7
Aug
2008

Katze

Abend in Kuşadası. Nach anderthalb Wochen rastloser Reiserei haben wir endlich eine Pause. Endlich Ferien. Wir sitzen am Fuss der mittelalterlichen Burg in einer Bar. Es ist wunderbar warm. Zu unserer Linken brandet das Meer. Zu unserer Rechten steht ein Fernsehapparat auf einem Stuhl. Am Fernsehen läuft Fussball*: Die Russen besiegen gerade die Schweden.

Unter dem Stuhl hat eine Katze sich etwas geschnappt. Eine Eidechse. Sie setzt sich hin und lässt das Tierchen zwischen ihre Vorderbeine fallen. Starrt es aufmerksam an. Wartet.

Jetzt flüchtet die Eidechse. Aber das ist keine Eidechsenflucht, kein Aufschimmern, Huschen und Verschwinden. Das ist nicht viel mehr als ein demütiges, graues Wegzittern. Sie schafft die anderthalb Meter bis zu den rettenden Ritzen des Burgfelsens nicht in einem Anlauf. Sie hat ja schon keinen Schwanz mehr. Sie muss pausieren.

Die Katze wartet. Und wartet. Da läuft die Eidechse wieder los, ja, diesmal schafft sie es! Doch schon schiesst die Katze nach vorn, packt ihr Opfer mit samtenen Pfötchen, schubst es unter den Fernseher zurück. Jongliert es ein paarmal zwischen seidigen Vorderbeinen, wirft es hoch in die Luft und fängt es auf. Dann lässt sie es wieder fallen. Wartet, bis es davonschleicht. Wartet.

Die Katze ist schön. Ihr Fell glänzt. Sie ist schlank, aber nicht mager wie die verschupften Viecher, von denen Hundert- und Tausendschaften in Istanbul herumstreichen. Schon am ersten Abend kamen wir beim Galataturm an zwei solchen Katzen vorbei. Die eine schrie markerschütternd, denn die andere hatte sie gerade am Nacken gepackt und drückte sie unbarmherzig auf den Boden.

Nein. Unsere Katze in Kuşadası musste nicht kämpfen. Sie hatte Musse zum Spielen. Tat sie auch. Jetzt schaute sie wieder zu, wie die Eidechse losbeinelte. Das Spiel begann von vorne.

Fussball interessierte mich nicht mehr. Ich starrte gebannt auf ein Naturschauspiel. Ich weiss, dass Katzen grausam sind zu ihren Opfern. Aber ich hatte es noch nie mit eigenen Augen gesehen.

Beim fünften Mal wechselte die Eidechse die Richtung. Sie lief auf unseren Tisch zu. Einen Meter von uns weg stoppte sie. Blieb liegen.

Da pfiff der Schiedsrichter am Fernsehen zur Halbzeit. Zwei angeschickerte Engländerinnen trampelten laut redend an unserem Tisch vorbei. Beinahe wären sie auf unsere Eidechse getreten. Beinahe wünschte ich mir, sie hätten es getan. Hätten das Leiden des Tierchens verkürzt, ohne es zu wissen.



* Wir schreiben den 19. Juni, es ist immer noch Fussball-Europameisterschaft.

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walküre - 7. Aug, 12:35

Ich

hätte mir die Katze geschnappt und sie festgehalten, bis die Eidechse in Sicherheit gewesen wäre. Und ich möchte jetzt keine blöden Anmerkungen anonymer Kommentatoren von wegen Gutmenschentum und Naivität lesen. Ich weiß, das täglich zehntausende Katzen zehntausende Eidechsen auf diese Weise töten, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Wenn ich aber Zeugin eines solchen Schauspiels werde, greife ich ein. Nicht mehr und nicht weniger.

diefrogg - 7. Aug, 14:52

Geschätzte Frau Walküre

Damit Sie mich verstehen, muss ich vielleicht folgendes anmerken: Ich habe zu Haustieren (und vor allem ihren Haltern) eine ausgesprochen feindselige Beziehung. Das hat mit meinen einschlägigen Erfahrungen als Joggerin zu tun. Ich habe Hundehalter als Mitbürger kennengelernt, die von Ihren Freiheiten über Gebühr Gebrauch machen: Indem sie mir ihre potenziell blutrünstige Pelzkugeln in den Weg stellen - um mich so an der Ausübung meines Rechtes zu hindern, ungestört rund um den Göttersee zu joggen. Leider sind Tierhalter chronisch uneinsichtig, wenn man sie auf dieses Verfehlen aufmerksam macht. Deshalb jogge mittlerweile bewaffnet.

