16
Okt
2013

Spektakuläre Reise



Das Bild zeigt den Lago di Poschiavo - und im Hintergrund wolkenumflort - wahrscheinlich - den Piz Bernina. Ich machte es am Morgen nach unserer ersten Tagreise durch die südöstliche Schweiz. Die Reise selber war - sagen wir mal - durchzogen gewesen. Ich hatte sie mir als eine Art Landschafts-Kino vorgestellt. Aber sie war dann doch anders.

Luzern - Thalwil - Chur: Das Mittelland ist grau verhangen. Wenig spektakulär. Ich vertiefe mich in eine Reportage in der SonntagsZeitung über den Krieg in Syrien (Ausgabe vom 6. Oktober). Dort würden wahrscheinlich auch Schweizer Dschihadisten kämpfen, hiess es - wobei der Reporter keinen gesehen und mit keinem gesprochen hatte. Alles Hörensagen. Der Text liest sich eher wie "Ali Baba und die 40 Räuber" als wie eine ernst zu nehmende Repo.

In Chur beginnt mir die Reise Spass zu machen. Wir steigen in den Speisewagen der Rhätischen Bahnen, ein nostalgisch anmutendes Modell.


(Quelle: kulturflaneurfoto)

Als erstes fällt mir im Waggon die Kellnerin auf. Sie ist Asiatin und hat eine Haut wie Porzellan und einen zarten, fremdländischen Chic. Erst wenn man genauer hinsieht, ist da etwas Kraftvolles, fast Vulgäres, das mich an meine deutsche Freundin Helga erinnert. Sie spricht Deutsch mit einem dicken Akzent, und ich wüsste gern, woher sie stammt.

Im Domleschg serviert sie - wie in der Werbung angekündigt - den Salat. Und: Draussen verschwinden die Wolken.


(Quelle: http://bergfex.at)

Sonne und blauer Himmer über alten Burgen und grünen Tälern - ich bin begeistert.

Dann wird es wieder grau, und bei Bergün fallen mich düstere Erinnerungen an: Die Skiferien, die wir 2006 hier verbrachten, waren nicht meine besten. Ich musste mich damals auch mit dem Gedanken abfinden, dass ich auf dem linken Ohr stark schwerhörig würde - das Schlimmste daran war die Erkenntnis, dass alles Hörenwollen, überhaupt alles Wollen, nichts nützte. Über die Erkrankung meines rechten Ohrs wusste ich damals noch nichts.

Ich verdränge die Erinnerung, indem ich esse und mich dem Komfort des Fahrens hingebe - diesem Gefühl der Sicherheit und des Aufgehobenseins. Als wäre ich in Watte verpackt. Allein dafür hätte sich die Reise gelohnt.

Kurz nach den Kehrtunnels am Alubulapass traue ich mich endlich, die Serviererin zu fragen, woher sie komme. "Aus Tibet", sagt sie. Das wirft so viele neue Fragen auf, dass es Herrn T. und mir die Sprache verschlägt.

In St. Moritz haben wir fast eine Stunde Aufenthalt. Ich gehe kurz spazieren. An diesem Tag ist der mondäne Bergkurort nichts als ein Haufen düsterer Steine und Finanzberater-Plakate. Doch halt: Da, hinter mir, hoppelt sorglos ein dunkles Eichhörnchen über die Hauptstrasse zum Dorf!

Gebührend begeistert bin ich dann doch noch: von der Bernina-Strecke.

Pontresina: ein landschaftliches Bijou in Engadinger Herbstfarben!
Der Berninapass: eine einzigartige Mondlandschaft!

Zwei stille Italiener in unserem Waggon fotografieren wie verrückt. Auch der Kulturflaneur fotografiert.



Doch auch ihm gelingt es nur annähernd, das Spektakel auf ein gelungenes Bild zu bannen.

Die Abfahrt nach Poschiavo: Schwindelerregend!

Zum Schwindelgefühl trugen auch die sechs gut situierten Schweizer Rentner bei, die kurz nach der Passhöhe zustiegen. Sie füllen den Waggon mit Schnapsgeruch und reden so laut, dass sie wahrscheinlich gegen helvetische Lärmschutzgesetze verstossen. Sicher aber müssen wir uns für sie bei unseren italienischen Mitfahrern schämen.

Der Lago di Poschiavo: eine Entdeckung!

Am unteren Ende des Sees, in Miralago, lassen wir unsere Mitfahrer zurück und steigen aus. Die Frau aus Italien blinzelte mir zum Abschied verschwörerisch zu.

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Schlappohr - 16. Okt, 21:35

RhB

Hach, die Rhätische Holper-Bahn, da werden Kindheitserinnerungen wach! So eine Tour de Grison auf der Schmalspurbahn würde ich auch gerne mal wieder unternehmen, gerade jetzt um diese Jahreszeit, wo so oft Nebel hier im Unterländischen hängt.
Viele Grüsse in meine alte Heimat ;)

diefrogg - 16. Okt, 21:56

Eine tolle Heimat...

hast Du! Sie beeindruckt mich immer wieder neu - ich hatte dort ja so viel zu entdecken! Zurzeit hänge ich aber auch wieder im Nebel. Aber Dein ausgezeichneter Balmarone versüsst mir den suppigen Anblick wenigstens ein bisschen.
steppenhund - 16. Okt, 23:16

Als ich vor 2 oder 3 Jahren eine ähnliche Schweizreise plante, kam sie aus beruflichen Gründen nicht zustande. Das war gut so, weil das Wetter sehr schlecht gewesen wäre.
Ich nehme an, dass ich die Reise dann unternehmen werde, wenn gerade ein längeres Hoch vorhergesagt wird. Eine Woche reicht dann schon. Denn in Bälde werde ich wohl die Möglichkeit haben, ohne große Vorplanung spontan solche Unternehmungen vorzunehmen.
Die Route habe ich ja schon einmal geplant gehabt.
Mittlerweile ist auch die Fahrt von Wien nach Zürich mit dem Railjet ein ausgesprochenes Vergnügen.

diefrogg - 17. Okt, 11:38

Ja, das Wetter...,

die Geissel des schweizerischen Tourismus! Wir wussten, dass wir uns entscheiden mussten - entweder wir machen das jetzt, oder wir machen es vielleicht am St. Nimmerleinstag. Die Wetterprognosen waren auch schlecht, und natürlich haben wir viel Grau gesehen. Es gab aber auch unerwartete, herrliche Momente. Man muss wissen: In den Alpentälern ist das Wetter sehr unberechenbar. Aus zwei Dutzend verschiedenen Gründen (Föhn, Nordföhn, die umliegenden Bergkämme halten Wolken ab etc. etc.) kann in diesem oder jenem Tal die Sonne scheinen, während das Mittelland finster ist. Gerade die Südalpen sind in dieser Hinsicht sehr interessant. Da können unerwartete Wetterwechsel ihren eigenen Reiz haben. Wenn man gewisse Bergtouren wegen schlechten Wetters nicht macht, habe ich dafür Verständnis. Wer eine solche Reise wegen Wetteranfälligkeit streicht, hat sie nicht verdient ;)
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