21
Nov
2014

Meer in mir

Auf vielseitigen Ratschlag habe ich mir den Film Das Meer in mir (Mar adentro) angeschaut - es ging um die Frage, wie der Streifen den assistierten Freitod thematisiert.


(im Bild Javier Bardem als der sterbewilliger Tetraplegiker Ramon Sampedro).

Und, ja, ich habe den Film gemocht. Ramon Sampedro ist sicher eine sehr viel interessantere Figur als dieser unsägliche Will Traynor aus dem Roman "Ein ganzes halbes Jahr" von Jojo Moyes (über den ich hier ausführlich gelästert habe).

Aber ich gestehe: Ich habe in diesem Film nicht geweint. Ich habe gewartet. Vergeblich. Ich finde: Der Film krankt am gleichen Problem wie das Buch von Moyes. Es gibt keine überzeugende Argumentation dafür, wieso der Sterbewunsch dieses einen bestimmten Menschen legitim sein soll. Um ehrlich zu sein: Ich verstehe, dass ein Gericht Mühe hat, diese Sprachlosigkeit - noch dazu von einem Poeten - zu akzeptieren.

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Teufels Advokatin - 21. Nov, 22:17

Also, ...

... ich bin ja immer fürs Argumentieren und so.

Aber wenn ich das Bild so anschaue (ich nehme an, der Mann kann nur den Kopf bewegen und hält deshalb diesen Stab im Mund), dann frage ich mich, ob man von einem dergestalt geschundenen Menschen wirklich eine geschliffene Begründung für seinen Wunsch auf Erlösung verlangen muss.

diefrogg - 22. Nov, 10:49

Ja, das hat etwas.

Ich habe mich auch gefragt, warum ich mit einem solchen Starrsinn auf eine plausible Erklärung warte. Ich glaube, es hat zwei Gründe.

Der eine ist ästhetisch: Ich erwarte von einem Kunstwerk, das es mir die Kausalitäten seines Hauptthemas erklärt. In Liebesgeschichten wird ja meistens auch erklärt (oder gezeigt) warum zwei Menschen sich zu einander hingezogen fühlen. In Krimis haben wir ein Mordmotiv. etc. Von anspruchsvollen Romanen, die nicht so deutlich einem Genre zuzuordnen sind, ganz zu schweigen.

Der zweite ist ein persönlicher. Ja, ich möchte wissen, wie sich andere Menschen das Leben lebenswert machen. Oder warum es ihnen nicht (mehr) gelingt. Der Wunsch zu sterben ist ja im wahrsten Sinn des Wortes ein existenzieller Wunsch - man möchte doch wissen, was für Gedanken sich solche Menschen gemacht haben.
walküre - 24. Nov, 15:34

Der Wunsch

nach dem Ende des eigenen Lebens resultiert z.B. aus einem Mangel an Lebensqualität, der zumindest zu einem Teil nicht mehr ausgeglichen werden kann, weil man selber schon alt ist, ein oder mehrere Lebensmenschen bereits gestorben sind, man trotz Medikation mit ständigen Schmerzen leben muss, man selber voller Qual in lichten Momenten erkennt, dass einem der Verstand langsam, aber sicher abhanden kommt.
Es gibt nicht wenige alte Menschen, die sich den Tod wünschen, nur schrecken viele aus Glaubensgründen und aufgrund der Unmöglichkeit von legaler Sterbehilfe (in Österreich) vor dem letzten Schritt zurück.
diefrogg - 24. Nov, 19:35

Nach längeren Diskussionen ...

mit Freunden teile ich im Wesentlichen diese Einschätzung - und habe doch den Eindruck, dass das alles sehr, sehr komplex ist.

Was mich schockiert hat, ist die Tatsache, dass die Suizidraten tatsächlich bei Menschen in hohem Alter ansteigen. Nachdem zwei meiner Jugendfreunde unter wirklich unglücklichen Umständen freiwillig und unter Aufwendung brutaler Gewalt aus dem Leben geschieden waren, nahm ich: Wer die 30 mal erreicht hat und ohne unfassbare Katastrophen durchs Leben kommt, ist gefeit. Ist aber nicht so.

Warum ich "gefeit" schreibe? Weil ich nicht ganz loskomme von der Vorstellung, dass der Suizid eine Art moralisches Versagen, Ausdruck eines Versagens ist. Aber ich halte es für möglich, dass ich mich irre.
walküre - 24. Nov, 20:07

"Moralisches Versagen", das klingt bei allem Respekt Ihnen gegenüber in diesem Kontext doch sehr nach ziemlich vehementem christlichem Einfluss. Was ist, wenn ein Mensch - um bei meinem Beispiel zu bleiben - in hohem Alter und unter den erwähnten Umständen einfach nur müde ist, lebensmüde im wahrsten Sinne des Wortes? Weil er beim besten Willen keine anderen Perspektiven mehr hat als Einsamkeit, Krankheit und Schmerzen?

