8
Jul
2012

Hungrig am Swimming Pool

Noch halbwegs satt nahmen wir den kräftezehrenden Aufstieg zu unserer Ferienwohnung in Contra in Angriff. Die Wohnung lag am obersten Ende einer Halde mit lauter leeren Ferienhäuschen. Nirgends eine Futterquelle, nur ein vergessener Schweinekopf am Wegrand, mitten im Ferienparadies.


(Bild vom Kulturflaneur)

Fliegen und Wespen liessen ihn sich schmecken. Wir sahen ihn uns sachlich an, er verdarb uns höchstens den Appetit auf ein Zvieri*, das wir sowieso nicht dabei hatten.

Schweissnass erreichten wir unser Ferienhaus. Es lag am alleräussersten Rand des Tessiner Agglo-Gürtels. Über uns nichts als Kastanienwälder. Unter uns lediglich fünf Postauto-Verbindungen pro Tag ins Tal. Sogar ein Nachtessen im nahen Tenero wäre mit einem einstündigen Heimweg, alles bergauf, verbunden gewesen. Kein Wunder, dass all unsere Nachbarn im Auto andüsten.

Aber das Haus war ein Bijou! Mehr zum ersten Privat-Swimming Pool in meinem Leben und der panoramatauglichen Aussicht beim kulturflaneur.

Der Notvorrat in der Küche bestand immerhin aus einer Packung Fertig-Champignongsauce und einer halben Flasche Ketchup. Nach einem appetitanregenden Bad im Swimming Pool und einiger harter Auspackarbeit gab es für Herrn T. und mich endlich Abendessen: je zwei dünne Scheiben geröstetes Brot mit Champignonsauce. In der Sauce schwammen etwa zwei Scheibchen Champignons pro Person. Und danach einen Müesli-Riegel.

Schon beim Zubettgehen verspürte Frau Frogg wieder ein leises Hungergefühl. Sie bedauerte ebenso leise ihre Abneigung gegen allzu pedantische Ferien-Vorrecherchen. Dann fielen mir opulente Treffen mit alten Freunden ein, bei denen wir köstliche Gerichte verspeist hatten. Vielleicht träumte ich nur - jedenfalls erinnerte ich mich am nächsten Morgen an nichts mehr. Ausser daran, dass in diesen Erinnerungen eine riesige, gläserne - und schlaraffenländisch volle - Auflauf-Form eine wichtige Rolle gespielt hatte.

Zur Frühstückszeit hatten wir richtig Kohldampf. Frau Frogg dachte voller Verständnis an die Bewohner der hintersten Tessiner Täler, die im 19. Jahrhundert bei Ausfall der Maisernte schon mal echten Hunger litten. Wieder gab es zwei dünne Scheiben Brot - diesmal mit Käse. Und einen Müesliriegel. Um 9.30 Uhr fuhr der erste für uns Feriengäste vertretbare Bus nach Locarno. In Orselina stiegen wir aus, stürzten ins nächste Café und bestellten zwei Espressi. Herr T. verspeiste einen ausgewachsenen Apfelstrudel. Ich meinte, satt zu sein. Aber als wir nach einem längeren Spaziergang auf der Piazza Grande von Locarno ankamen, konnte Frau Frogg kaum warten, bis die Glocken 12 Uhr schlugen. Beim ersten Schlag ging es sofort ab ins nächstbeste Restaurant. Ich bestellte Coniglio mit Polenta**.

Was für eine unvergleichliche Wonne, als der erste Bissen Kaninchenschlegel langsam meine Speiseröhre hinunterwanderte!

Bei unseren Einkäufen stellten wir von nun an immer sicher, dass genügend Alternativen zum Müesliriegel hatten.

* Zwischenmahlzeit, die man nachmittags zu sich nimmt
** Kaninchen mit Maisbrei

Hungrig im Tessin

Zum Glück kaufte ich vor unserer Abreise im Bahnhof Luzern noch je ein Sandwich für Herrn T. und mich. Eigentlich schien mir das unnötig. Ich hatte ja noch Müesliriegel dabei. Und Herr T. hatte ein halbes Brot, etwas Käse und zwei Tomaten im Rucksack, die Reste aus der Küche von Frogg Hall. Ausserdem geniesst er bei längeren Zugreisen gerne die Vorzüge des Speisewagens. Und diesmal waren wir auch nicht unterwegs in ein abgelegenes Tessiner Dörfli. Nein: Diesmal sollte die Reise in eine Ferienwohnung im Agglo-Gürtel von Locarno gehen. Dort würde es doch nötigenfalls ein Ristorante, ein Grotto oder eine Osteria geben! Dachten wir und rechercherchierten nicht weiter.

Schon in Göschenen stellte sich heraus, dass wir die Sandwiches brauchen würden. Wir schrieben den Sonntag, 17. Juni. Damals war der Kanton Uri für den Zugverkehr gesperrt, weil bei Gurtnellen ein paar mächtige Felsbrocken auf die Bahnlinie gedonnert waren. So waren wir in Flüelen auf den Bus umgestiegen. Alles bestens organisiert. Doch dann zeigte sich, dass unser Anschlusszug keinen Speisewagen hatte. Deshalb bissen wir schon kurz nach dem Gotthard-Tunnel in Salamibrötchen und Tomaten - es war Mittag. Zum Dessert gabs einen Müesli-Riegel.

So um 15 Uhr stiegen wir in unserer Feriendestination Contra aus dem Postauto. Gut, dass wir einigermassen satt waren. Denn jetzt lernten wir: Wer im Tessin auch nur ein bisschen herumkommen und dazu regelmässige Mahlzeiten zu sich nehmen will, muss automobil sein. Ausser in der Hochsaison. Dann gibt es auch im hinterletzten Kastanienwald noch ein lauschiges Grotto. Aber als wir im Tessin ankamen, war noch nicht Hochsaison. Die Haltestelle Contra Paese liegt zwar direkt neben einer Osteria.


(Quelle: http://http://homepage.swissonline.ch/)

Aber die war geschlossen. Das Restaurant öffnete erst am 29. Juni. Die Strasse menschenleer. Unverzagt stiegen wir hoch zu unserer Ferienwohnung. Wir hatten ja noch ein halbes Brot und etwas Käse. Und gewiss würde in unserer Ferienwohnung ein kleiner Notvorrat auf uns warten.

Sorry, auf den nächsten Gang müsst Ihr noch ein bisschen warten. Seine Kochzeit ist etwas länger als erwartet.
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