Besuch im Gefängnis
Wie fragt man im Gefängnis jemanden ob er ein... naja, äh... Insasse... sei? Oder heissen die Betroffenen des offenen Strafvollzuges gar nicht Insassen? Sondern Gefangene? Sträflinge? Häftlinge? Klienten?
Ja. Wie soll ich den älteren Mann vor mir fragen? Ich stehe da, in der Empfangshalle eines mittelgrossen Gefängnisses. Ich warte auf einen Vollzugsbeamten, der mir freundlicherweise erlaubt hatte, ihm ein paar Fragen zu stellen. Er hat sich verspätet. Ich stehe. Die Stühle sind weg, denn der Hallenboden wird gerade gereinigt. Der ältere Mann bearbeitet methodisch die ziegelroten Steinfliesen mit einer Reinigungsmaschine. Ein Putzprofi? Oder ein Gefangener*? Schliesslich stehe ich ihm im Weg. Da kümmert er sich um mich. Er bringt mich in einen Raum mit Stühlen und holt mir einen Kaffee aus dem Automaten. Der Deal ist sofort klar: Er kauft mir Kaffee, ich leihe ihm ein Ohr. Er putze ganz gerne, sagte er. "Mir ist wichtig, dass es sauber ist. Und die Zeit vergeht dabei."
"Sie sind also... ähm... einer von hier?" fragte die Frogg.
"Jaja"; sagt er, "aber wissen Sie: Mich kann man nicht strafen!" Er hätte sogar abhauen können, sagt er. "Ich habe einen Diplomatenpass." Aber eben. Das alles sei ganz in Ordnung. "Ich bin sowieso nur drin, weil Wichtigstadt so korrupt ist. Wichtigstadt ist die korrupteste Stadt der Schweiz! Ja, wussten Sie das nicht?!"
"Ach! So eine schöne Stadt! Korrupt soll die sein?!"
"Und wie!" Es folgen etwas wirre Ausführungen. "Und dann der Neid! Wissen Sie, meine Wohnung in Wichtigstadt war schöner die des schweizeweit bekannten Bankdirektors Z. Das haben mir alle gesagt. Nur wegen des Neids bin ich hier hereingekommen. 2001 bin ich hier hereingekommen, und vor zwei Monaten, unglaublich, zwei Monaten, bekomme ich einen Brief vom Gerichtspräsidenten! Darin schreibt er mir, was ich gemacht hätte, sei legal gewesen! Nach bald zehn Jahren!" Jetzt komme er noch diesen Frühling heraus. "Meine Frau, wissen Sie, die ist Deutsche und hat immer diese Talk Shows gemacht. Meine Frau, die hat sich zuerst furchtbar darüber aufgeregt, dass ich ins Gefängnis musste. Aber jetzt macht es ihr nichts mehr aus. Sie hat's auch begriffen. Alles wegen der Korruption! Alles wegen dem Neid!"
Es folgen weitere Ausführungen. "Und die UBS", prophezeit er, "die wird sich in Luft auflösen. Sie werden sehen! Die Schweiz hat doch kein Geld!"
Natürlich ist er wegen irgendwelcher Vermögensdelikte drin. Er habe eine Firma gehabt, mit der er international Regierungen finanziert habe. "Nur mit Deutschland, da machen wir keine Geschäfte mehr. Da haben doch die Araber das Sagen! Überall!"
Ungefähr an dieser Stelle kommt der Vollzugsbeamte F, mit dem ich verabredet bin. Ich verabschiede mich von dem Gefangenen mit Diplomatenpass. F. bittet heftig um Entschuldigung. "Kein Problem", sage ich, "Ich habe mich angenehm unterhalten!"
"Wirklich?" F. macht ein verdutztes Gesicht.
Ich nicke und schmunzle. Ich habe den Mann mit der Putzmaschine gemocht. Und ich habe während des Gesprächs beschlossen, einen Abschnitt in den zum Glück immer noch unpublizierten Lebensweisheiten der Filomena Frogg dick zu unterstreichen. Den hier: Alle behaupten immer, das wichtigste im Leben sei die Liebe. Das ist gar nicht wahr. Das Wichtigste im Leben der Allermeisten ist ihr Ansehen.
*So heissen sie, habe ich mir später erklären lassen. Oder "Insassen".
