5
Jul
2005

Garten an der B-Avenue

New York ist nichts für mich, dachte ich. New York ist downtown Welt, dachte ich. New York ist etwa für Wichtsäcke, für Möchtegerns, für Super-Ehrgeizige. Ich, Philemon Frogg, bin nichts von alledem. Ich gehöre in Orte wie Frösch. Und Frösch ist, global betrachtet ein ziemlich abgelegener Vorort von New York. Ein Ort für Durchschnittsmenschen, für die nicht so ehrgeizigen. Für die, die nur heimlich etwas sonderbar sind. Wirklich: nur heimlich

In New York, dachte ich, ist wahnsinnig viel los. Und das kann ich nicht brauchen. Ich brauche zwar Erholung von Frösch. Vom Fröscher Tagblatt. Von den Fröscher Zwängen und Diskussionsloops und von den Fröscher Kleinlichkeiten und Peinlichkeiten. Aber ich brauche Ruhe. Grüne Wiesen, die das Auge schonen, Vogelgezwitscher.

Aber dann führte der Tiger mich bis tief hinunter in die Lower East Side. Vorbei am Gemüsemarkt, vorbei an der Augen-Ohrenklinik. Vorbei am verregneten Flohmarkt, vorbei am Park, in dem die Spaziergänger Rücksicht auf die Anwohner nehmen sollen, und im dem doch irgend eine Techno-Party im Gange ist. Dorthin, wo die B Avenue und die 6. Strasse sich kreuzen. Dort liegt ein Kleiner Garten.



Der 6B Garten ist alles, was das Frösch von Philemon Frogg nicht ist. Der 6B Garten wuchert, er überbordet, er blüht und fault, er ist unordentlich, er riecht nach Pollen und Bürgeraktion, nach Experiment und Hängerei, er scheint aus einer anderen Zeit zu stammen, er enthält keine einzige Tulpe und keine einzige Geranie, und er ist doch voller wunderbarer Blumen.

Überhaupt: Bei „Sex in the City“ (über das ich vor allem viel gelesen habe) hat man doch den Eindruck, in New York laufen die Leute nur in den trendigsten Outfits rum (und dann weiss man ja, dass in New York zudem viele Obdachlose rumlaufen). Aber das ist längst nicht alles. In New York laufen eine Menge Leute rum, die so tun, als hätten sie das Wort Mode noch nie gehört. Als könnten sie in einer Welt leben, in der sie sich selber sein und das auch zeigen dürfen.

Das durfte ich auch mal, als ich jünger war. Ich hatte fast vergessen, dass es Orte gibt, wo das möglich ist. Es ist ein Trost. Auch wenn man es selber nur in den Ferien darf.

3
Jul
2005

Der Geruch von New York

Ja, wir sind wieder in der Schweiz. Gestern früh in Zürich angekommen.

Nur eine Stunde hatte ich geschlafen im Flugzeug von Amerika herüber. Die ganze, kurze Nacht im Flugezug irrt der Blick ständig über Dutzende von Video-Monitoren.

Der auf meinem Vordersitz zeigte so jede halbe Stunde einen Werbespot für eine schicke Boutique in New York. In einer Szene verlassen zwei schicke Blondinen den Laden und schlendern angenehm plaudernd die..., sagen wir, ...Lexington Avenue hinunter. Und jedes Mal, wenn die Frogg wie in einem ständig sich wiederholenden Traum die Szene sieht, sagt sie: «Da stimmt etwas nicht...» und etwa beim vierten Mal sagte sie: «Ja, genau, jetzt weiss ich, was nicht stimmt! Die verziehen nie ihre Näschen. Dabei stinkt die Lexington Avenue.»

Jawohl. Die Lexington Avenue stinkt. Nicht immer und nicht überall. Aber gelegentlich auch an den besten Adressen stinkt New York nach Kotze. «Und nach verdorbenem Fleisch im Abfall!» behauptet Philemon Frogg und meint diesen süsslichen, nicht identifizierabren Geruch den Kehrichtsäcken, den es in der Schweiz nicht gibt.

Natürlich stinkt es nicht überall und nicht nur. Der erste Geruch, der mir in New York entgegenkam, war der Duft nach Jasmin. Er entstieg als heisse Wolke einem
weissen Hemd, das gerade aus der Wäscherei kam. Ein chinesischer Kellner trug das Stück in einer Plastikfolie mit sich herum. Im J-Train, in dem er vor drei Wochen vom Kennedy Airport in die Stadt hineinfuhr.

Wie wir.

A propos Kenned-Airport... Mittlerweile ist Schluss mit den gutgläubigen Fragen auf den Immigration-Formulärchen. Man wollte lediglich von uns wissen, ob wir an den Verbrechen des Dritten Reiches von 1933 bis 1945 beteiligt gewesen seien. Das war eine Frage, die glaube ich, früher nicht im Immigrations-Fragebogen war. Vielleicht ein diplomatischer Hinweis von Uncle Sam an uns kriegsunwillige Europäer.

«Seht her, liebe Europäer», sagt uns Uncle Sam damit, «Es ist etwas Gutes, der Menschheit Diktatoren vom Hals zu schaffen.»

