
2007

Die grosse Chefin

Immer, wenn ich nicht mehr weiter weiss, verlege ich mich aufs Ärzteshoppen. Diesmal gehe ich zu Carmencela Schild. Die Frau ist Ärztin und Akupunkteurin und hat in Frösch den Ruf, auch schon in aussichtslosen Fällen geholfen zu haben. Sie hat überdies eine rätselhafte Herkunft, ist Latina, vielleicht sogar Indianerin, heisst es.

Frau Schild ist bekannt und gefragt. So gefragt, dass sie in einer klassizistischen Villa hinter dem Hotel Palace kleines Imperium aufgebaut hat. Dort arbeiten Akkupunkteure und Ernährungsberater, Homöopathen und Ozontherapeuten und wer weiss was sonst noch.

Als ich das erste Mal in die Villa betrat, verirrte ich mich zunächst und landete am Empfang der Akkupunktur-Abteilung. Dort wuselten chinesische Sekretärinnen vor ihren Bildschirmen. Am richtigen Empfang wuselten schweizerische und lateinamerikanische Sekretärinnen vor ihren Bildschirmen. All diese Bildschirme hatten eins gemeinsam: In irgend einer Ecke prangte auf ihnen ein Bild von Carmencela Schild, lichtumflort, die mit dem siegesbewussten Anflug eines Lächelns in die Kamera blickt wie weiland der Massimo Lider.



Oder vielleicht doch wie der Grosse Vorsitzende:



So wusste ich schon, wie die Chefin aussah, als ich sie schliesslich vor mir hatte: freundlich, selbstsicher und aufmerksam.

Ich schilderte ihr mein Problem.

„Ich kann Ihnen helfen“; sagte sie. „Aber es ist etwas kompliziert und wird lange dauern.“

Und es wird teuer werden, verdammt!

18
Okt
2007

JETZT

Wenn die Frogg wieder mal Angst hat, dann erinnere ich sie jeweils daran, dass sie lernen muss, jetzt zu leben. JETZT! Dann sagt sie jeweils: „Aha. Ich soll also ein Goldfisch werden“ und zitiert mir aus der Schulabschluss-Rede von Blue van Meer vor:

"People make fun of the goldfish. People don't think twice about swallowing it." ... But: "If you live like a goldfish"... "you can survive the harshest, most thwarting of circumstances. You can live through hardships that make your cohorts - the guppy, the neon tetra - go belly up at the first sign of trouble." ... "The most incredible thing about goldfish ... is their memory. Everyone pities them for only remembering their last three seconds, but in fact, to be so forcibly tied to the present – it’s a gift. They are free. No moping over missteps, slip-ups, faux pas or disturbing childhoods. No inner demons. Their closets are light filled and skeleton free…..» S. 251 aus diesem Taschenbuch:



Zu Deutsch: "Die Leute machen sich lustig über Goldfische. Die Leute zögern nicht, sie hinunterzuschlucken." Aber: " Wenn Du lebst wie ein Goldfisch, kannst Du die härtesten, frustrierendsten Umstände überleben. Du kannst Entbehrungen überstehen, die Deine Kollegen, den Millionenfisch und den Neonsalmler schon beim ersten Anblick dazu bringen würden, mit dem Bauch nach oben zu schwimmen. Das Unglaublichste an Goldfischen ist ihr Gedächtnis. Jeder bemitleidet sie dafür, dass sie sich nur an ihre letzten drei Sekunden erinnern. Aber so unerbittlich an die Gegenwart gefesselt zu sein, ist eigentlich ein Geschenk. Goldfische sind frei. Bei Goldfischen gibt’s kein Trübsal blasen über Fehler, Missgeschicke, Tritte ins Fettnäpfchen oder schlimme Kindheiten. Keine inneren Dämonen. Die Schränke von Goldfischen sind gut beleuchtet und skelettfrei.“ (Übersetzung von mir)

Na prima!
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