2
Okt
2007

Frogg'sches Manifest

Geschätzte Leser, ich entschuldige mich hiermit in aller Form für meinen wehleidigen letzten Eintrag. Eigentlich wollte ich ihn offline setzen, aber unterdessen habe ich es mir anders überlegt. „Warum soll ich nicht über mein Ohrenleiden schreiben?“ fragte ich mich.
Andere Leute haben eine Karriere. Machen aussergewöhnliche Reisen. Ich begann dieses Journal einer Kussbereiten, und was küsste mich ohne zu zögern? Mein Ohrenleiden. Meine beste Freundin Helga, die für jede Lebenslage einen Kommentar von klassischer Schwere hat, hat über dieses Ohrenleiden einmal gesagt: „Also das, das ist ein Schicksal.“ Ich habe es mir nicht ausgewählt, aber Viktor Klemperer hat sich die Nazis auch nicht ausgewählt und sein Leben im Nazistaat trotzdem getreulich dokumentiert.

Mein Ohrenarzt befiehlt mir das Unvermeidliche: Ich solle mich damit abfinden, dass mein Kopf am Morgen dröhnt und sich tiefe Töne aus einer blubbernden Klangsuppe nur zögerlich herausschälen. „So lange sich Ihr rechtes Ohr noch täglich einmal erholt, bleiben wir beim Trental. Wenn das nicht mehr der Fall ist, wechseln wir auf stärkere Medikamente.“ Man kann nicht immer Cortison nehmen. Prognose: immer noch keine. Ich weiss nur eins: Alles ist möglich. Mein Ohrenleiden hat bis jetzt alle Worst- aber auch alle Best Case-Szenarien übertroffen.

Aber seid versichert, geschätzte Leser: Ich will hier nicht jammern. Noch wirkt das Trental. Noch kann ich Musik hören, noch arbeite ich, noch kann ich ohne Probleme mit Herrn T. über die Zeitung von heute diskutieren. Und ich arbeite an meinem Krimi. Ich habe ein Leben, ich habe vor, es zu behalten, und auch darüber werde ich schreiben!

26
Sep
2007

Töne verloren

Schon wieder habe ich meine Tieftöne verloren. Gestern Abend bei meiner Tätigkeit als Nachtschattengewächs. Kurz vor Mitternacht sauste der Computer in meinem Büro nicht mehr. Er blubberte nur noch schwächlich. Vielleicht war Mahmund Ahmadinejad schuld. Er redete ja am gestern Abend beim Uno-Sicherheitsrat in New York verdammt spät. So spät, dass Kollege Apfelesser und ich seine Rede nur noch halbgar und unter höchster Hektik ins Blatt brachten. Nun ja, egal. Ich fürchte, Ahmadinejad interessiert sich nicht für den Zustand meines Gehörs.

Um 1 Uhr morgens war ich zu Hause. Ich zitterte vor Angst und warf ein, was ich in solchen Lebenslagen immer einwerfe: zwei Trental 400.

Über Nacht verschwand das Donnern, und die Töne fanden sich wieder ein. Um 6 Uhr morgens erwachte ich zum fröhlichen Sprudeln meiner Heizung. Aber ich zittere immer noch. Wird das jetzt nie mehr weggehen? Behalte ich mein Gehör jetzt nur noch bei dank der Einnahme hoher Dosen von Medikamenten?

Wer das nie erlebt hat, kann das vielleicht nicht verstehen. Aber ich bete. Ja, ehrlich, ich bete. Ich bete dafür, dass ich einen Weg finde, so überhaupt zu leben.

Hingehen!!!

Natürlich bin ich befangen, wenn es um Darko Vulic geht. Schliesslich haben wir schon zusammengearbeitet. Aber auch wenn es nicht so wäre, würde ich jedem, der keine wirklich wasserdichte Ausrede hat, befehlen: Geht nach Delémont und schaut Euch Darkos neue Ausstellung an.

Darkos Arbeit "100 mètres de dessins" ist ein Blog auf Papier – und zwar ein guter Blog. Intim und dennoch geheimnisvoll, verschlüsselt. Ein Tagebuch bestehend aus lauter Federzeichnungen, die auf langen Papierrollen mal ineinander fliessen, mal streng durch einen Strich getrennt sind wie zwei Tage durch eine Nacht. Auch wer Zeichnungen sonst blutleer findet, sei beruhigt: Darkos Feder führt kräftige Tinte.

Nebst den Papierrollen zeigt Darko farbige Arbeiten in diesem Stil.




Wer nahe hingeht, erlebt ein Farbenwunder!

Aber Achtung: nur noch dieses Wochenende!

19
Sep
2007

Arme Angelina Jolie

Jeder Film, jedenfalls jeder Hollywoodfilm, folgt einem Grundgedanken, einer Art Lehrsatz. Der Lehrsatz von "A Mighty Heart" ist: "Wir lassen uns vom Terrorismus nicht unterkriegen, und sei er noch so schrecklich." Am Schluss fasst die Heldin Mariane Pearl (Angelina Jolie) diesen Gedanken auch in Worte.

