28
Jan
2011

Horror-Buch

Als wir im Sommer in London waren, sah ich in der U-Bahn einen Mann mit einem Turban, der in diesem Buch las:

Ich musste ein schmunzeln, denn ich hatte den Roman in meinem Reisegepäck. Es lag seit Monaten bei mir herum. Jetzt wollte ich ihn endlich lesen. Ich wollte etwas mit dem Fremden in der U-Bahn teilen.

Als ich in Deutschland war, las ich es dann wirklich. Falls Ihr es mir nachtun wollt, seid gewarnt: Es ist wahrscheinlich die entsetzlichste Road Novel, die je geschrieben worden ist. Die Story ist schnell erzählt: Ein Mann und sein siebenjähriges Bub sind unterwegs nach Süden. Sie bewegen sich durch eine post-apokalyptische Landschaft. Alles verbrannt. Kein Fisch mehr im Wasser, kein Vogel auf den verkohlten Bäumen. Nichts. Auch kaum noch Menschen. Nur noch ein paar aus nacktem Hunger zu Kannibalen gewordene Menschen-Rudel, vor denen Vater und Sohn ständig auf der Hut sein müssen.

Doch die Sprache des Buchs hat einen unheimlichen, poetischen Sog. Ich las und las. Alles um mich wurde grau wie Asche, Staub biss mich in der Lunge. Ich war froh, wenn meine Freundin Helga mich ab und zu ablenkte.

Ich las das Buch in zwei Tagen.

Als ich die letzten Sätze las, begann ich zu weinen*. Ich muss dazu anmerken, dass ich selten weine beim Lesen. Aber diese paar Sätze zeichneten das berührendste Bild über die Grösse und Schönheit der Natur, das ich je gesehen habe. Über ihre Schönheit, ihre Zerbrechlichkeit und unsere Verantwortung.

Vor ein paar Tagen erwachte ich mitten in der Nacht aus einem furchtbaren Traum: Ich war in die Welt des Buches zurückgekehrt. Ich fragte mich, ob der Mann mit dem Turban auch solche Träume hat.


* Er lautet: "Once there were brook trout in the streams in the mountains. You could see them standing in the amber current where the white edges of their fins wimpled softly in the flow. They smelled of moss in your hand. Polished an muscular and torsional. On their backs were vermiculate patterns that were maps of the world in its becoming. Maps and mazes. Of a thing which could not be put back. Not be made right again. In the deep glens where they lived all things were older than man and they hummed of mystery." (Sorry, das kann ich nicht übersetzen)

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la-mamma - 28. Jan, 19:35

sie haben recht, das ist ein äußerst berührendes buch, das einen lange nicht loslässt (ich hab's vor mindestens einem jahr verschlungen)! genau deshalb werd ich mir die verfilmung NICHT ansehen. im moment bin ich grad mitten im dritten teil seiner border-trilogie, das ist wieder ganz anders. (wenigstens nicht ganz so traurig, nur spanischkenntnisse wären von vorteil)

diefrogg - 28. Jan, 19:41

Ja, beim Film...

habe ich auch gepasst. Das wollte ich mir nicht antun. Obwohl ich gehört habe, dass er einen hervorragenden Sountrack hat. Ich kann mir vorstellen, dass ich noch "No Country for Old Men" lesen werde. Da habe ich den Film schon gesehen. Da kann mir nichts mehr passieren ;)

Haben Sie das Buch eigentlich auch als Roman einer Öko-Katastrophe gelesen? Oder einfach als sprachlich sehr gut gemachten Horror-Roman?
la-mamma - 29. Jan, 10:17

eher zweiteres. und gar nicht so sehr horror, sondern durchaus auch an eigene albträume anknüpfend. zumindest hatte ich als kind welche, wo auch alles rundum verlassen war, und ich mich nur zwischen und über verfallendes bewegen konnte. nur war ich da ganz allein.
diefrogg - 29. Jan, 10:45

Na, solche Alpträume...

sind mir zum Glück erspart geblieben! Aber vielleicht hat das Buch auf mich so nachhaltig gewirkt, weil ich wenig Erfahrung mit Horror-Romanen habe - obwohl ja die amerikanische Kultur, mit der ich mich viel befasse, an solchen Erzeugnissen nicht arm ist.
MadProfessor - 28. Jan, 20:27

Die Story ist mir durch Filmbesprechungen bekannt vorgekommen - weiss nur nicht, ob der Film schon in den Kinos war oder erst kommt.
Und wenn das Buch schon so Filme im Kopf auslöst, kann ein Kinobesuch nur enttäuschen ...

diefrogg - 28. Jan, 20:54

In der Schweiz...

