16
Mai
2011

Gebt mir ein Auto!!!

Am 30. September 2009 hatte ich einen krassen Schwindelanfall. Oberarzt Pfiffig diagnostizierte ihn später stolz als Tumarkin-Attacke - ohne natürlich ein Mittel zu kennen, das weitere verhindern könnte. Seither habe ich kein Autosteuer mehr berührt.

Ich habe das Autofahren nicht vermisst. Ich lebe ja in einem Land mit einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehr.

Aber dann passierte es. Ausgerechnet in einem öffentlichen Verkehrsmittel.


(Das Bild habe ich bei flickr abgekupfert, den jungen Mann darauf kenne ich nicht).

Das ist der Tellbus, ein famoses, zweistöckiges Fahrzeug. Er ist ein Pendlerbus, der morgens und abends Altdorf und Luzern verbindet. Neulich machte ich einen Ausflug im Tellbus - mit meinem Gottenbuben Tim (6), der ein Fan doppelstöckiger Busse ist. Natürlich sassen wir oben ganz vorne. Dafür sorgte Gotte Frogg, die das Drängeln im Bus bei alten Weibern in Griechenland abgeguckt hat. Alte Weiber in Griechenland können drängeln wie sonst niemand in Europa.

Und natürlich versuchte ich klein Tim auf der Fahrt zum Telldenkmal auch ein bisschen Tell-Mythologie zu vermitteln. Aber das war hoffnungslos. Das Bild vom armen Walterli mit dem Apfel auf dem Kopf verblasste neben Tims Begeisterung über die Autobahn. "Schau, der Bus überholt einen Lastwagen!" quietschte er zwischen Buochs und Beckenried begeistert. Einer der Momente, die er wohl noch lange nicht vergisst.

Ich verstand ihn ja so gut! Denn kaum hatte der Duft der A2 meine Geruchsnerven erreicht, erinnerte ich mich: Diese Strasse ist nicht irgendeine Autobahn. Es ist eine Strasse, die nach Gefahr und nach Glück, nach wildem Wetter, nach Bergen und nach dem Süden riecht. Riesige Laster kriechen auf ihr dem See entlang wie erschöpfte Dinosaurier. Einmal befuhr ich sie mit brandneuem Fahrausweis, ganz allein und geriet in einen heftigen Regenschauer. Ich hatte eine Auto, das ich nicht kannte. Ich hatte Lüftung nicht im Griff und die Scheibe lief an. Ich hatte 100 Sachen und sah plötzlich nur noch Nebel. Ich war verloren.

"Mach das Fenster auf!" zischte irgendeine innere Stimme. Ich kurbelte die Scheibe ein paar Zentimeter hinunter. Kalte Luft und Wasser wirbelten ins Auto. Dann sah ich den hellblauen Lastwagen vor mir wieder. Ich war gerettet.

Manchmal, nur manchmal, verstehe ich Menschen, die gerne Auto fahren.

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Wüstenfuchs - 16. Mai, 23:06

Ja, manchmal gibt es diese Momente: da könnte man einfach weiterfahren. Vielleicht läuft das passende Lied im Radio, vielleicht sitzt der richtige Mensch neben einem, vielleicht riecht die Luft genau richtig. Da will man nichts als weiterfahren und die Landschaft an sich vorbeihuschen sehen. Vorbei an Interlaken (in meinem Fall), vorbei am Gotthard und weiter bis man das Meer in Genua erreicht. Und dann? Weiss ich nicht, an solchen Tagen ist alles möglich.... aber so weit bin ich nie gefahren.

nömix - 17. Mai, 09:40

Ach ja, die A2 ist aber auch eine schöne Autobahn. Bin früher öfters mit dem Lkw die Strecke Mailand-Antwerpen gefahren, und über die A2 hats mir manchmal beinah wieder Spaß gemacht. Man sieht soviel von den schönsten Landschaften der Schweiz, dass es direkt eine Freude ist. (von Österreich z.B. sieht man auf der Autobahn überhaupt nix mehr, alles komplett mit Lärmschutzwänden zugepflastert, man fährt wie durch einen endlosen Tunnel. Als müsserten die Österreicher ihre Landschaft vor den Autofahrern verstecken.)

diefrogg - 17. Mai, 10:57

Tja, Herr nömix,

da machen Sie das Feld der Diskussion über die Schattenseiten des Autofahrens auf. Die Anrainer der A2 waren und sind natürlich nicht glücklich über den infernalischen Autolärm, der ihren Alltag begleitet. Wenn die Österreicher schon früh Lärmschutzwände bauten (bei uns kam das vermehrt in den letzten paar Jahren) dann haben sie es eigentlich besser gemacht.