Ja. Wie soll ich den älteren Mann vor mir fragen? Ich stehe da, in der Empfangshalle eines mittelgrossen Gefängnisses. Ich warte auf einen Vollzugsbeamten, der mir freundlicherweise erlaubt hatte, ihm ein paar Fragen zu stellen. Er hat sich verspätet. Ich stehe. Die Stühle sind weg, denn der Hallenboden wird gerade gereinigt. Der ältere Mann bearbeitet methodisch die ziegelroten Steinfliesen mit einer Reinigungsmaschine. Ein Putzprofi? Oder ein Gefangener*? Schliesslich stehe ich ihm im Weg. Da kümmert er sich um mich. Er bringt mich in einen Raum mit Stühlen und holt mir einen Kaffee aus dem Automaten. Der Deal ist sofort klar: Er kauft mir Kaffee, ich leihe ihm ein Ohr. Er putze ganz gerne, sagte er. "Mir ist wichtig, dass es sauber ist. Und die Zeit vergeht dabei."
"Sie sind also... ähm... einer von hier?" fragte die Frogg.
"Jaja"; sagt er, "aber wissen Sie: Mich kann man nicht strafen!" Er hätte sogar abhauen können, sagt er. "Ich habe einen Diplomatenpass." Aber eben. Das alles sei ganz in Ordnung. "Ich bin sowieso nur drin, weil Wichtigstadt so korrupt ist. Wichtigstadt ist die korrupteste Stadt der Schweiz! Ja, wussten Sie das nicht?!"
"Ach! So eine schöne Stadt! Korrupt soll die sein?!"
"Und wie!" Es folgen etwas wirre Ausführungen. "Und dann der Neid! Wissen Sie, meine Wohnung in Wichtigstadt war schöner die des schweizeweit bekannten Bankdirektors Z. Das haben mir alle gesagt. Nur wegen des Neids bin ich hier hereingekommen. 2001 bin ich hier hereingekommen, und vor zwei Monaten, unglaublich, zwei Monaten, bekomme ich einen Brief vom Gerichtspräsidenten! Darin schreibt er mir, was ich gemacht hätte, sei legal gewesen! Nach bald zehn Jahren!" Jetzt komme er noch diesen Frühling heraus. "Meine Frau, wissen Sie, die ist Deutsche und hat immer diese Talk Shows gemacht. Meine Frau, die hat sich zuerst furchtbar darüber aufgeregt, dass ich ins Gefängnis musste. Aber jetzt macht es ihr nichts mehr aus. Sie hat's auch begriffen. Alles wegen der Korruption! Alles wegen dem Neid!"
Es folgen weitere Ausführungen. "Und die UBS", prophezeit er, "die wird sich in Luft auflösen. Sie werden sehen! Die Schweiz hat doch kein Geld!"
Natürlich ist er wegen irgendwelcher Vermögensdelikte drin. Er habe eine Firma gehabt, mit der er international Regierungen finanziert habe. "Nur mit Deutschland, da machen wir keine Geschäfte mehr. Da haben doch die Araber das Sagen! Überall!"
Ungefähr an dieser Stelle kommt der Vollzugsbeamte F, mit dem ich verabredet bin. Ich verabschiede mich von dem Gefangenen mit Diplomatenpass. F. bittet heftig um Entschuldigung. "Kein Problem", sage ich, "Ich habe mich angenehm unterhalten!"
"Wirklich?" F. macht ein verdutztes Gesicht.
Ich nicke und schmunzle. Ich habe den Mann mit der Putzmaschine gemocht. Und ich habe während des Gesprächs beschlossen, einen Abschnitt in den zum Glück immer noch unpublizierten Lebensweisheiten der Filomena Frogg dick zu unterstreichen. Den hier: Alle behaupten immer, das wichtigste im Leben sei die Liebe. Das ist gar nicht wahr. Das Wichtigste im Leben der Allermeisten ist ihr Ansehen.
*So heissen sie, habe ich mir später erklären lassen. Oder "Insassen".
diefrogg - 29. Jan, 14:23
4 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
twoblogs - 29. Jan, 14:42
Alles, was aufbaut, bestaetigt, bestaerkt.
Das kann auch die Liebe sein! Aber auch
ein Blick, ein Brief, ein Fund, eine Idee,
eine Erinnerung, ein Traum...
Cordialement! Audrii
PS: Schoen, dass so schnell klar wird,
wo die die Weisheit hier steht (steckt)! ;-)
Das kann auch die Liebe sein! Aber auch
ein Blick, ein Brief, ein Fund, eine Idee,
eine Erinnerung, ein Traum...
Cordialement! Audrii
PS: Schoen, dass so schnell klar wird,
wo die die Weisheit hier steht (steckt)! ;-)
diefrogg - 29. Jan, 21:18
Kurz...
das Wichtigste im Leben ist das Leben! Nicht wahr? Es lebe das Leben!
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