war er schon. Mit Viggo Mortensen als Vater... aus dem Trailer schliesse ich, dass er mehr auf die Phase fokussiert, bevor Vater und Sohn losziehen - bevor die Mutter sich das Leben nimmt. Das an sich finde ich schon ein schlechtes Vorzeichen. Weil gerade die Konzentration auf die Strasse, die Ungewissheit des Ziels, die Einsamkeit, der Story eine Geschlossenheit gibt, die sehr viel Kraft hat.
MadProfessor - 29. Jan, 00:11

ich gebe zu, dass die Besprechung von dem Buch mich sehr neugierig gemacht hat. Leider bin ich derzeit so unstet, dass ich meistens Bücher beginne, aber dann irgendwann aufgebe ...
Ich habe vor paar Tagen einen anderen Buchtip bekommen, den gebe ich gerne weiter - auch eine Road-Novel. Da habe ich mir ebenfalls vorgenommen, mir mal Zeit dafür zu nehmen: http://www.faz.net/s/Rub79A33397BE834406A5D2BFA87FD13913/Doc~EA422B7EEE1A8416193A58ABAFB3589B2~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Nennt sich Tschick - kennen sie vielleicht schon ...
diefrogg - 29. Jan, 10:09

Oh, danke für den Tipp!

Vielleicht besorge ich mir das mal. Der wilde Osten... grosses, neues Thema für Road Novels!

"The Road" ist übrigens ein Buch, das man am besten in wenigen, möglichst langen Zeiträumen liest. So entfaltet es seinen Sog am besten. Wenn Sie etwas unstete Lesegewohnheiten haben, ist es vielleicht nicht gerade der richtige Moment für das Buch. Aber Lesegewohnheiten ändern sich ja mit den Lebensgewohnheiten!
steppenhund - 29. Jan, 02:53

Ich hab das Buch nicht gelesen. Von der Beschreibung her könnte es mir gefallen.
Die Sprache des zitierten Auszugs erinnert mich an Ray Bradbury.
Da fallen mir gleich noch zwei Filme für La-Mamma ein:
Trainspotting und The Postman

diefrogg - 29. Jan, 10:13

Hatte Ray Bradbury...

eine so kreative Sprache? Ich erinnere mich leider nicht mehr. Falls ich je ein Buch von ihm gelesen habe, hat es mir keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich vermute eher, dass mir der Name Bradbury geläufig ist, weil ich eine Weile in einer Bibliothek mit einer Sammlung guter Science Fiction-Romanen gearbeitet und täglich Bücher von Ray Bradbury versorgt habe. Aber sie wissen ja: Wenn ich Genre-Literatur lese, dann lese ich eher Frauen-Bücher.

"The Road" würde Ihnen bestimmt gefallen. Es ist ein wuchtiges Buch.

"Trainspotting", ja, guter Film. Knallhart.
"The Postman" habe ich nie gesehen... zu jung, fürchte ich ;)

Aber die Filmtipps melden Sie wohl besser bei la-mamma selber an!
steppenhund - 29. Jan, 11:07

Manche der Science-Fiction-Geschichten von Ray Bradbury haben diese poetische Anmutung. Schon allein der Titel "Löwenzahnwein" hat schon etwas. Etwas anderes ist sein Fahrenheit 451. Das ist knallhart und trocken geschrieben.
Es gibt übrigens Literatur, die beiden Genres zuzurechnen ist, Frauen und Science Fiction. Ich habe mit dreißig Jahren begeistert Doris Lessing gelesen. Das goldene Notizbuch, Marriages between Zones III and IV. Hat mich begeistert.
Oder etwas Neueres: Octavia Butler, leider schon gestorben, war sie nicht, als ich auf sie aufmerksam wurde. Schreibt Science Fiction aber mit Schwerpunkt feministische Themen.
Das eine schließt das andere nicht aus.
-
Die Filme habe ich schon angemeldet:)
diefrogg - 29. Jan, 17:47

Ja, stimmt...

In der Frauenbewegung der 70-er Jahre war der Science Fiction-Roman ein beliebtes Transportmittel für allerhand Utopien und Dystopien. Von Lessing habe ich viel und teils mit grossen Glücksgefühen gelesen, aber nicht ihre Science Fiction. Dagegen habe ich Margaret Atwood^s "Handmaid's Tale" damals reingezogen, auch eine ziemlich brutale Story.
steppenhund - 29. Jan, 17:58

Ich möchte betonen, dass ich das als Mann weiß:) Also als Erzfeind gd&r
diefrogg - 29. Jan, 18:20

Ich habe schon zur...

Kenntnis genommen, dass der Feind mitlas ;))
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