luzern, luzern

21
Dez
2011

Shopping-Wut

In unserer Altstadt ist die vorweihnachtliche Shopping-Wut ausgebrochen. Als ich heute meine letzten Weihnachtskarten erstehen wollte, kam ich erst gar nicht in die Papeterie. Die Kunden standen bis zur Tür. Es ist spät dieses Jahr. Letztes Jahr sah schon der 8. Dezember Kundenscharen aus allen Himmelsrichtungen ins Emmen Center pilgern als läge niemand geringerer als das Christkind dort zwischen Manor und H & M zur Anbetung bereit. Dieses Jahr klagten die Detaillisten noch nach Mariä Empfängnis über die grosse Flaute. Es liege am fehlenden Schnee, sagen sie. Niemand wollte orakeln, die Euro-Krise habe den Konsumenten auch hierzulande die Stimmung vermiest.

Ich kaufte meine Karte in einer stillen Galerie in einer Seitengasse und ging über die weihnachtlich in Lichter gerahmte Seebrücke.


(Bildquelle: blogarchiv.hochparterre)

Letztes Jahr war der Baldachin neu und wirkte mit seinen blaustichigen Lichtern Tönen einfach cool. Dieses Jahr passt die Kälte des Lichts auf eine andere Art zur Stimmung: Neben dem heimeligen Weihnachts-Angebot im Lichtermeer liegen schon gut sichtbar die Januar-Schnäppchen bereit. Die Lichterketten überall sind so orgiastisch geworden, dass sie billig wirken - die Lichter einer Stadt, deren touristische Attraktionen man auf Teufel komm raus verkmarkten will. Eine grosse Traditions-Buchhandlung wird ihre Tore bald für immer schliessen und ruft zum Rabatt-Sturm auf die Bücherbretter.

Andere Jahre hatte die Stadt im weihnächtlichen Konsumrausch etwas Festliches. Sie zelebrierten den Überfluss. Dieses Jahr wirkt das alles leicht verzweifelt.

10
Dez
2011

Paranoia bei der Autobahnraststätte

Wie ich auf meiner grossen Wanderung von Luzern nach Norden erst einmal Rothenburg erreichte, habe ich hier erzählt. Von hier hielt ich weiter Richtung Norden. Bald stiess ich auf die letzten Vorposten von Suburbanien.

eigental_sempach 021

Nach dieser Wandmalerei an einem Gewerbe-Gebäude waren ringsum nur noch Weiden und Wäldchen zu sehen. Aber die Ländlichkeit täuscht. Durch diese Gegend führt seit dem 13. Jahrhundert die Route von Hamburg nach Palermo. Ich wusste, dass die Falten dieser Landschaft eine mächtige Autobahn verbergen, eine Bahnlinie und eine Anlage mit nicht weniger als 26 riesigen Gastanks und einem Dutzend kleinen. Und die Autobahnraststätte Neuenkirch.

Ich habe mich immer gefragt, wie es wohl ist, sich dieser Anlage zu Fuss anzunähern. So folgte ich dem Strässchen zur Anlage auf Schusters Rappen und ich weiss jetzt: Es fühlt sich verboten an. Das ganze Gelände ist dick mit Maschendraht eingefasst. Zugang gibts nur über eine Autospur. Ich wollte durch den Maschenzaun wenigstens ein Bild vom Motel machen. Aber der Anblick war zu unfotogen. Ich ging schnell weiter.

Doch noch 100 Meter weiter, am nächsten Waldrand, schien ich mich im trostlosen Niemandsland der Autobahnraststätte zu befinden. Als ich dort ein parkiertes Auto sah, dachte die Landstreicherin: "Wer geht denn an so einem gottvergessenen Ort im Wald spazieren? Ein Kinderschänder? Ein Serienmörder?"

