Spaziergänger-Roulette
Es herbstelt. Die Spazier-Saison hat begonnen. Doch heute war ich unschlüssig, wo mein Ausflug hinführen sollte. So entschied ich mich für eine Runde Spaziergänger-Roulette. Dieses Spiel geht so:
1) Ich begebe mich zum Bus-Perron Nummer 4 am Bahnhof Luzern. Von dort aus fahren die Busse in die entlegeneren Vororte unserer Stadt.
2) Ich werfe einen kurzen Blick auf die Tafel mit den Abfahrtszeiten
3) Dann nehme ich den nächst möglichen Bus. Egal wo er hinfährt. Unterwegs entscheide ich, wo ich aussteige
4) Von dort aus marschiere ich einfach los. Eine Wanderkarte habe ich dabei
Ein merkwürdiger Zufall verschlug mich auf die Nummer 61 Richtung Ettiswil. Genau in diese Richtung hat mich vor einer Woche auch der pedestriangeführt. Wie bei unserem gemeinsamen Spaziergang stieg ich an der Haltestelle Stächenrain aus. Das Besondere an dieser Station ist: Sie liegt im nördlichsten Zipfel der Stadt Luzern. Es sieht dort so aus:
Und wendet man den Blick Richtung Süden, also stadteinwärts, erblickt man das hier:
Ich fürchte, nun sind meine potenziellen Besucher aus Wien erschrocken. So ländlich haben sie sich Luzern denn doch nicht vorgestellt. Aber ich kann sie beruhigen: Luzern ist eine Stadt. Sie hat fast 77000 Einwohner und einen Hauptbahnhof mit 14 Gleisen. Sie hat eine hübsche Altstadt mit zwei H&Ms, zwei Starbucks-Läden und unzähligen Mode-Boutiquen. Sie hat eine trendige Neustadt, wo einheimische Designer ihre Lokale haben. Sie hat massenhaft Kultur. Und mehrere Verkersachsen mit den lahmsten Ampeln Europas. Jeden Abend bricht bis weit in ihre Vororte hinaus der Verkehr zusammen. Sie hat immer mehr astronomisch teure Wohnungen. Und sie hat vor zwei Jahren mit der Vorortsgemeinde Littau fusioniert. Seither gehört auch der Stächenrain zur Stadt Luzern.
Von hier aus startete ich. Allerdings wandte ich mich nicht stadteinwärts. Nein. Diesmal ging ich Richtung Norden. Mich reizte der Gedanke, dass ich von hier aus in die grosse Stadt Basel gehen könnte - wenn ich nur immer weiter und weiter ginge.
Zuerst fand ich aber nur mehr Wiesen, mehr Bäume und mehr Kühe. "Grüne Wüste" hätte der Herr kulturflaneur es wohl genannt. Und dann kam ich auch noch nach Neuenkirch.
Dort gibt es, wie mir scheint, keine anständige Ortstafel. Sondern statt dessen ein Plakat mit der Aufschrift "Schweizer wählen SVP". Ich habe darauf verzichtet, es zu fotografieren. Denn ich weiss: Die meisten meiner Leser können keine SVP-Plakate mehr sehen. Ich muss gestehen: Neuenkirch war mir sofort unsympathisch. Es macht einen auf heil und helvetisch. Als wäre hier - auf dem Land - alles besser. Aber es ist doch auch nur ein Vorort. Das merkte ich schnell, als ich es bergauf Richtung Wilistatt verliess: Oberhalb der Kirche gibt es einen dicken Einfamilienhaus- und Wohnblockgürtel.
Erst als ich ihn durchquert hatte, atmete ich freier. Auf den Hügeln dort oben betritt man eine andere Epoche. Dort oben sind die Bauernhäuser 400 Jahre alt, stattliche Anwesen auf fetter Erde. Der Blick auf den Alpenkamm ist gewaltig. Wer hier bauert, braucht sich nicht um die Polit-Geplänkel des 21. Jahrhunderts zu kümmern. Scheint es jedenfalls.
Plötzlich begriff ich, warum ich es dort oben so grossartig finde. Weil man dorthin vor der Gegenwart fliehen kann. Da erschrak ich über mich selber.
1) Ich begebe mich zum Bus-Perron Nummer 4 am Bahnhof Luzern. Von dort aus fahren die Busse in die entlegeneren Vororte unserer Stadt.
2) Ich werfe einen kurzen Blick auf die Tafel mit den Abfahrtszeiten
3) Dann nehme ich den nächst möglichen Bus. Egal wo er hinfährt. Unterwegs entscheide ich, wo ich aussteige
4) Von dort aus marschiere ich einfach los. Eine Wanderkarte habe ich dabei
Ein merkwürdiger Zufall verschlug mich auf die Nummer 61 Richtung Ettiswil. Genau in diese Richtung hat mich vor einer Woche auch der pedestriangeführt. Wie bei unserem gemeinsamen Spaziergang stieg ich an der Haltestelle Stächenrain aus. Das Besondere an dieser Station ist: Sie liegt im nördlichsten Zipfel der Stadt Luzern. Es sieht dort so aus:
Und wendet man den Blick Richtung Süden, also stadteinwärts, erblickt man das hier:
Ich fürchte, nun sind meine potenziellen Besucher aus Wien erschrocken. So ländlich haben sie sich Luzern denn doch nicht vorgestellt. Aber ich kann sie beruhigen: Luzern ist eine Stadt. Sie hat fast 77000 Einwohner und einen Hauptbahnhof mit 14 Gleisen. Sie hat eine hübsche Altstadt mit zwei H&Ms, zwei Starbucks-Läden und unzähligen Mode-Boutiquen. Sie hat eine trendige Neustadt, wo einheimische Designer ihre Lokale haben. Sie hat massenhaft Kultur. Und mehrere Verkersachsen mit den lahmsten Ampeln Europas. Jeden Abend bricht bis weit in ihre Vororte hinaus der Verkehr zusammen. Sie hat immer mehr astronomisch teure Wohnungen. Und sie hat vor zwei Jahren mit der Vorortsgemeinde Littau fusioniert. Seither gehört auch der Stächenrain zur Stadt Luzern.
