15
Aug
2008

Abschied von Istanbul

Drei junge Mädchen warten mit uns auf die Metro Richtung Flughafen. Sie tragen schwarze Mäntel und Kopftücher, fast wie wütende Mareien. Sie tragen sie mit so viel Trotz wie die Frogg weiland ihre Jeansjacke mit den Heavy Metal-Knöpfen. Der Stoff hängt ihnen schlabbrig an den mageren Körpern. Darunter tragen sie Jeans und Turnschuhe.

Beim Einsteigen sehe ich: Eine von ihnen hat eine billige Stofftasche mit dem Logo der osmanischen Sultane um.


(Quelle: www.arabische-kalligraphie.ch)

Die Tughra. Das Zeichen hat mich fasziniert, wo immer ich es gesehen habe. Auch jetzt, auf dieser Tasche finde ich es schön und rätselhaft. So eine Stofftasche hatte ich als junges Mädchen auch. Die Taschen waren "in" damals und trugen das Logo eines in Frösch erfolgreichen Mittelschichts-Kleiderladens. Was dem Mädchen wohl seine Tasche bedeutet? Und das Logo?

Es ist Sonntag. Die Mädchen werden wohl jetzt zu einer der drei nach Hause fahren. In ein besseres Mittelschichtsheim. Sie werden sich in einem Zimmer verbarrikadieren und zusammen laute Rockmusik hören. Oder was was immer trotzige junge Mädchen heutzutage hören.

Oder sehen sie sich YouTube-Videos mit den Brandreden feuriger Mullahs an?

Vielleicht tun sie auch nichts von alldem. Jedenfalls steigen die drei bei der Station Dünya Ticaret Mercesi aus: am Welthandelszentrum. Da sind weit und breit keine gut situierten Wohnhäuser zu sehen. Nur Messehallen.

Wir fahren weiter. Zum Flughafen. Alles, was wir jetzt noch nicht wissen über die Türkei werden wir noch lange nicht wissen. Vielleicht nie. Wir sind auf dem Rückweg in die Schweiz.

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acqua - 15. Aug, 19:57

Oh je! Jetzt ist das Epos wohl zu Ende.

So eine Tasche habe ich mir mal sehnlichst zu Weihnachten gewünscht. Worauf meine Mutter es schaffte, der Verkäuferin im Ableger des Mittelschichts-Kleiderladens in unserem Provinz-Einkaufszentrum eine abzuschwatzen, obwohl sie nichts bei ihr kaufte.

diefrogg - 15. Aug, 20:16

Tatsächlich?!

Das ist ja witzig! Bei Euch waren sie also auch "in", diese Taschen! Ich weiss gar nicht mehr, woher ich meine hatte. Ich selber habe jedenfalls erst meinen ersten Hosenanzug dort gekauft, und das ist noch nicht lange her. Vorher fand ich ihn immer bieder.

Ja, das Epos ist jetzt fertig. Ich wollte fertig werden, bevor Du abreist. Deshalb habe ich mich ein bisschen beeilt.
walküre - 17. Aug, 13:09

Wenn

man in der Türkei eine Tasche mit dem Zeichen der Osmanischen Sultane trägt, beinhaltet diese Symbolik möglicherweise den selben Personenkult, der hier in Wien manchmal anzutreffen ist, wenn Menschen (vor allem jedoch Touristen) mit Taschen mit Sisi-und-Franzl-Porträts herumlaufen: eine Reminiszenz an die vermeintlich gute, alte Zeit.

diefrogg - 17. Aug, 13:48

Das könnte...

den Nagel auf den Kopf treffen. Zu 90 Prozent jedenfalls. Denn die Türkei hat ja eine ganz andere Geschichte als Österreich. Die Tughra zum Beispiel war wie vieles andere, was an osmanische Zeiten erinnerte, in der Türkei jahrelang verboten. Jetzt hingegen macht sich in der Türkei laut verlässlichen Quellen so etwas wie eine Osmanen-Nostalgie breit. Die Türken dürfen sich endlich dran erinnern, dass sie einmal ein Weltreich beherrschten. In diesem Kontext sieht man die Sultane gern als tolerante Welt- und Kirchenfürsten, die in ihrem riesigen Herrschaftsgebiet alle Religionen tolerierten (auch die Ostkirche und das Judentum).

Andererseits habe ich die Tughra auch auf islamistischen Websites gesehen. Da die Sultane den Islam enorm mächtig gemacht haben, könnte auch dieser Kontext Sinn machen.

Die Girls sahen ja ziemlich rotzig aus. Aber folgten sie dem Modell "wir finden unsere sekularistischen Eltern beschissen und behängen uns deshalb mit osmanischen Symbolen und Kopftüchern"? Oder einem ganz anderen? Mit Sisi-und-Franz Josef-Taschen kann ich mir die drei schlecht vorstellen. Aber ich weiss es einfach nicht.
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