Nochmals 200 Meter weiter, wieder zwischen Kuhweiden, bekam ich sogar einen Anfall von Paranoia. Ein feldgrüner Helikopter blieb genau über meinem Kopf blieb er sicher einer Minute in der Luft stehen. Hatte ich mit meiner Fotografiererei hinter dem Motel an der Autobahn gar den Staatsschutz aufgeschreckt? Bin ich jetzt terrorverdächtig? Bestimmt hat man mich inzwischen identifiziert und sogar meinen Blog gefunden. Ich erkläre hier deshalb noch einmal ausdrücklich: Ich bin eine harmlose Spaziergängerin. Ich tue keiner Fliege etwas zuleide. Das Bild von der Raststätte war fundemental hässlich und nutzlos. Ich habe es nie verwendet und längst gelöscht.

Der Helikopter machte schliesslich eine Schleife im Feld nebenan. Dann verschwand er in die Richtung, aus der er gekommen war. Ich ging mit klopfendem Herzen weiter und erreichte kurz vor 15 Uhr Sempach Station. Bis ins Städtchen Sempach geht man von hier noch 20 oder 30 Minuten zu Fuss. Aber dort gibt es kaum öffentlichen Verkehr.

Ich verschob eine Tour im Städtchen aufs nächste Mal und stieg zufrieden in die S-Bahn nach Luzern. Ich stellte fest: Im Mittelalter dauerten selbst Tagesmärsche länger als heute.

7
Dez
2011

Nach Norden

Schon lange träume ich von einem grossen Marsch nach Norden. Nach Basel. Oder vielleicht sogar bis nach Hamburg oder Rotterdam. Es wird wohl ein Traum bleiben. Aber am Samstag setzte ich wenigstens zur ersten Etappe an. Sie sollte mich von Luzern bis nach Sempach führen.

Sempach war im Mittelalter die Luzern am nächsten liegende Marktstadt. Und in der Schule habe ich gelernt: Marktstädte lagen damals einen Tagesmarsch voneinander entfernt. So brauchten Bauern bis zum nächsten Markt höchstens einen halben Tag.

Ich brach erst um 10.30 Uhr auf. Der heutige Mensch muss ausschlafen und die Zeitung lesen, bevor er sich auf einen Tagesmarsch begibt. Vielleicht würde ich es doch nicht ganz bis nach Sempach schaffen. Doch ich hielt strikt nach Norden, wo immer es ging.

Zuerst war die Reise alles andere als mittelalterlich. Nein. Ich kam mitten ins Herz von Subarbanien: nach Emmenbrücke.

eigental_sempach 007

Aber das fand ich ganz in Ordnung. Ich war Landstreicherin. Ich suchte nicht die Vergangenheit. Ich suchte den Alltag. Und nirgends ist der Alltag so ungeschönt wie in Emmenbrücke. Als ich die Strasse auf dem Bild überquert hatte, sah ich einen richtigen Penner. Ich fürchtete mich ein bisschen vor ihm. Ich habe mich immer vor alkoholisierten Männern mit zerrissenen Kleidern gefürchtet. Mir wurde klar, dass man die Landstreicherei nicht romantisieren darf.

Als ich die Autobahn überquerte, sang ich laut den Refrain Scarborough Fair gegen den Lärm an:

"Are you goin' to Scarborough Fair? Parsley, sage, rosemary, and thyme.
Remember me to one who lives there, she once was a true love of mine."

Der Song soll aus dem tiefen Mittelalter stammen, steht hier. Und ein bisschen Mittelalter konnte ich jetzt schon gebrauchen. Dass man Petersilie, Salbei, Rosmarin und Thymian anno dazumal als Duftgemisch gegen die Pest gebrauchte, las ich allerdings erst später.

Kurz nach 12 Uhr erreichte ich Rothenburg. Der Vorort hat einen mittelalterlichen Kern von geradezu deutscher Behaglichkeit.

eigental_sempach 019

Ich speiste im Restaurant Bären, wo sich altertümliche Gemütlichkeit auch in der Gaststube erhalten hat. Und man isst dort ausgezeichnet. Ich muss sagen: Landstreicherei ist eigentlich nur angenehm, wenn man sich dabei ein warmes Mittagessen, ein Käfeli und ein angemessenes Trinkgeld leisten kann. Jedenfalls in der kalten Jahreszeit.