Ansonsten gehen die Immigration Officers heute wieder brachial zur Sache und nehmen allen Nicht-Amerikanern an ihren Grenzen gleich die Fingerabdrücke ab. Links und rechts, wohlgemerkt. Und dazu fotografieren sie einen. Nicht, dass einem jemand sagen würde, was sie damit vorhaben, bewahre! Unangenehm, wenn schon Ferien machen in einem Land erst mal verdächtig ist. Nur auszuhalten, weil man am Kennedy-Airport sieht, welche Menschenscharen Tag für Tag aus der ganzen Welt über Amerika hereinbrechen. «Was sollten die Amerikaner da ausgerechnet an den Fingerabdrücken von Philemon Frogg und Herrn Tiger interessant finden?» Sagt jedenfalls Philemon Frogg. Dennoch. Unangenehm.

Neulich habe ich gelesen, dass die USA in Sachen Einwanderung immer wieder gegen Menschenrechte verstossen habe. Man hat Kommunisten rausbehalten und sei auch rassistisch gewesen sind – natürlich gegen nicht-weisse Einwanderungswillige.

Aber im J-Train wird einem klar, dass den Amerikanern da etwas misslungen ist. Falls sie die Absicht hatten, eine rein weisse Gesellschaft zu werden jedenfalls. Denn hier im J-Train sind Herr Tiger und die Frogg die hellhäutigsten Zugpassagiere. Die Durchschnittsfarbe ist caramel, die einzelnen Gesichter haben mal eher asiatischen, mal eher latino, mal eher afrikanischen Einschläge.

Na gut, wer hier draussen beim Kennedy-Airport wohnt und J-Train fährt, gehört vielleicht nicht gerade zu den reichsten Amerikanern. Die sind wohl immer noch grossmehrheitlich weiss. Aber die Stimmung im Zug ist entspannt und die Holzhäuschen, die draussen vorbeiziehen, sehen recht malerisch aus. Die meisten, jedenfalls.

Und es riecht nach Jasmin. Und es ist heiss.

«Ich glaube, ich mag New York», sagte die Frogg. Und sie sagte es auch später noch, als sie die Kotze schon gerochen hatte.

8
Jun
2005

Ins Maul geschaut

Ich glaube, für eine Liste von Amerikaner-Klischees habe ich keine Zeit mehr. So eine Reise organisieren gibt aber auch verdammt viel Arbeit!

Am Samstag fliegen wir. Ich bin gespannt, wie die Einreise diesmal wird. 1997 musste noch jeder, der einreiste, schriftlich Fragen beantworten wie: «Sind Sie drogensüchtig?» «Tragen Sie Waffen mit sich?» Als ob jemand, der wirklich eine Waffe auf sich trug, diese Frage wahrheitsgetreu beantwortet hätte!

1992 löcherte dieser US-amerikanische Zollbeamte in Toronto unsere Frogg mündlich mit Fragen und nannte sie dabei immer «Madam!». Als wäre sie eine schlagkräftig aussehende Matrone, ein durchtriebenes Stück. Naja, vielleicht entsprachen so schäbig gekleidete, unbedarfte, potenziell linksalternative Studentinnen wie die Frogg damals noch einem Feindbild der amerikanischen Einwanderungsbehörden. Und vielleicht machte der Zöllner sie einfach grösser als sie war, damit er mehr zum kleiner machen hatte. Vielleicht glaubte er sogar, sie damit einzuschüchtern. Aber die Frogg war nicht richtig eingeschüchtert, nur milde irritiert. Man ist ja nach zehn Stunden Reise nicht unbedingt frisch genug, sich unnötig aufzuregen.

Simone de Beauvoir schauten sie 1947 in New York sogar noch ins Maul, mitten in der Nacht: «Ein Arzt untersucht zerstreut unsere Zähne, als wären wir Pferde, die verkauft werden sollen.» (27. Januar)

Nach 20 Jahren reisen glaube ich: Ein Staat muss auch harmlose Touristen seine Macht merken lassen, am besten bei der Einreise. Aber meistens wirken die getroffenen Massnahmen müde und unzeitgemäss. Wie die stehengebliebenen DDR-Wachttürme in Berlin.

Nur: Nach dem 11. September 2001 können es sich die Amerikaner wohl nicht mehr leisten, unzeitgemäss zu sein. Und ich muss sagen: Sie haben Fortschritte gemacht. Zumindest, was die Einschüchterung betrifft. So herrscht in der Schweiz derzeit weit reichende Unkenntnis darüber, was es eigentlich braucht, um in die USA zu reisen. Ein Visum? Einen biometrischen Pass? Diese Unsicherheit trägt dazu bei, dass viele sagen: «Also, in die USA würde ich sowieso nicht reisen! Die wollen Dich total überwachen!» Womit man wohl die falschen Leute einschüchtert. Aber item.

Auf dem Einwohnerdienst von Frösch erklärten sie dann der Frogg: Es braucht gar nichts von all dem. Nur einen normalen Pass. Jedenfalls bis im Herbst. Ab dann braucht es einen biometrischen Pass oder ein Visum.