Mit Katzen kann ich etwas besser. Ich finde sie schön. Sie wiederum finden es normalerweise besonders charmant, dass ich mich weiter nicht für sie interessiere.

Was mich an tierliebenden Menschen aber besonders nervt: Sie finden ihre Tiere insgesamt und ihr eigenes sowieso total herzig, süss, knuddelig und überhaupt einen Segen für die Menschheit. Dabei sind Tiere das nicht (nur). Sie sind oft eine Zumutung. Und sie sind, Kreaturen der Natur, sie sind geborene Jäger und potenziell gefährlich. Ich habe diesen Eintrag auch geschrieben, damit DAS auch wieder einmal jemand schreibt.
walküre - 7. Aug, 15:16

"Potenziell blutrünstige Pelzkugeln" ist gut. Aber davon abgesehen gibt es vice versa Jogger (in Ihren Gefilden kann ich den Sachverhalt natürlich nicht beurteilen), die aus meiner Sicht am besten mit einem Freiflugschein auf den Mond (einfache Fahrt) bedient wären. Nämlich solche, die trotz eines riesigen Wegnetzes ausgerechnet auf jenen Flächen laufen, die von Verwaltung, Gemeinde usw. ausdrücklich als Hundewiesen (ohne Leinenpflicht) deklariert sind, um sich dann fürchterlich über die Hundehalter aufzuregen, die ihre Tiere hier frei laufen lassen. Das ist halt die Kehrseite der Medaille.

"Sie sind, genau wie der Mensch, Kreaturen der Natur, sie sind geborene Jäger und potenziell gefährlich."
Völlig richtig, einerseits. Andererseits ließe sich mit diesem Argument genauso begründen, warum man es als Mensch vorziehen sollte, in einer Situation, in der ein anderer Mensch bedroht wird, nicht einzugreifen.
acqua - 7. Aug, 22:11

So so... Nun muss ich also auf diesem Weg erfahren, wie Sie über Tierhalter denken! Aber als Fröschin kann es natürlich nicht in Ihrem Interesse liegen, wenn Menschen Raubtiere züchten.
Ich bin auch so. Ich finde meinen Kater extrem knuddelig. Und er ist ein Segen. Für mich. Für viele andere Wesen ist er aber der Untergang. Darüber habe ich auch schon geschrieben.
Herr T - 7. Aug, 14:04

Als Alpentiger helfe ich der Katze

Wenn wir die Katze von ihrem - zugegebenermassen grausamen, aber natürlichen - Spieltrieb abgehalten hätten, hätten wir viel zu tun gehabt: Auf dem nahen Felsen wimmelte es nämlich von potenziellen Opfern. Und die lebendige Natur können wir zum Glück (noch) nicht verändern. Nein, Philemon hatte nur eine Option: Die angeschlagene Kreatur selber zu töten. Sonst wäre die Eidechse womöglich in einer Felsritze tagelang dahingesiecht. Ist das menschlicher? Vielleicht hätten wir der Katze wegen ihrer Blutgrätsche die rote Karte zeigen sollen...

diefrogg - 7. Aug, 14:42

Danke, Herr T.,

für die Anmerkung.

acqua - 7. Aug, 22:23

Das hast du atemberaubend spannend geschrieben.

diefrogg - 8. Aug, 11:01

:)))

diefrogg - 8. Aug, 11:33

So werde ich denn...

Das "auch die Menschen" streichen, denn Sie haben in diesem Punkt Recht, geschätzte Frau Walküre.

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