Als ich wieder nach draussen kam, war es mindestens zehn Grad kälter als vor dem Mittag. Der Blick nach Süden zeigte: Es hatte zum ersten Mal weit heruntergeschneit. Der Winter hielt gerade Einzug. Ich drehte mich um und hielt weiter gen Norden.

19
Okt
2011

Liebeserklärung an eine Stadt

Meine Spaziergänge führen sonst meist aufs Land. Dabei bin ich eine Städterin - und es wird Zeit, meiner Stadt Luzern hier meine Liebe zu erklären. Mit einem Spaziergang. Er führt durch das Hof-Quartier, mein liebstes Quartier. Eine Gegend, durch die viele nur hindurcheilen. Denn sie ertrinkt im Lärm des Durchgangsverkehrs und in Touristenfluten. Dabei weht der Hauch der Vergangenheit durch ihre Strassen. Man muss ihn nur einatmen. Und schon ist man auf Zeitreise durch die Vergangenheit.

011

Etwa beim fast vergessenen Memento Mori rechts im Bild. Zu Füssen des Gekreuzigten ruht ein einzelner Totenschädel - sorgfältig bemalt von jemanden, der sich nicht vom geschäftigen Mainstream rundum irre machen lässt.

Skull on Street Corner

Oder bei der Hofkirche. Sie gilt als kunsthistorisches Bijou und zieht deshalb hie und da ein paar Touristen an. Die gehen aber in die Kirche hinein - obwohl es dort eher unansehnlich ist. Ich dagegen verweile jeweils beim Nordturm, wo dieser Mann seit Jahrhunderten an der Welt verzweifelt.

012

Er ist Zeuge, wie Jesus von der römischen Soldateska gefangen genommen wird. Nach besonders mühsamen Arbeitstagen plaudere ich gern ein bisschen mit ihm - auch wenn meine Gründe zum Aufstöhnen weit weniger weltbewegend sind.

Um die Kirche herum ruhen in einem uralten Friedhof die Gebeine der vornehmen Luzerner des 18. und 19. Jahrhunderts: der Pfyffer von Altishofen, der Am Rhyns, Mugglins, der Stahlwerk-Besitzer von Moos und so weiter. Es ist ein stiller, luftiger Ort weitab vom Getöse der Welt. Mitten unter den Patriziern Luzerns liegen auch die ersten beiden Muslime, die in Luzern den Tod fanden. Sie hiessen Mussa ben Serier und Abd el Kader Ben Charchoz (wenn ich die verwitterte Inschrift im Stein richtig gelesen habe). Sie waren mit der Bourbaki-Armee 1871 aus Frankreich gekommen. Die Strapazen des Krieges und der Internierung brachten sie um. "Passant jetez une fleur aux enfants du desert", heisst es beim Gedenkstein.

Rührend ist auch das Denkmal, das ein Herr Willmann seiner 1840 verstorbenen Ehefrau Maria Anna, geborene Gassmann, gesetzt hat. Sie verschied mit 41 und liess ihn mit fünf Kindern zurück. Es steht bei einem Pförtchen an der Nordostecke.

Von hier gelangt man über eine Brücke in einen Park mit mächtigen Kastanienbäumen und einem nie genutzten Labyrinth aus Buchenhecken. Der Park hat bessere Zeiten gesehen - deshalb ist hier am richtigen Ort, wer Ruhe sucht.

Ruhe findet man auch beim Löwendenkmal. Natürlich nicht mitten am Nachmittag. Dann sieht es dort so aus.

023

Nein, man besuche den kleinen Park zur blauen Stunde, kurz nach Sonnenuntergang. Dann ist er meist verlassen und voll von einer grossen, stillen Melancholie. Aber das erzählt Ihr besser nicht weiter.

Auch die besten Restaurants im Quartier frönen der Vergangenheit. Der Lapin ist bekannt für seine gute Küche. Das Intérieur hat den verblassenden Charme eines Wiener Cafés. Mein eigentliches Stammlokal ist aber der Rebstock, direkt unterhalb der Hofkirche. In den Achtzigern war Vera Kaa hier Stammgast. Schon damals gab es dort einen Gourmet Poulet-Salat. Er war auch bei uns diätverrückten und stets abgebrannten jungen Frauen Mitte der Achtziger beliebt. Es gibt ihn heute noch, auch wenn schon lange ein neuer Wirt im Rebstock waltet. Nur wird er heute mit Truthahn gemacht.