Nur: Damit wir der Auswüchse des Autowahns in unserer Gesellschaft Herr werden, lohnt es sich, genau hinzusehen - finde ich jedenfalls. Wir sollten fragen: Was ist es, was das Autofahren so attraktiv macht, dass viele Leute Lärm, Abgase und das relativ hohe Unfallrisiko jubelnd in Kauf nehmen? Gibt es einen Ersatz, den wir den Leuten geben können?
nömix - 18. Mai, 09:50

In Österreich gibts ja mit der Nord/Süd- und Ost/West-Transitverkehrslawine noch massivere Probleme wie in der Schweiz. Aber solang ägyptische Erdäpfel nach Bayern und österr. Erdäpfel in die Ukraine*) oder deutsche Ostseegarnelen nach Marokko zum Schälen und wieder retour in deutsche Feinkosthandlungen transportiert werden und tausend andere Hirnrissigkeiten*), die uns mit dem Globalisierungsirrsinn beschert werden – solang wird sich daran auch nix ändern. Bin jahrelang mit Aluminium-Walzblech aus der Schweiz nach Ungarn gefahren, dort werden Alu-Dosen daraus hergestellt. Mit einer Retourladung leerer Alu-Dosen von Ungarn in den Aargau, dort werden die mit Bier abgefüllt. Mit einer Ladung Aargauer Bier wieder nach Ungarn oder sonstwo hin. Mit einer Ladung ungarischem Bier undsoweiter undsoweiter. Eigentlich dürferte keiner, der gern mal Garnelen auf dem Teller hat oder sich im Supermarkt eine Dose Importbier kauft, über die Lkw-Kolonnen auf den Autobahnen raunzen. Das ganze globale Importzeugs spaziert ja nicht zu Fuß ins Supermarktregal. Ändern wird sich an der Verkehrslawine eh nix, bleibt wohl nix anderes übrig als sich dran zu gewöhnen.
diefrogg - 18. Mai, 18:29

Interessanter Beitrag,...

Herr Nömix. Sobald mein Compi sich wieder anständig benimmt (er schwächelt dieser Tage ständig...) werde ich auch noch die Links zu konsultieren wagen.

Aber was den Waren-Wahnsinn betrifft, haben Sie natürlich recht. Und wir wollen ja nicht nur Garnelen auf dem Teller, sondern auch arbeiten und einen Lohn. Deshalb wird sich an all dem nicht so schnell was ändern.

Deshalb raunze ich eigentlich auch selten über Lastwagen. Im Gegenteil: Ich finde sie ein Fasinosum (und bin natürlich froh, dass sie mir nicht vor der Haustür durchfahren).

Ich freue mich sogar, einen Ex-LKW-Chauffeur unter meinen Lesern zu haben.
nömix - 19. Mai, 12:13

Ja danke - aber sagen Sie bitte nicht LKW-Chauffeur, das ist einer der mit dem Schotter zur Baustelle oder mit dem Bierlaster über die Dörfer fährt. Ich war aber Fernfahrer, und das ist einer der sein Geld damit verdient, dass er die ganze Woche in Schlapfen vor seinem Bett sitzt und beim Fenster rausschaut (alter Insider-Schmäh ;)
musiknews - 17. Mai, 10:54

A2

Die A2 ist allerdings auch eine der "unangenehmsten" Autobahnen, die ich kenne. LKWs auf allen Spuren, und das zu fast jeder Tageszeit. Da kann einem in der Tat schon einmal "schwindelig" werden.

diefrogg - 17. Mai, 11:14

Jaja, ich erinnere mich...

Zwischen Luzern und Olten habe ich zuweilen schier Vögel bekommen! Meine Lieblings-Situation: Ich auf der Überholspur, vor mir zwei Lastwagen... in der letzmöglichen Hundertstelssekunde setzt der Lastwagen direkt vor mir zum Überholen an. Ich muss den Fuss auf die Bremse knallen und kann nur noch ein Stossgebet verrichten, dass der hinter mir es rechtzeitig merkt.
katiza - 17. Mai, 10:57

Oh ja, Frau Frogg, ich merke gerade, dass ich gerne Auto fahre mit heruntergekurbelten Fenster und schöner Musik....

diefrogg - 17. Mai, 11:12

Ha¨Wusste ich doch,...

dass Sie den richtigen Song zu diesem Beitrag finden würden, Frau katiza ;))
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