28
Sep
2011

Irritation über Jane Eyre

Jane Eyre ist eine Figur, die mich immer befremdet hat. Eine Irritation, die die neueste Verfilmung sogar noch verstärkt. Der Streifen läuft zurzeit in den Schweizer Kinos.



Ich muss vorausschicken: Ich lasse mit gern erklären, was dieser Film einem jungen, weiblichen Publikum bieten soll. Er funktioniert weder als Romanze, noch als Gruselstory. Dafür macht er die unerbittliche Härte von Jane's Schicksal umso sichtbarer: Das Mädchen hat eine grauenhafte Kindheit. Dazu ist es keine Schönheit, trägt stets Grau und kommt kaum je aus schummrig beleuchteten Gemäuern heraus. Diese Jane Eyre hat etwa so viel erotische Ausstrahlung wie eine staubige Stadttaube. Das einzige, was Rochester an ihr attraktiv finden kann, ist ihre Sturheit; ihren Unwillen, ihm zu schmeicheln; ihre unerbittliche Tugendhaftigkeit.

Und ich setze wieder die Fragezeichen, die ich schon bei der Lektüre des Buches vor 25 Jahren setzte: Woher hat Jane ihre Sturheit? Nichts und niemand erlaubt diesem geschundenen Kind, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Sie wird so oft gedemütigt, dass sie bei jedem lauten Wort einer Autoritätsperson erzittern müsste. Und dennoch trotzt sie ihrer Pflegemutter und ihren bigotten Erzieherinnen. Und flieht bei lebensgefährlichem Wetter vor Rochester, als klar ist, dass er sie nicht zu einer anständigen Frau machen kann. Wie kommt es, dass sie nicht gelernt hat, wo ihr Platz ist: bei jenen, die ihrem Blick sittsam niederschlagen, wenn der Chef spricht?

Die Frage beschäftigte mich so sehr, dass ich meine feministischen Standardwerke der Literaturkritik aus den Achtzigern aus den hintersten Winkeln meines Büchergestells klaubte. Sie gaben mir keine Antwort. Aber ich habe mich zu fragen begonnen, ob meine Irritation ein Quäntchen Eifersucht enthält.

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Täuschblume - 28. Sep, 12:27

und ich muss vorausschicken,

dass ich weder das Buch noch jrgendeine der vielen Verfilmungen kannte
und dass mir nun dieser Film sehr gefallen hat, und dies in fast jeder Hinsicht.
Einzig die Geistereinflüsterungen waren schlecht gemacht und wie ich finde, auch unnötig.
Von wegen schummrig und grau; mir passten diese Farbtöne gut und überhaupt die ganze Ästhetik des Films.
Vermutlich tat mir genau mein nichtwissen gut; denn ich kannte zum Glück das Ende nicht,
Ich hatte überhaupt keine Ansprüche an den Film und auch keine Fragen, konnte ihn wunderbar geniessen.
Gerade "wie" die Beziehung entstand fand ich berührend.
Auf deine Fragen finde ich nur schlecht Antwort. Gegenfrage: Müssen sich junge Mäschen mit J. E. überhaupt identifizieren ?
Zu deiner allerletzten Frage: ich denke ja, das könnte schon so sein.

diefrogg - 28. Sep, 13:30

Liebe Täuschblume

Ich glaube, die letzte Frage ist eine, die ich mir ganz allein beantworten muss. Da lasse ich mir nicht dreinreden.

Und zu Deiner Gegenfrage: Nein, junge Frauen müssen sich nicht mit der Figur identifizieren können. Wenn er jungen Frauen aber nichts gibt, floppt der Film, denn junge Frauen sind wahrscheinlich sein Zielpublikum. Mein Verdacht bestätigt sich insofern, als der Film bei uns nur noch im Vorabend-Programm läuft. Das heisst: Er wird wahrscheinlich bald abgesetzt. Das können die Filmemacher unmöglich gewollt haben.