6
Okt
2011

Jetzt kommt es

"Heute kommt es", sagte gestern schon die eine Frau im Bus zur anderen.
"Ja, heute ist es vorbei damit", sagte die andere und zeigte nach draussen, wo die Sonne alles in geradezu unwirklich helle Farben tauchte.

Die beiden sprachen über das Hudelwetter, das diesen absolut zauberhaften, noch nie dagewesenen Altweibersommer ein Ende bereiten wird. Seit Tagen staunen wir hierzulande ungläubig darüber, dass wir immer noch in kurzärmligen T-Shirts und Sandalen draussen herumziehen. Anfang Oktober! Stündlich erwarteten wir den grossen Wetterumsturz.

Doch die beiden Pessimistinnen im Bus irrten sich: Das Wetter kippt erst jetzt. Vor einer Stunde trauten sich die ersten Regentropfen in die Stadt.

Aber wir sind jetzt bereit. Der Spätsommer war gross. Der Herbst kann kommen.


(Bild von Herrn T., von unserer Wanderung am Dienstag, 4. Oktober: Giswil - Sakramentskapelle - Gerischwendi -Lungern; im Bild der Sarnersee, rechts das Stanserhorn).

25
Sep
2011

Anfängerfehler in den Bergen

Es ist so schnell passiert. Gestern beim Abstieg in den zweiten Chrachen rutschte ich auf feuchtem Holz aus und fiel auf den Rücken. Ich stand sofort wieder auf. Aber ich war verunsichert. Was aber, wenn ich mir beim Fall etwas gebrochen hätte? Ich würde heute noch dort unten liegen, wahrscheinlich im Handy-Loch, halb verdurstet und stark unterkühlt. Und, ehrlich: Ich wüsste selber nicht genau, wo ich bin.

Bevor ich die ganze Geschichte erzähle, muss ich erklären, was ein Chrachen ist: ein enges, meist steiles Bachtal in einer abgelegenen Gegend. In den zweiten Chrachen irrte ich gestern auf einer Tour, die - ganz harmlos - in Schwarzenberg begonnen hatte. Das Dorf gehört noch fast zur Agglomeration Luzern. Doch dahinter erstreckt sich eine grosse Fläche niedriges Bergland, ein weisser Fleck auf der geistigen Landkarte unseres Kantons. Sie hat schon lange meine Phantasie beschäftigt. Gestern erforschte ich ihre Topograhie - eher unfreiwillig. Ich wollte eigentlich nur bis zum Haseleggsteg. Das ist eine Brücke tief im Chrachen, in dem Rümlig und Fischenbach aufeinander treffen.

Der Weg dort hinunter war einfach zu finden, und es war ein traumhaft schöner Tag. Einmal dort, wollte ich auf der Westseite hochsteigen. Zwar sagte der Wegweiser klipp und klar, dass es bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel - in Entlebuch - noch drei Stunden Weg war. Zu weit, fand ich. Aber ich hatte gutes Schuhwerk und eine gute Karte und bin ein schlaues Kerlchen. Ich würde schon einen Weg hinunter nach Schachen finden und dort den Zug nehmen. Notfalls würde ich mich durchfragen.

Ich beging sämtliche Anfänger-Fehler für Bergwanderer. Ich ersetzte den klaren Blick auf die Karte durch Wunschdenken. Ich hatte zu wenig Wasser dabei. Ich hatte niemandem gesagt, wo ich hinging. Ich irrte durch weitere Chrächen, hinunter, hinauf, Höhenmeter ohne Ende. Ich stürzte zweimal und bekam einen elektrischen Schlagunter einem Kuhzaun. Mein Schreckensschrei vertrieb die Rinder, die sich über mich beugten. Ich fragte zwei Bauern nach dem Weg. Aber der Weg nach Schachen war zu kompliziert für Worte.