Nur: Am Anfang des Films sieht es anders aus. Zunächst sieht man ja, wie Mariane's Mann,der Journalist Daniel Pearl in Karachi noch schnell ein Interview mit einem Terroristen namens Scheich Gilani in den Kasten bringen will, bevor er mit seiner schwangeren Frau zurück in den Westen reist. Ihm ist klar, dass dieses Treffen riskant ist. Dennoch will er den Termin unbedingt wahrnehmen. Und so wird er entführt, wird später umgebracht und hinterlässt eine schwangere Witwe. An dieser Stelle sagte Zuschauerin Frogg Kino peinlich laut: "Der Grundgedanke dieses Films ist doch: 'Wenn ein Mann eine schwangere Frau hat, sollte er nicht leichtfertig für so genannt höhere Ziele Risiken eingehen.'" „Schschsch, nicht doch!“ sagte ich, „das wäre doch ein biederer und höchst verwerflicher Lehrsatz!“

Nur: Der erste Eindruck der Zuschauerin Frogg verstärkt sich zunächst. Weil der Film nicht erklärt, warum sich das Risiko dieses Treffens mit Scheich Gilani lohnt. Warum ist es für Pearl‘s Arbeit so relevant, dass er sein Leben dafür riskiert? Ehrlich gesagt, ich weiss es jetzt noch nicht, und ich halte das für eine grosse Schwäche des Films.

Nun wäre die Frogg wäre die Letzte, die den Wert von engagiertem Journalismus anzweifeln würde. Sie ist aber nicht die letzte, die die Frage stellen würde, welchem Ziel eine bestimmte journalistische Arbeit dient. Schliesslich hat sie in in ihrem Berufsleben zwei Dinge gelernt: Zeitungen müssen finanziell überleben. Und: Sie dienen zuallererst den Bedürfnissen ihrer Leser (wie immer diese gelagert sein mögen).

Aber an jenem Abend im Kino wollte ich einfach glauben, dass der Journalismus von Daniel Pearl nichts anderem diente als der Wahrheit und nochmals der Wahrheit und dann noch der Völkerverständigung. Wenn ich mich da ein bisschen anstrenge und der Zuschauerin Frogg den Mund zuhalte, dann gefällt mir der Film und ich kann ihm drei oder vielleicht sogar dreieinhalb Sterne geben.

Dennoch bleibt meine Liebslingsszene in dem Film eine, die der Zuschauerin Frogg irgendie Recht gibt. Eine Szene ganz am Schluss – eine Rückblende auf das Hochzeitsfest von Marian und Daniel.



Während der Zeremonie muss Daniel ein in ein Handtuch gewickeltes Glas zum Scherben treten, "ein Zeichen der Reinheit und der Zerbrechlichkeit menschlichen Glücks". Daniel tritt ohne zu zögern auf das Glas, kraftvoll und mit lächelnder Nonchalance. Er ist eben doch ein leichtsinniger Kerl.

14
Sep
2007

Für Krimileser

Ich gehöre nicht zu jenen, die schon beim Lesen der ersten Sätze eines Romans entscheiden, ob sie ihn mögen werden oder nicht. Ich brauche brauche meistens ein paar Seiten, muss mich beim Lesen anwärmen in einem Buch wie beim Baden in einem See. Das gilt auch bei der Krimilektüre, in die man ja theoretisch reinknallen müsste als käme man vom Dreimeterspringbrett. Nur: Mir kann man in den ersten Sätzen lange mit hässlichen Leichen kommen. Meistens glaube ich die dem Autor erst so ab Seite 16.

Einen richtigen Schocker-Einstieg habe ich aber kürzlich erlebt. Bei diesem Lesestart: "Die Kleine krabbelte vergnügt auf dem Boden herum. Als er ihr endlich das Teil, an dem sie zufrieden herumkaute, aus der Hand nehmen konnte, erkannte er gleich, dass es sich um einen menschlichen Knochen handelte." A us Arnaldur Indridason: "Todeshauch", Bastei, 2005. Führt vom Herzig-Alltäglichen fadengerade ins abgrundtiefe Grauen. Und das Beste ist: Da bleibt er auch. Fast durchwegs überzeugende 364 Seiten lang.

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11
Sep
2007

Ich liebe Lastwagen

Wer noch nie Gehörprobleme gehabt hat, kann das vielleicht nicht verstehen. Aber ich liebe die Geräusche von Lastwagen.
Ich liebe besonders das feuchte Räuspern alter Saurer-Elefanten, wenn Sie von der Ampel wegziehen.
Ich liebe auch die vielstimmige Musik von Kühlschränken.
Das Summen unserer Abwaschmaschine.
Das Wispern unserer Klospülung.
Das Murmeln der Gewässer in unserer Heizung.
Das ernste Surren vorbeiziehender Kleinflugzeuge.

Ich würde alles tun, um all das weiter zu hören.
Es geht wieder. Das Cortison hat gewirkt.
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Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
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Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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