Was die Frogg nicht von Vorarbeit befreite, und auch nicht den Tiger. Denn beide brauchten einen neuen Pass. Und einen solchen zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Wegen der Fotos. «Heute ist ein Passfoto schiessen eine exakte Wissenschaft!» jammerte Philemon, als sie vor dem Passbild-Automaten stand. Man muss den Kopf genau ins Oval auf der Glasscheibe halten. Man darf keine Halstücher, Hüte, Brillen und wohl auch keine grossen Haarspangen tragen (aber man darf die Haare färben, seltsamerweise). Der Hintergrund muss hell sein, und so weiter, es nimmt kein Ende mit Anweisungen. Und dann soll man auch noch lächeln.

Philemon konnte all diese Anweisungen zwar befolgen, wenn auch ohne Lächeln, dafür mit einem bohrenden Blick. Ich weiss nicht, ob der dem Passmenschen in Amerika gefällt.

Aber der Tiger konnte es nicht. Die im Passbüro schickten ihn ein zweites Mal in den Foto-Automaten, weil er beim ersten Mal den Kopf nicht an der richtigen Stelle hatte. Jetzt sieht der arme Tiger auf dem Bild aus wie ein verschreckter Irrer.

Aber jetzt haben wir beide einen Pass. Am Samstag reisen wir. Ich bin gespannt, ob sie uns ins Maul schauen werden.

1
Jun
2005

Amerika lieben und hassen

Dass Begeisterung und Ablehnung gegenüber Amerika sich bei Europäern überlagern, scheint kein neues Phänomen zu sein. Simone de Beauvoir schreibt in ihrem Amerika-Tagebuch zum 5. Februar 1947: «Während dieser ersten Woche war ich von meiner Entdeckung New Yorks viel zu entzückt, um mich von der Lektüre der Tagespresse und der Wochenschriften deprimieren zu lassen. Aber heute Vormittag steigen Wut und Furcht ... wieder in mir auf.» Ursache: Kommunistenhetze, der Kalte Krieg. De Beauvoir weiter: «Europa ist jetzt schon ein Schlachtfeld, und jede Intervention ist gestattet. Man spricht von Europa wie von einem kläglichen, aber unfügsamen Vasallen – und besonders Frankreich gilt als ein sehr unfolgsames Kind.»

Ihre Wut konzentriert sich dann auf einen Chefredaktor, den sie in seinem Büro trifft: «Der grosse Direktor schwingt in seinem Drehsessel herum. Von der Höhe seiner eigenen und der amerikanischen Macht im allgemeinen wirft er mir einen ironischen Blick zu: also in Frankreich amüsiert man sich mit dem Existentialismus? ... Seine Verachtung gilt ... der Vermessenheit eines wirtschaftlich armen Landes, das sich herausnimmt, zu denken. Ist es nicht lächerlich, denken zu wollen, wenn man nicht den Vorzug hat, zu den Köpfen einer grossen amerikanischen Zeitung zu zählen – was übrigens vom Denken dispensiert?»

Es ist nicht sonst nicht meine Art, hier so viel zu zitieren. Aber das hier illustriert so schön, was ich die ganze Zeit schon über das Reisen nach Amerika und unsere Wahrnehmung der Welt im allgemeinen sagen will. Ich glaube, dass man beim Reisen nichts Neues entdecken kann. Ich glaube, der Geist eines jeden ist wie ein Haus auf einem Grundstück. Man kann es neu einrichten und neu streichen, ausschmücken und dekorieren. Man kann Möbel im Estrich und im Keller verstecken und wieder herausholen. Aber es bleibt ein Haus auf einem Grundstück, und erstaunlich viel daran ist vorgefertigt.

Zum Beispiel unsere Ideen über Amerika.

Wir Europäer lieben und hassen Amerika ist also ein fremdfabriziertes Möbelstück in meinem Gedankenstübchen. Aber eben habe ich wenigstens durchschaut, wie es funktioniert: Wir lieben und hassen Amerika, weil Amerika mächtig ist. Weil wir alles lieben und hassen, was mächtig ist.

Und dann schwingt in diesem Text von de Beauvoir noch ein anderer Gedanke mit, der zur Möblierung auch meines Gedankenstübchens gehört: Die Amerikaner sind dumm. Die Amerikaner können die Schweiz nicht von Schweden unterscheiden. Und noch weniger Lugano, Locarno und Lausanne. Auf der anderen Seite: Wer von uns kann Armenien und Aserbeidschan so genau auseinanderhalten? Eben. Die Amerikaner müssen sich von uns nicht vorschreiben lassen, was sie wissen und worüber sie nachdenken sollen. Sie sind mächtig.

Bevor ich nach Amerika reise, werde ich also eine Liste von Klischees über Amerika sammeln. Die werde ich dann noch vorlegen, bevor ich fliege.

9
Mrz
2005

Und tschüss

Derzeit mache ich, was zorra kürzlich vorgeschlagen hat: Ich arbeite an einem Buch. Oder versuche es wenigstens. Keine Zeit für was anderes. Sollte sich das ändern, melde ich mich wieder! Bis dann Gruss an alle meine neu gefundenen Freunde hier!
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