Am höchten Punkt meiner Wanderung blickte ich über ein riesiges Labyrinth von Weiden, Wäldern und Wasserläufen in abgrundtiefen Gräben. Der Ausblick wäre ein Foto wert gewesen. Aber ich wusste nicht genau, wo ich war. Ich ängstigte mich zu sehr, um zu fotografieren. Erst eine Viertelstunde später sah ich die Strasse nach Schachen. Sie macht weite Bögen. Da begriff ich, dass der Weg nach Entlebuch doch kürzer war als jener nach Schachen.

Ich fand den Wegweiser und wanderte weiter durch ein zauberhaftes Hochmoor. Aber ich hatte nur Augen für die gelben Zeichen am Weg. Um 16 Uhr erblickte ich endlich den Kirchturm von Entlebuch. Am ersten Dorfbrunnen liess ich mich mit Wasser volllaufen.

Die ganze Zeit über sang es in meinem Kopf Fetzen aus dieser ultimativen Ode ans Landleben.

17
Sep
2011

Spaziergänger-Roulette

Es herbstelt. Die Spazier-Saison hat begonnen. Doch heute war ich unschlüssig, wo mein Ausflug hinführen sollte. So entschied ich mich für eine Runde Spaziergänger-Roulette. Dieses Spiel geht so:

1) Ich begebe mich zum Bus-Perron Nummer 4 am Bahnhof Luzern. Von dort aus fahren die Busse in die entlegeneren Vororte unserer Stadt.
2) Ich werfe einen kurzen Blick auf die Tafel mit den Abfahrtszeiten
3) Dann nehme ich den nächst möglichen Bus. Egal wo er hinfährt. Unterwegs entscheide ich, wo ich aussteige
4) Von dort aus marschiere ich einfach los. Eine Wanderkarte habe ich dabei

Ein merkwürdiger Zufall verschlug mich auf die Nummer 61 Richtung Ettiswil. Genau in diese Richtung hat mich vor einer Woche auch der pedestriangeführt. Wie bei unserem gemeinsamen Spaziergang stieg ich an der Haltestelle Stächenrain aus. Das Besondere an dieser Station ist: Sie liegt im nördlichsten Zipfel der Stadt Luzern. Es sieht dort so aus:

neuenkirch 002

Und wendet man den Blick Richtung Süden, also stadteinwärts, erblickt man das hier:

neuenkirch 003

Ich fürchte, nun sind meine potenziellen Besucher aus Wien erschrocken. So ländlich haben sie sich Luzern denn doch nicht vorgestellt. Aber ich kann sie beruhigen: Luzern ist eine Stadt. Sie hat fast 77000 Einwohner und einen Hauptbahnhof mit 14 Gleisen. Sie hat eine hübsche Altstadt mit zwei H&Ms, zwei Starbucks-Läden und unzähligen Mode-Boutiquen. Sie hat eine trendige Neustadt, wo einheimische Designer ihre Lokale haben. Sie hat massenhaft Kultur. Und mehrere Verkersachsen mit den lahmsten Ampeln Europas. Jeden Abend bricht bis weit in ihre Vororte hinaus der Verkehr zusammen. Sie hat immer mehr astronomisch teure Wohnungen. Und sie hat vor zwei Jahren mit der Vorortsgemeinde Littau fusioniert. Seither gehört auch der Stächenrain zur Stadt Luzern.

Von hier aus startete ich. Allerdings wandte ich mich nicht stadteinwärts. Nein. Diesmal ging ich Richtung Norden. Mich reizte der Gedanke, dass ich von hier aus in die grosse Stadt Basel gehen könnte - wenn ich nur immer weiter und weiter ginge.

Zuerst fand ich aber nur mehr Wiesen, mehr Bäume und mehr Kühe. "Grüne Wüste" hätte der Herr kulturflaneur es wohl genannt. Und dann kam ich auch noch nach Neuenkirch.

