14
Jan
2010

Musik für Arbeitstiere

Plötzlich verbreitete sich der Sound in den Schweizer Bars wie ein Lauffeuer. Kein Szenenrestaurant, wo man in jenem Sommer 1998 nicht Buena Vista Social Club hörte. Die Musik wehte durch die sommerlichen Strassen, warm, süss und südlich. Es war Latino-Sound. Aber er war mehr als das. Er hatte etwas, was ihn unwiderstehlich machte. Vielleicht war es die Slide-Guitar von Ry Cooder. Vielleicht das schiere Glück dieser aus dem Elend Kubas zurück ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit geholten Musiker.



Frau Frogg wollte sich das Album erst gar nicht kaufen. Sie hatte gerade wieder Liebeskummer, und den Sound hatte sie zum Erstenmal mit dem Verflossenen (es war Nummer Fünf) gehört. Aber die Musik war sowieso allgegenwärtig. Und unwiderstehlich. Mein Lieblingssong wurde "El carretero". Ich habe kein Video zum Einbetten gefunden, aber hier ist ein Link. Schaut ihn Euch an! Hört Euch das Lied an. Es ist toll. Und der Streifen hat Untertitel. Ihr werdet besser verstehen, warum ich ausgerechnet diesen Song gewählt habe.

Ich war 33, single, und ich hatte einen guten Job bei einer auflagenstarken Wochenzeitschrift. Nennen wir sie "brav & bieder". Es war nicht mein Traumjob. Aber ich hatte Leser, ich hatte was zu melden und ich verdiente zum Erstenmal richtig Geld. Ich arbeitete hart, ich war in einer grossen Stadt. Ich hatte viele Kolleginnen. Wir arbeiteten alle hart, aber in meiner Erinnerung hatten wir viel Zeit, in Bars herumzuhängen. Wir waren selbstbewusst. Cool. Wir waren Frauen, die etwas zu sagen hatten und die Worte dafür zu wählen wussten. Wenigstens, wenn wir unter uns waren.

Als ich einmal in den Süden fuhr, kaufte ich ein leuchtend oranges Strandkleid. Wenn ich diesen Song höre, dann sehe ich mich immer aus unserem Büro kommen. Wie in einem Traum. Es ist Feierabend, ich bin müde. Es ist heiss. Ich trage mein oranges Strandkleid. Ich stehe an der Autobahnauffahrt vor unserem Büro und warte, bis es grün wird. Ich bin voller Hitze und voller Leben.

Der Song spielt auf dem Land und dreht sich um die bescheidenen Hoffnungen eines jungen Bauern. Für mich wurde er zum Song eines Mädchens, das sich in der Stadt eine Namen als Profi machen will.

Es war eine gute Zeit. Vielleicht die beste.

Trackback URL:
https://froggblog.twoday.net/stories/6137403/modTrackback

veronikaha - 15. Jan, 22:18

danke!

... für diese Erinnerung: eine auch für mich ganz glückliche Zeit: ein sehr grosser, vitaler Freundeskreis, viele Reisen, laue Sommernächte. Ich weiss noch genau, welch überwältigende Freude mich überkam beim ersten Hören der Anfangstakte. Und 2001 habe ich diese Musik immer noch aufgelegt, im Mai, als ich 10 Tage lang auf die Geburt unserer Tochter wartete. Ihr Name hat mit diesem Latinoglück zu tun. Es war ein unglaublich heisser Frühling, ich tanzte und tanzte barfuss auf dem Parkett, ein wilder Blumenduft von aussen...
Soviel Versprechen in dieser Musik- und jetzt hast du es mir wieder geschenkt - danke!

steppenhund - 16. Jan, 11:43

Verstanden.

Not quite like Beethoven - 17. Jan, 20:40

Bin ganz bei Ihnen, gefühlsmäßig.

walküre - 20. Jan, 18:59

Meine Tochter war damals vier Jahre alt, Geld war absolute Mangelware, mein Privatleben in einem trostlosen Provinzkaff eine einzige Armseligkeit, sodass an Ausgehen gar nicht zu denken war. Auf den Buena Vista Social Club bin ich erst später auf Umwegen gekommen, aber die Musik spricht nach wie vor einen Teil meiner selbst an, den nur wenige Menschen kennen.

Was Ihre Worte betrifft:
.

diefrogg - 22. Jan, 18:55

Frau Walküre, was mich...

an diesem Kommentar fasziniert, ist die Vorstellung der Gleichzeitigkeit. Ich hier in der Schweiz, Sie dort in Österreich. So verschiedene Leben. Und das Internet, über das wir einander jetzt so gut zu kennen scheinen, war eben erst dabei, zu einem Massenmedium zu werden. Es war jenes Jahr, in dem ich meine ersten E-Mails verschickte. Einige davon meinem Bruder, der damals in Florida war. Und er antwortete. Sofort. Da ahnte ich, dass eine Revolution im Kommunikationswesen Gange war.
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