Komplex ist das Sujet freilich, schon alleine, weil man Menschen nicht über einen einzigen Leisten schlagen kann.
diefrogg - 24. Nov, 21:35

Was ist per se...

falsch mit einem christlichen Einfluss?
walküre - 24. Nov, 22:34

Wie er mit massivem christlichem (und hier vor allem katholischem) Einfluss umgeht, muss jeder Mensch für sich selber entscheiden, für mich stellt er in der negativen Ausprägung eine Religion dar, die Menschen unterdrückt und ihnen die Gedankenfreiheit nimmt.
diefrogg - 26. Nov, 13:39

Opium fürs Volk

Ja, Ihre Meinung kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich habe ja auch tatsächlich eine katholische Kindheit gehabt. Auch für mich ist die katholische Kirche nicht in erster Linie die Institution der Nächsten- und Gerechtigkeitsliebe, für die sie sich gern ausgibt.

Mein Umgang mit meinem katholischen Erbe ist kompliziert. Aber es hat auch schon Phasen gegeben, in denen ich gesagt habe: "Opium für das Volk?! Nur her damit. Hauptsache, es wirkt."
rosmarin - 21. Nov, 22:40

ah merci.... für diesen launigen, unmainstreamigen kommentar und ihre "lästerei" über jojo moyes habe ich mit größtem vergnügen gelesen.

diefrogg - 22. Nov, 10:34

Oh, danke!

Das freut mich! Dann haben Sie Moyes gelesen?
Kulturflaneur - 23. Nov, 13:19

Den Film-Tetraplegiker...

...habe ich bewundert für seine starrsinnige Konsequenz, mit der er das Ganze durchzieht. Über Jahrzehnte hinweg weiss er, dass er so nicht mehr weiterleben will: Obwohl sein Umfeld ihn liebevoll umsorgt, will er nicht in dieser Abhängigkeit verharren — sein Leben, das sich seit seinem Unfall nur noch in seinem Kopf abspielt, ist zwar reich, ist ihm aber nicht genug. Und weil er seinen Körper nicht mehr zurückbekommen kann, lässt er nichts unversucht, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Am Schluss des Films kann er dank der Hilfe einer Frau, die ihn liebt, aber auch seinen Sterbewunsch akzeptiert, endlich sterben.

Ich finde: Niemand ist freiwillig auf dieser Welt, niemand hat uns gefragt, ob wir dieses Leben leben wollen. Also soll sich jemand, der sein Leben nicht mehr lebenswert findet, ohne allzu grosse Hürden seinem Leben ein Ende setzen dürfen. Ich finde aber auch: Suizid darf keinesfalls zu einer Verpflichtung werden für alle, die ihrer Familie und ihrem sozialen Umfeld zur Last fallen, seien sie alt und noch so krank, seien sie behindert und noch so pflegebedürftig.

Interessant waren in "Mar a dentro" die unterschiedliche Haltungen der Familienmitglieder und des sozialen Umfelds zum offenen Sterbewunsch von Ramon: Das reicht von blanker Ablehnung seines älteren Bruders José über das schwankende, aber einfühlende Verständnis seiner Schwägerin Manuela, die ihn pflegt, bis zum Neffen Javi, der versucht, die schwierige Situation zu akzeptieren und zu ertragen. Noch weiter geht die Anwältin und Freundin Julia, die an einer unheilbaren Erbkrankheit leidet und allmählich körperlich und geistig zerfällt. Sie gibt Ramons Gedichte heraus und plant mit ihm den gemeinsamen Selbstmord, macht aber ihm entscheidenden Moment einen Rückzieher. Schliesslich ist es die Fabrikarbeiterin Rosa, die Ramon zuerst nicht helfen will, aber mit der Zeit ihre Meinung ändert und Ramons sehnlichsten Wunsch erfüllt.

diefrogg - 23. Nov, 15:54

Ja, das Umfeld...

fand ich auch sehr interessant. Die argumentieren ja auch - im Unterschied zu Ramon, zum Teil sogar sehr vehement.

Es ist nur merkwürdig, dass derjenige in der Mitte, um den es eigentlich geht, so merkwürdig sprachlos bleibt (ausser in seiner Poesie, natürlich, die mir persönlich aber nicht gereicht hat).
acqua - 25. Nov, 21:21

Liegt es am Monat? Der Schneck dreht sich durch den Wald rennend gerade um ähnliches.

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