Dort gibt es, wie mir scheint, keine anständige Ortstafel. Sondern statt dessen ein Plakat mit der Aufschrift "Schweizer wählen SVP". Ich habe darauf verzichtet, es zu fotografieren. Denn ich weiss: Die meisten meiner Leser können keine SVP-Plakate mehr sehen. Ich muss gestehen: Neuenkirch war mir sofort unsympathisch. Es macht einen auf heil und helvetisch. Als wäre hier - auf dem Land - alles besser. Aber es ist doch auch nur ein Vorort. Das merkte ich schnell, als ich es bergauf Richtung Wilistatt verliess: Oberhalb der Kirche gibt es einen dicken Einfamilienhaus- und Wohnblockgürtel.

Erst als ich ihn durchquert hatte, atmete ich freier. Auf den Hügeln dort oben betritt man eine andere Epoche. Dort oben sind die Bauernhäuser 400 Jahre alt, stattliche Anwesen auf fetter Erde. Der Blick auf den Alpenkamm ist gewaltig. Wer hier bauert, braucht sich nicht um die Polit-Geplänkel des 21. Jahrhunderts zu kümmern. Scheint es jedenfalls.

Plötzlich begriff ich, warum ich es dort oben so grossartig finde. Weil man dorthin vor der Gegenwart fliehen kann. Da erschrak ich über mich selber.

29
Mai
2011

Himmlischer Ausblick auf Luzern

Südwestlich von Luzern am Hang steht ein alter Hotelkasten. Er heisst Himmelrich. Seit ich neulich da war, weiss ich, weshalb: Die Aussicht ist dort oben einfach himmlisch. Man braucht keinen Wein zu trinken. Man ist von der Aussicht restlos besoffen.

Das Bild unten stammt vom "Himmelrich". Ok, es ist nicht genau das, was sich der Tourist unter einem tollen Ausblick vorstellt. Aber es ist von lokalhistorischer Relevanz. Es zeigt das neue Fussballstadion mit den wachsenden Wohntürmen. Was haben wir über diese Türme gestritten! Sie sind weit und breit das Höchste, was unsere Stadt an Bauwerken hat. Ein Schrecknis für Anwohner, Heimatschützer und finanzpolitische Warner. Für sie dürfte der Titel des Beitrags zu diesem Bild von himmelschreiend bitterer Ironie sein.

Allmählich nehmen die Hochhäuser Gestalt an.

Luzern, 18. Mai 2011

Dieses Bild entstand am 18. Mai - dem Tag, an dem ich im "Himmelrich" war. Ich beschloss dort, die Türme bis auf weiteres zu mögen.

Noch ein Wort zum neuen Restaurant: Gegessen habe ich dort noch nicht. Das Restaurant ging gerade auf, und das Personal schien - vielleicht von der Aussicht - etwas verwirrt. Und die Beschallung ist nichts für Hardcore-Spaziergänger: Nichts gegen den urbanen Chic von Sade. Aber dort oben?

Wer es lieber bodenständig hat, findet nicht weit weg das Burestübli. Dort sind allerdings die SVP-Plakate rundum etwas störend. Und die Aussicht ist nur halb so toll.

16
Mai
2011

Gebt mir ein Auto!!!

Am 30. September 2009 hatte ich einen krassen Schwindelanfall. Oberarzt Pfiffig diagnostizierte ihn später stolz als Tumarkin-Attacke - ohne natürlich ein Mittel zu kennen, das weitere verhindern könnte. Seither habe ich kein Autosteuer mehr berührt.

Ich habe das Autofahren nicht vermisst. Ich lebe ja in einem Land mit einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehr.

Aber dann passierte es. Ausgerechnet in einem öffentlichen Verkehrsmittel.


(Das Bild habe ich bei flickr abgekupfert, den jungen Mann darauf kenne ich nicht).

Das ist der Tellbus, ein famoses, zweistöckiges Fahrzeug. Er ist ein Pendlerbus, der morgens und abends Altdorf und Luzern verbindet. Neulich machte ich einen Ausflug im Tellbus - mit meinem Gottenbuben Tim (6), der ein Fan doppelstöckiger Busse ist. Natürlich sassen wir oben ganz vorne. Dafür sorgte Gotte Frogg, die das Drängeln im Bus bei alten Weibern in Griechenland abgeguckt hat. Alte Weiber in Griechenland können drängeln wie sonst niemand in Europa.

