3
Jul
2005

Der Geruch von New York

Ja, wir sind wieder in der Schweiz. Gestern früh in Zürich angekommen.

Nur eine Stunde hatte ich geschlafen im Flugzeug von Amerika herüber. Die ganze, kurze Nacht im Flugezug irrt der Blick ständig über Dutzende von Video-Monitoren.

Der auf meinem Vordersitz zeigte so jede halbe Stunde einen Werbespot für eine schicke Boutique in New York. In einer Szene verlassen zwei schicke Blondinen den Laden und schlendern angenehm plaudernd die..., sagen wir, ...Lexington Avenue hinunter. Und jedes Mal, wenn die Frogg wie in einem ständig sich wiederholenden Traum die Szene sieht, sagt sie: «Da stimmt etwas nicht...» und etwa beim vierten Mal sagte sie: «Ja, genau, jetzt weiss ich, was nicht stimmt! Die verziehen nie ihre Näschen. Dabei stinkt die Lexington Avenue.»

Jawohl. Die Lexington Avenue stinkt. Nicht immer und nicht überall. Aber gelegentlich auch an den besten Adressen stinkt New York nach Kotze. «Und nach verdorbenem Fleisch im Abfall!» behauptet Philemon Frogg und meint diesen süsslichen, nicht identifizierabren Geruch den Kehrichtsäcken, den es in der Schweiz nicht gibt.

Natürlich stinkt es nicht überall und nicht nur. Der erste Geruch, der mir in New York entgegenkam, war der Duft nach Jasmin. Er entstieg als heisse Wolke einem
weissen Hemd, das gerade aus der Wäscherei kam. Ein chinesischer Kellner trug das Stück in einer Plastikfolie mit sich herum. Im J-Train, in dem er vor drei Wochen vom Kennedy Airport in die Stadt hineinfuhr.

Wie wir.

A propos Kenned-Airport... Mittlerweile ist Schluss mit den gutgläubigen Fragen auf den Immigration-Formulärchen. Man wollte lediglich von uns wissen, ob wir an den Verbrechen des Dritten Reiches von 1933 bis 1945 beteiligt gewesen seien. Das war eine Frage, die glaube ich, früher nicht im Immigrations-Fragebogen war. Vielleicht ein diplomatischer Hinweis von Uncle Sam an uns kriegsunwillige Europäer.

«Seht her, liebe Europäer», sagt uns Uncle Sam damit, «Es ist etwas Gutes, der Menschheit Diktatoren vom Hals zu schaffen.»

Ansonsten gehen die Immigration Officers heute wieder brachial zur Sache und nehmen allen Nicht-Amerikanern an ihren Grenzen gleich die Fingerabdrücke ab. Links und rechts, wohlgemerkt. Und dazu fotografieren sie einen. Nicht, dass einem jemand sagen würde, was sie damit vorhaben, bewahre! Unangenehm, wenn schon Ferien machen in einem Land erst mal verdächtig ist. Nur auszuhalten, weil man am Kennedy-Airport sieht, welche Menschenscharen Tag für Tag aus der ganzen Welt über Amerika hereinbrechen. «Was sollten die Amerikaner da ausgerechnet an den Fingerabdrücken von Philemon Frogg und Herrn Tiger interessant finden?» Sagt jedenfalls Philemon Frogg. Dennoch. Unangenehm.

Neulich habe ich gelesen, dass die USA in Sachen Einwanderung immer wieder gegen Menschenrechte verstossen habe. Man hat Kommunisten rausbehalten und sei auch rassistisch gewesen sind – natürlich gegen nicht-weisse Einwanderungswillige.

Aber im J-Train wird einem klar, dass den Amerikanern da etwas misslungen ist. Falls sie die Absicht hatten, eine rein weisse Gesellschaft zu werden jedenfalls. Denn hier im J-Train sind Herr Tiger und die Frogg die hellhäutigsten Zugpassagiere. Die Durchschnittsfarbe ist caramel, die einzelnen Gesichter haben mal eher asiatischen, mal eher latino, mal eher afrikanischen Einschläge.

Na gut, wer hier draussen beim Kennedy-Airport wohnt und J-Train fährt, gehört vielleicht nicht gerade zu den reichsten Amerikanern. Die sind wohl immer noch grossmehrheitlich weiss. Aber die Stimmung im Zug ist entspannt und die Holzhäuschen, die draussen vorbeiziehen, sehen recht malerisch aus. Die meisten, jedenfalls.

Und es riecht nach Jasmin. Und es ist heiss.

«Ich glaube, ich mag New York», sagte die Frogg. Und sie sagte es auch später noch, als sie die Kotze schon gerochen hatte.
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