Gegenfrage: Soll man einen Film nur dann geniessen können, wenn man keine Ansprüche an ihn hat?
Täuschblume - 28. Sep, 14:33

1 - Aber meine Gedanken dazu darf ich schon äussern, oder ? Sonst weiss ich nicht, was das hier soll. Zudem war es ja ein Gedanke, der deinen eigenen bestätigt.
2 - Ich finde er lief länger, als ich je zu hoffen gewagt hätte.
3 - Nein, das denke ich nicht und habe ich so auch nicht gesagt; aber es gelingt einem vielleicht besser,
falls man einen Film überhaupt vor hat zu geniessen. Ich schaue auch nicht alle Filme unter dem Genuss -Vorhaben- Aspekt an.

diefrogg - 28. Sep, 17:38

1) Falls Du damit...

immer noch meine Frage zur Eifersucht meinst: Nein, es wäre mir lieber, wenn Du Deine Gedanken dazu nicht äussern würdest. Und Du hast sie auch nicht geäussert, sondern lediglich angesprochen, dass Du dazu Gedanken hast. Das klingt für mich, als würdest Du mich verurteilen - aber ganz ohne Argumente. Da will ich den Rest gar nicht wissen, sorry. Erst recht nicht öffentlich. Ich diskutiere jedoch gerne über alle möglichen Aspekte des Films und respektiere auch, dass Du diesbezüglich eine andere Meinung hast.
2) Das kann schon sein. Es geht mir auch nicht um den kommerziellen Aspekt. Sondern mehr um eine Grunderwartung, die ich an ein Kunstwerk habe: Es muss eine Aussage über den Zeitgeist oder wenigstens über den Zustand der Kunst machen, eine Art Aktualität haben. Sonst weiss ich nicht, weshalb ich es mir ansehen soll. Aber das ist meine persönliche Erwartung. Ich erwarte von niemandem, dass er oder sie die auch hat
3) Genuss finde ich bei jedem Kulturprodukt, das ich konsumiere, zentral. Nichts schlimmer als ein Theater, das mich foltert mit seiner Ödnis und seinem Lärm, möge es noch so aktuell sein. Ich finde aber nicht negativ, dass Jane Eyre als Figur mich irritiert. Der Roman hat in seiner ganzen Strenge und Linearität etwas Grossartiges und diese Frauenfigur stellt seit 150 Jahren Fragen. Ich stelle einfach fest, dass ich den Film nicht so gelungen finde.
Täuschblume - 28. Sep, 21:10

nochmals zu eins

Ja, das ist die Sache mit der Eifersucht .... und dann lass ichs ..... und so wies ausssieht für länger oder für immer.
Denn ich habe wohl wiedermal eine mir unbekannte Bloggerregel verletzt oder zumindest dich.
Das letztere tut mir leid. Dass ich aber einen empfindlichen Nerv getroffen habe, dafür kann ich nichts.
Ich will halt alles was ich denke, auch sagen und schreiben können. Es ist ja nichts despektierliches oder so, was ich tat. Zudem war es nur in der Möglichkeitsform.
Was ich wollte, war deine Fragen aufnehmen und zwar alle und das war durchaus lieb gemeint.

rosawer - 29. Sep, 17:52

Endlich

kann ich wieder kommentieren. Ich hatte mein Passwort vergessen und sowieso keine Zeit zum antworten. Dabei hat es mich manchmal in den Fingern gejuckt!!
Ich denke, dass die Resilienz von Menschen unerklärlich ist. Wir wissen, dass es eine ganze Anzahl Menschen gibt, die nach schwerster Traumatisierung ohne weiteres nachher ein gutes Leben geführt haben, und andere sind daran zerbrochen. Ich habe den Film nicht gesehen, und will nicht allzuharte Vergleiche ziehen. Aber was mich manchmal ganz schön neidisch macht, ist der Glanz der geliebten Kinder. Man kann nämlich spüren, wenn Kinder in einem guten Umfeld aufgewachsen sind. Und damit meine ich nicht: unproblematisch, sondern unbeschädigt. Und dann sind wir schon wieder bei der Resilienz.
Wobei dabei ein Widerspruch darin liegt, dass Jane Eyre möglicherweise nicht unbeschädigt aus ihrer Kindheit hervorgegangen ist. Das weiss ich nicht.

diefrogg - 29. Sep, 21:43

Willkommen zurück!

Ich fürchtete Dich schon unter Bergen von Stress verschollen! Ja, was die Resilienz von Jane Eyre betrifft, müsste ich wohl den Text nochmals anschauen. Aber ich meine mich zu erinnern, dass ich an ihm damals schon eine Erklärung genau dafür vermisste. Ich erwartete - oder hoffte zumindest -, dass ein literarischer Text das bereithält. Genau das schien für mich die brennende Frage.

Was den Glanz geliebter Kinder betrifft: Ja, ich kenne diese Erfahrung aus dem Heim für behinderte Kinder, wo ich mal gearbeitet habe. Man konnte sehen, welche Kinder zu Hause Eltern hatten, die sie liebten - und welches die verschupften Kreaturen waren. Das hat manchmal richtig wehgetan.
rosawer - 30. Sep, 10:33

Ich denke da

nicht an Kinder, die besonders der Gefahr der Vernachlässigung ausgesetzt sind. Sondern ich rede über mich, die ich diesen Glanz nicht habe, und auch weiss wieso. Und ich bin ein ganz normales Mittelschichtskind. Behütet aufgewachsen. Mit allem ausgestattet, was ich für mein Leben brauche. Aber eben nur mit fast allem. Und das verstört mich auf eine andere Art: Meine Eltern glauben ganz sicher, dass sie mich lieben, ja ich bin sogar sicher, dass sie es tun. Aber es gibt Dinge, die in einem Leben passieren, und das gibt man leider auch an die Kinder weiter, und sei es nur mit fehlenden Glanz. Und das bringt mich richtig in Schwierigkeiten, denn ich behaupte ja auch, dass ich meine Kinder liebe. Nur, was ich nicht habe, kann ich auch nicht weitergeben. Das macht mich neidisch und traurig gleichzeitig. Umgekehrt habe ich eine Freundin, die mit einer schrecklichen Vergewaltigung zu kämpfen hat, die ihr im jungen Erwachsenenalter zugestossen ist. Und trotzdem hat sie diesen Glanz, gottseidank. Damit bin ich doch wieder bei der Resilienz, die vielleicht zu einem Teil über eine angemessene Kindheit möglich ist. Und damit wieder bei Jane Eyre, wo wir das nicht erklären können, außer mit einer intrinsischen Fähigkeit, die in der Persönlichkeit und dem Charakter einer Person liegt.
diefrogg - 30. Sep, 13:34

Oh ja, wie gut...

ich dieses Gefühl kenne - glaube ich jedenfalls. Wahrscheinlich triffst Du mit diesem Thema auch einen Teil dieser Eifersucht, die ich anspreche. Auch ich hatte eine behütete Mittelschichtskindheit ohne offensichtliche Beeinträchtigungen. Aber es geht mir eigentlich sehr ähnlich - auch ich hatte immer das Gefühl, irgendwie im Schatten zu stehen. Besonders im Gegensatz zu meinem Bruder, den ich immer als von der Sonne verwöhnte Person wahrgenommen habe. Und das ist ja eigentlich merkwürdig, denn wir haben beide dieselben Eltern.

Wenn ich mit meinem Bruder spreche, scheint er allerdings eher den Eindruck zu haben, ich sei die Privilegierte von uns beiden gewesen. Das lässt mich die Dinge dann jeweils ein bisschen lockerer sehen.

Aber ich glaube, Deine Sorge darüber zu verstehen, dass Du Deinen Kindern diesen Glanz nicht mitgeben kannst. Dass Du Dich damit quälst, scheint mir allerdings doppelt unfair für Dich: Du hast selber ein Defizit mitbekommen, noch dazu eins, dass sich so schwer benennen und beim besten Willen nicht ausgleichen lässt. Und nun musst Du auch noch verhindern, dass Du das Defizit weiter gibst... eine unlösbare Aufgabe.

Aber um nochmals auf Jane Eyre zurück zu kommen: Sie ist gewissermassen der Prototyp des im Schatten stehenden Mädchens - und diesen Aspekt unterstreicht natürlich der Film. Sie ist deswegen für mich Identifikationsfigur und ich versuche wohl deswegen so intensiv, herauszufinden, wie sie zu ihrer Resilienz gekommen ist.
stoppl - 29. Sep, 18:54

Meinungsfreiheit, mögliche Kommentarfunktion, Toleranz - ermöglicht Kommunikation

Einen Kommentar, der sich absolut in Grenzen hält, nicht beleidigend sondern ausnehmend freundlich gehalten ist,
auf diese, IHRE Art und Weise zu maßregeln führt ein Weblog ad absurdum.
Wo ist die Käseglocke?

diefrogg - 29. Sep, 19:00

Worin bestand denn...

Ihrer Meinung nach die Massregelung?
stoppl - 29. Sep, 19:07

Jemanden zurechtweisen, welche Fragen/Antworten er/sie stellen darf, kann, nicht soll - nenne ich mit Verlaub maßregeln. Sie nicht?
diefrogg - 29. Sep, 21:46

Ich kann immer noch...

nicht sehen, wo Sie die Zurechtweisung finden. Ich darf doch erwähnen, dass ich über gewisse - persönliche Dinge - auf meinem Blog nicht diskutieren möchte. Oder etwa nicht?
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