Und natürlich versuchte ich klein Tim auf der Fahrt zum Telldenkmal auch ein bisschen Tell-Mythologie zu vermitteln. Aber das war hoffnungslos. Das Bild vom armen Walterli mit dem Apfel auf dem Kopf verblasste neben Tims Begeisterung über die Autobahn. "Schau, der Bus überholt einen Lastwagen!" quietschte er zwischen Buochs und Beckenried begeistert. Einer der Momente, die er wohl noch lange nicht vergisst.

Ich verstand ihn ja so gut! Denn kaum hatte der Duft der A2 meine Geruchsnerven erreicht, erinnerte ich mich: Diese Strasse ist nicht irgendeine Autobahn. Es ist eine Strasse, die nach Gefahr und nach Glück, nach wildem Wetter, nach Bergen und nach dem Süden riecht. Riesige Laster kriechen auf ihr dem See entlang wie erschöpfte Dinosaurier. Einmal befuhr ich sie mit brandneuem Fahrausweis, ganz allein und geriet in einen heftigen Regenschauer. Ich hatte eine Auto, das ich nicht kannte. Ich hatte Lüftung nicht im Griff und die Scheibe lief an. Ich hatte 100 Sachen und sah plötzlich nur noch Nebel. Ich war verloren.

"Mach das Fenster auf!" zischte irgendeine innere Stimme. Ich kurbelte die Scheibe ein paar Zentimeter hinunter. Kalte Luft und Wasser wirbelten ins Auto. Dann sah ich den hellblauen Lastwagen vor mir wieder. Ich war gerettet.

Manchmal, nur manchmal, verstehe ich Menschen, die gerne Auto fahren.

21
Apr
2011

Reiche krallen sich das Paradies

Heute habe ich einen Spaziergang im Paradies gemacht.

Bächtenbühl, Meggen

Es liegt direkt hinter der Stadtgrenze von Luzern auf einer weichen Hügellandschaft über dem See. Es heisst Bächtenbühl. Die Aussicht dort oben ist atemberaubend.

Bächtenbühl

Der Wind weht schimmernde Blütenblätter auf den Weg. Grillen zirpen. Vögel zwitschern. Auf den Wiesen arbeiten die Bauern. Am Himmel drehen riesige Raubvögel ihre Kreise.

Es hat dieselbe Zukunft wie so viele Paradiese der Schweiz: Die Reichen sind dabei, es sich unter den Nagel zu reissen.

Um es vorher noch zu erreichen, gehen Fussgänger aus der Stadt die Salzfass-Strasse hoch. Zuoberst betreten sie Megger Boden und damit das Steuerparadies des Kantons. Durch ein Scheunentor gelangen sie aufs Bächtenbühl.

Bächtenbühl Scheune

Ob das weithin sichtbare Haus stehenbleibt, wenn der Golfplatz kommt, ist mir nicht ganz klar. Denn, ja, hier wird demnächst ein Golfplatz gebaut. Die Stimmbürger von Meggen haben das Projekt am 28. November 2010 knapp bewilligt. Man hat den Stimmbürgern eine nachhaltige grüne Grenze zur Stadt versprochen. Das scheint gezogen haben. In Steuerparadiesen weiss man die Städte gerne weit weg. Städte wollen den Reichen immer ans Geld. Städte sind gierig.

Doch zurück zum Golfplatz: Die Bauern auf dem Bächtenbühl müssen aufhören. Der Ort soll zwar öffentlich bleiben - und Naturschutz geniesst angeblich eine hohe Priorität. Aber Hand aufs Herz: Wer spaziert schon gerne, wo einem die Golfbälle um die Ohren fliegen? Und dann möchte ich wirklich gerne wissen, wie viele Magerwiesen auf einem Golfplatz Platz haben. Ausserdem will man hier "hochklassiges Spass- und Wohlgefühl" kultivieren. Keinen "Billigtourismus". Ehrlich: Mir wird speiübel, wenn ich das lese.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

April 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7505 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Sep, 17:51

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren