20
Jan
2013

Hippies im Schnee


(Bank bei Uffikon LU, Bild vom pedestrian)

Die fünfte Etappe meines Wegs nach Norden enttäuschte aussichtsmässig. Ebensogut hätte ich in eine kaputte Bildröhre starren können, so heftig schneite es. Dafür hatte ich diesmal einen Begleiter: den pedestrian. Mit ihm könnte ich auch in einer Dunkelkammer heitere Runden drehen. Wir haben ja immer so viel zu berichten! Immerhin hatte er die Geistesgegenwart, die Flowerpower-Bank oben zu fotografieren.

Meines Wissens ist sie die einzige Sehenswürdigkeit auf der Strecke Knutwil - Eriswil - Uffikon - Dagmersellen. Uffikon war in den nuller Jahren für kurze Zeit berümt: als Hauptsitz des Künstlers Wetz. Er schuf dort mit überboderndem Witz und gigantischer Schaffenskraft ein Museum und nannte es stinkfrech das grösste KKL. Das hiess angeblich "Kunst und Kultur auf dem Land", war aber auch eine Anspielung auf das gleichnamige Konzerthaus mit internationaler Ausstrahlung in Luzern. Später stellte er auch noch einen Tempelhof in die Gegend.


(Quelle: www.sf.tv)

Damit überforderte er die Nachbarn. "Ein Tempel inmitten von Bauernhöfen? Sinnlos!" befanden sie. Wetz musste gehen - von schweizweitem Mediengetöse begleitet. Er waltet heute in Beromünster.

Ich wählte die Route aber nicht wegen Wetz, sondern wegen der Autobahn, die hier durch ein - im Sommer - unglaublich grünes Tal führt. Ich habe sie früher oft befahren und wollte sie einmal von oben sehen. Doch wir sahen sie nicht. Wir hörten sie nur. Statt dessen sahen wir - als sich das Schneegestöber für einen Moment lichtete - unter uns einen Strassenkreisel.

"Das", sagte der pedestrian fast aufgeregt, "war früher die Kreuzung von Buchs!" Buchs ist ein an sich unbedeutendes Dorf auf der anderen Talseite. Der pedestrian ist aber ortskundig und berichtete, dass die leere Strasse unter uns vor der Eröffnung der Autobahn 1980 die Hauptlinie gewesen sei, auf der man vom Nordkap nach Sizilien fuhr. "Im Sommer gab es hier oft lange Staus."

An jenem Tag im Dezember aber schien der Kreisel nur die linke These zu widerlegen, dass es keinen Sinn macht, neue Strassen zu bauen - weil sich alte und neue Strassen schnell wieder mit noch mehr Verkehr füllen. Der Kulturflaneur hat das alles hier einmal anschaulich erklärt. Der Kreisel von Buchs aber war an jenem Tag geradezu gespenstisch leer - derweil sich die nahe Autobahn geschäftig anhörte.

Vielleicht inspiriert von der Bank oben kamen wir später auf das legendäre Festival Woodstock zu sprechen, genauer: Auf den Film Taking Woodstock von Ang Lee.


(Quelle: outnow.ch)

Auch dem pedestrian hatte er gefallen. Etwa, weil er zeige, was passiert, wenn solch ungeheure Menschenmassen in ein Gebiet mit dünner Infrastruktur einfallen. Ich musste lachen. "Als würden sie sich alle auf die Kreuzung von Buchs zubewegen!" sagte ich.

Durch das Schneetreiben konnten wir die Geister einer Hippiekarawane schemenhaft sehen.

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Kulturflaneur - 20. Jan, 18:54

Woodstock in der Zentralschweiz

Frau Frogg tut so, als wäre die Zentralschweiz ein hippiefreie Zone, dabei war sie doch 2009 – als ihr Gehör noch halbwegs intakt war – mit mir am Waldstock Openair Spektakel, einem etwas freakigen Festival im zugerischen Steinhausen. Gut auch, dass Waldstock nie Gefahr lief, die gigantischen Ausmasse von Woodstock anzunehmen, sondern ein kleines, aber feines Festival geblieben ist.

diefrogg - 20. Jan, 19:03

Ja, das war ein hübscher...

Ausflug. Da habe ich damals sogar selber drüber geschrieben! Hier. Aber ich fühlte mich damals dem Open Air Alter schon sehr entwachsen. Vielleicht bevorzuge ich deshalb heute die räumliche und ästhetische Distanz eines Kinofilms.
Jossele - 21. Jan, 16:26

Woodstock war ja auch nur halt so ein Ort, könnte ebenso Buchs sein.
Buchs, bitte, da kann man durchaus auch von Osten nach Westen durchfahren, was ich desöfteren getan habe, damals, als meine Haare noch einen Hippie abgeben konnten, damals, als ...
Schneegestöber bergen viele Dinge.

diefrogg - 21. Jan, 17:36

Soso, Herr Jossele...

mit Hippiehaar?! Das Schneegestöber ist wirklich voller Überraschungen ;) Tatsächlich kann man Buchs auch von West nach Ost durchfahren - das ist allerdings eine ziemliche Bergstrecke! Sind Sie sicher, dass Sie nicht Buchs im Aargau (an der Suhr!) oder Buchs (St. Gallen) meinen?

Woodstock in upstate New York war - ist - tatsächlich - einfach so ein Ort. Kommerziell lebt er allerdings noch heute von seinem Hippie-Image. Ich war mal dort, anno 2005. Hier ein Bild:



Das Festival fand aber gar nicht im eigentlichen Woodstock selber statt, sondern 70 km weiter südwestlich in der Nähe eines Orts namens Bethel.
Jossele - 22. Jan, 11:51

Jetzt bin ich mir mit Buchs, wovon die Schweiz offensichtlich eine ganze Menge hat, gar nicht mehr so sicher. Aber bitte, damals war Benzin fast noch kein Thema, da bin ich mit dem R4 einfach so herumgefahren im Sommer, kreuz und quer durch die Berg, jeweils vier Wochen, so eine Runde über die Schweiz nach Südwestfrankreich, dann rauf in die Normandie, rüber nach Holland...
Schweiz, da war ich nie wirklich lang, weil das war damals ein teures Pflaster, zumindest für meine Börse.
Ja, damals war ich eine Hippieimmitation, wallendes Haar, sorgsam zusammengesparter Bart, Latzhose, und alle Welt noch vor mir. Jessas, das ist aber schon ein Zeiterl her.
diefrogg - 22. Jan, 17:59

Hm...

die Schweiz als Anhäufung kleiner Dörfer namens Buchs... das ist eine Vision mit Potenzial, Du meine Güte!

Ihre Reisen von anno dazumal klingen aber sehr reizvoll! Als ich ins Reise-Alter kam, waren die Hippiezeiten grad am Abklingen. In meiner Generation passierte grad der Bruch zwischen Hippies und Yuppies. Ich neigte noch eher dem Flower Power zu. Aber in meiner Klasse gabs auch das andere...
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