18
Jul
2012

Der Hund und das Reh

Unsere Ferienwohnung lag ganz am Rand eines Ferienwohnungs-Hangs - Mitte Juni ein Geisterhang. Die Häuschen selber waren gepützelt und gepflegt - aber die Besitzer meist nicht da. Zwischen Gartentischen und Swimming Pools breitete sich die Natur aus. Doch der Hochsommer nahte, allmählich forderten die Menschen ihre Zweitwohnungen ein - und brachten ihr ganzes, lärmiges Drum und Dran mit.

Am ersten Abend waren wir fast allein im Haus. Als ich auf dem Balkon stand, sah ich plötzlich den Rehbock. Nur wenige Schritte von unserem Balkon entfernt zupfte er am hohen Gras unter der Palme. Er war gekommen wie ein Geist. Ich brauchte nicht einmal meine Brille, um die drei Zacken seines Geweihs zu sehen. Noch nie hatte ich ein wild lebendes Reh aus so kurzer Distanz gesehen. Ich stand stockstill und schaute mit grossen Augen dem Tier zu. Es sah mich nicht - oder fürchtete mich nicht.

Plötzlich kläffte ein Hund. Ich suchte mit den Augen noch die nahe Lärmquelle. Da war der Bock schon weg. Noch bevor ich das "wusch!" eines Palmwedels hörte, den das Tier beim Sprung ins nahe Wäldchen gestreift hatte.

Auf dem Parkplatz neben unserem Haus stand Bello und starrte den Waldrand an. Er war mit neuen Feriengästen gekommen. Diese hatten die Szene nicht einmal ahnungsweise mitbekommen. Einmal mehr ärgerte ich mich über die Ignoranz von Hundehaltern. Sie kamen, blieben zwei Nächte und zogen dann mit ihrem Wauwau wieder ab. Bis der Rehbock wieder kam, dauerte es zehn Tage.

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walküre - 18. Jul, 11:18

Obwohl selber Hundehalterin, ergeht es mir ähnlich wie Ihnen. ICH bin eine von den wenigen Hundebesitzerinnen, die bei Waldspaziergängen den Hund an einer Schleppleine hält, statt ihn frei laufen zu lassen, da ich die Überzeugung habe, auch mit einem kaum mit Jagdtrieb ausgestatteten Hund kann ab einer gewissen Reizschwelle der wölfische Instinkt durchgehen.

diefrogg - 18. Jul, 11:31

Das finde ich lobenswert...,

Frau Walküre. Ich teile Ihre Einschätzung über den Jagdinstinkt auch herziger, kleiner Hundchen nach eingehenden empirischen Studien am nahen Seeufer. Die Gegend ist ein Naturschutzgebiet - aber auch eine beliebte "Hündeler*"-Spazierroute. Meist werden die Tiere - trotz Verbot - frei laufen gelassen. Immer wieder sehe ich dort unten zottelige Wauwaus Wasservögel jagen - offenbar werden auf der grossen Wiese auch nicht selten Jungschwäne totgebissen. Ausserdem kann man dort regelmässig Hundekämpfe beobachten, bei denen Hundebesitzer restlos überfordert sind. Wenn ich mich ärgern will, brauche ich nur zur Hündelerzeit um zehn Uhr morgens an den Rotsee zu gehen.

Ich muss es hier nochmals sagen: Ich finde, dass Hundebesitzer im Agglo-Raum ihre bürgerlichen Freiheiten überbeanspruchen - sie schränken mit Ihren Tieren zu häufig die Bewegungsfreit von Nicht-Hundebesitzern ein (etwa von solchen mit kleinen Kindern) und stören die Natur. Wenn ich die Königin der Schweiz wäre, müssten alle Hundebesitzer hierzulande einen Nachweis vom Arzt erbringen, dass sie ihren Hund wirklich brauchen - weil sie blind sind, oder ohne Haustier total vereinsamen würden.

Für Hunde besitzende Besucherinnen aus Wien würde ich vielleicht eine Ausnahme machen ;)

*So heissen bei uns Hundebesitzer und -fans.
walküre - 18. Jul, 12:06

Restlos überfordert, das ist es, ja. Ich meide ja selber mittlerweile bestimmte Areale, weil dort der Hundetourismus (=Hundehalter, die ihre Vierbeiner mit dem Auto aus anderen Bezirken hierher kutschieren und sich einen feuchten Kehricht drum kümmern, wie gut ihre Hunde sozialisiert sind) längst überhand genommen hat. Und ich krieg Zustände, wenn ich sehe, wie oft Menschen irrtümlich meinen, Hunde seien unkompliziert, sobald sie eine bestimmte Körpergröße nicht übersteigen.
diefrogg - 18. Jul, 17:55

Ich bin froh,

dass wir uns in diesem Punkt einig sind, Frau Walküre! Es muss schon was dran sein, wenn selbst gewissenhafte HundebesitzerInnen ihre Probleme mit den Auswüchsen des Hundehalterwesens bekommen.

In unserem Wohnkanton sind Kurse für Neu-Hundehalter mittlerweile obligatorisch. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass das sehr viel nützt.
Jossele - 24. Jul, 15:02

Ein Hund ist ein Hund, und als solches, von seinem Ursprung her, Beutegreifer, egal ob das jetzt ein Pudel oder Wolfshund ist.
HundehalterInnen haben dem Rechnung zu tragen, und da ist "mein Hund tut doch nichts" nicht von Belang.

Ich bin selbst mit Hund aufgewachsen, Schäferhündin, lieb, mit der konnte man spielen und herumtollen, folgte auf´s Wort, quasi abgerichtet. Sie hat ein Reh gerissen als es niemand erwartet hat, weil Leine, wozu?

Ein Hund ist ein Hund, nicht mehr und nicht weniger.

diefrogg - 25. Jul, 17:30

Himmel!

Was für ein Schreck! Das ist ja richtig bedauerlich! Ein liebenswerter Familienhund, der unerwartet seine zweite Natur als Jäger entdeckt... so erfährt man das als Halter ja lieber nicht.
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