Von hier aus startete ich. Allerdings wandte ich mich nicht stadteinwärts. Nein. Diesmal ging ich Richtung Norden. Mich reizte der Gedanke, dass ich von hier aus in die grosse Stadt Basel gehen könnte - wenn ich nur immer weiter und weiter ginge.
Zuerst fand ich aber nur mehr Wiesen, mehr Bäume und mehr Kühe. "Grüne Wüste" hätte der Herr kulturflaneur es wohl genannt. Und dann kam ich auch noch nach Neuenkirch.
Dort gibt es, wie mir scheint, keine anständige Ortstafel. Sondern statt dessen ein Plakat mit der Aufschrift "Schweizer wählen SVP". Ich habe darauf verzichtet, es zu fotografieren. Denn ich weiss: Die meisten meiner Leser können keine SVP-Plakate mehr sehen. Ich muss gestehen: Neuenkirch war mir sofort unsympathisch. Es macht einen auf heil und helvetisch. Als wäre hier - auf dem Land - alles besser. Aber es ist doch auch nur ein Vorort. Das merkte ich schnell, als ich es bergauf Richtung Wilistatt verliess: Oberhalb der Kirche gibt es einen dicken Einfamilienhaus- und Wohnblockgürtel.
Erst als ich ihn durchquert hatte, atmete ich freier. Auf den Hügeln dort oben betritt man eine andere Epoche. Dort oben sind die Bauernhäuser 400 Jahre alt, stattliche Anwesen auf fetter Erde. Der Blick auf den Alpenkamm ist gewaltig. Wer hier bauert, braucht sich nicht um die Polit-Geplänkel des 21. Jahrhunderts zu kümmern. Scheint es jedenfalls.
Plötzlich begriff ich, warum ich es dort oben so grossartig finde. Weil man dorthin vor der Gegenwart fliehen kann. Da erschrak ich über mich selber.
diefrogg - 17. Sep, 19:13
4 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Jossele - 19. Sep, 11:17
Ja und warum nicht gelegentlich vor der Gegenwart "fliehen"? Zumal ein solches Umland ja nachgerade dazu einlädt.
Das Bild der Haltestelle Stächenrain hat allerdings ein wenig was skuriles.
Das Bild der Haltestelle Stächenrain hat allerdings ein wenig was skuriles.
diefrogg - 19. Sep, 13:22
Die Metallkiste...
beim kleineren Haus ist ein Milchautomat (ehrlich wahr!) Es gibt dort Frischmilch ab Hof!
Und, ja Sie haben Recht: Wahrscheinlich darf gerade eine abgetakelte Journalistin ab und zu vor der Gegenwart fliehen. Ich habe ja nicht vor, mir dort oben ein Einfamilienhaus zu bauen, um mich dauerhaft aufs Land abzusetzen und damit die Vorstadt aufs Land zu bringe!
Und, ja Sie haben Recht: Wahrscheinlich darf gerade eine abgetakelte Journalistin ab und zu vor der Gegenwart fliehen. Ich habe ja nicht vor, mir dort oben ein Einfamilienhaus zu bauen, um mich dauerhaft aufs Land abzusetzen und damit die Vorstadt aufs Land zu bringe!
Jossele - 19. Sep, 18:19
Das Haus, filmreif aus einer Heimatschnulze der Schweizer Berge, einen Meter an der Sraße, Frischmilchautomat inclusive. Man möcht ein bisserl nachdenklich sein.
Auf´s Land zu fliehen ist sowieso keine Lösung. Das "Land" wäre schwupdiwup Vorstadt. An Manchem sollte man nur bedingt teilhaben, es besuchen, sonst nichts, quasi Freiräume lassen.
Aber da sag ich ihnen ja nichts Neues.
Auf´s Land zu fliehen ist sowieso keine Lösung. Das "Land" wäre schwupdiwup Vorstadt. An Manchem sollte man nur bedingt teilhaben, es besuchen, sonst nichts, quasi Freiräume lassen.
Aber da sag ich ihnen ja nichts Neues.
Kulturflaneur - 27. Sep, 01:05
Suburbane Realitätsflucht
Das kann man mit einem Augenzwinkern durchaus als suburbane Realitätsflucht bezeichnen. Die grüne Idylle täuscht nämlich: Das Leben der allermeisten in dieser Gegend ist weitgehend auf die Stadt ausgerichtet und ohne Stadt gar nicht denkbar.
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