25
Sep
2011

Anfängerfehler in den Bergen

Es ist so schnell passiert. Gestern beim Abstieg in den zweiten Chrachen rutschte ich auf feuchtem Holz aus und fiel auf den Rücken. Ich stand sofort wieder auf. Aber ich war verunsichert. Was aber, wenn ich mir beim Fall etwas gebrochen hätte? Ich würde heute noch dort unten liegen, wahrscheinlich im Handy-Loch, halb verdurstet und stark unterkühlt. Und, ehrlich: Ich wüsste selber nicht genau, wo ich bin.

Bevor ich die ganze Geschichte erzähle, muss ich erklären, was ein Chrachen ist: ein enges, meist steiles Bachtal in einer abgelegenen Gegend. In den zweiten Chrachen irrte ich gestern auf einer Tour, die - ganz harmlos - in Schwarzenberg begonnen hatte. Das Dorf gehört noch fast zur Agglomeration Luzern. Doch dahinter erstreckt sich eine grosse Fläche niedriges Bergland, ein weisser Fleck auf der geistigen Landkarte unseres Kantons. Sie hat schon lange meine Phantasie beschäftigt. Gestern erforschte ich ihre Topograhie - eher unfreiwillig. Ich wollte eigentlich nur bis zum Haseleggsteg. Das ist eine Brücke tief im Chrachen, in dem Rümlig und Fischenbach aufeinander treffen.

Der Weg dort hinunter war einfach zu finden, und es war ein traumhaft schöner Tag. Einmal dort, wollte ich auf der Westseite hochsteigen. Zwar sagte der Wegweiser klipp und klar, dass es bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel - in Entlebuch - noch drei Stunden Weg war. Zu weit, fand ich. Aber ich hatte gutes Schuhwerk und eine gute Karte und bin ein schlaues Kerlchen. Ich würde schon einen Weg hinunter nach Schachen finden und dort den Zug nehmen. Notfalls würde ich mich durchfragen.

Ich beging sämtliche Anfänger-Fehler für Bergwanderer. Ich ersetzte den klaren Blick auf die Karte durch Wunschdenken. Ich hatte zu wenig Wasser dabei. Ich hatte niemandem gesagt, wo ich hinging. Ich irrte durch weitere Chrächen, hinunter, hinauf, Höhenmeter ohne Ende. Ich stürzte zweimal und bekam einen elektrischen Schlagunter einem Kuhzaun. Mein Schreckensschrei vertrieb die Rinder, die sich über mich beugten. Ich fragte zwei Bauern nach dem Weg. Aber der Weg nach Schachen war zu kompliziert für Worte.

Am höchten Punkt meiner Wanderung blickte ich über ein riesiges Labyrinth von Weiden, Wäldern und Wasserläufen in abgrundtiefen Gräben. Der Ausblick wäre ein Foto wert gewesen. Aber ich wusste nicht genau, wo ich war. Ich ängstigte mich zu sehr, um zu fotografieren. Erst eine Viertelstunde später sah ich die Strasse nach Schachen. Sie macht weite Bögen. Da begriff ich, dass der Weg nach Entlebuch doch kürzer war als jener nach Schachen.

Ich fand den Wegweiser und wanderte weiter durch ein zauberhaftes Hochmoor. Aber ich hatte nur Augen für die gelben Zeichen am Weg. Um 16 Uhr erblickte ich endlich den Kirchturm von Entlebuch. Am ersten Dorfbrunnen liess ich mich mit Wasser volllaufen.

Die ganze Zeit über sang es in meinem Kopf Fetzen aus dieser ultimativen Ode ans Landleben.

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