20
Dez
2014

Meine Strasse


Das Restaurant Libelle an der Maihofstrasse 61 in Luzern

Der pedestrian* und ich standen neulich zusammen vor diesem Restaurant. Er erinnerte mich daran, dass im selben Lokal noch vor einem Jahr ein Matratzenladen war. "Wenn in einem Haus am Stadtrand Matratzen verkauft werden, dann ist der Tiefpunkt erreicht", sagte er. Er meinte den Tiefpunkt des städtischen Lebens. Matratzenläden sind meistens an Ausfallstrassen - und an Ausfallstrassen will kein Mensch verweilen.

Wir bewunderten beide das neue Lokal gebührend - es zeigt doch, dass die Maihofstrasse zu neuem Leben erwacht.

Dann griffen wir zu unseren Kameras und machten uns an die Arbeit. Wir waren hier für unser gemeinsames Spaziergänger-Projekt. Aufgabe: In einer Dreiviertelstunde die Maihofstrasse fotografieren, zwischen der "Libelle" und der Tankstelle an der Stadtgrenze, ungefähr 300 Meter. Danach machen wir auf dem Internet etwas draus - jeder auf seine Art. Was der pedestrian gemacht hat, ist hier zu sehen.

Vom Maihofquartier könnte ich stundenlang erzählen. Ich wohne in der Gegend. Ich habe den Niedergang der Strasse durch tägliche Anschauung erlebt. Noch bis Anfangs der nuller Jahre hatte der Maihof eine Beiz, eine Post, ein Quartierlädeli und sogar eine Drogerie. Dann schloss die Post. Dann die Drogerie, dann das Lädeli. Nur die Beiz, das Maihöfli, blieb.


Seiteneingang des Restaurants Maihöfli, Maihofstrasse 70

Es war bereits in den neunziger Jahren ein Gourmet-Tempel geworden. Seither kann man hier in gemütlichem Ambiente für ein exorbitant gutes Essen exorbitant viel Geld ausgeben. Herr T. und ich essen dort, wenn wir etwas zu feiern haben. Es liegt direkt gegenüber der "Libelle" - wir haben jetzt fast schon eine Ausgehmeile im Quartier.

Weiter stadtauswärts dominieren ältere Wohnhäuser. Aber dicht an der Stadtgrenze steht die Nummer 95, ein erst drei, vier Jahre altes Gebäude. Es steht mit für den Aufbruch an der Maihofstrasse. Als es neu war, schien es mir aussergewöhnlich ambitioniert für diese Gegend.


Maihofstrasse 95

Es beherbergt ein Fitness-Zentrum, eine englischsprachige Schule, einen Hörgeräte- und einen Küchenladen.


Selbstporträt mit Kochtöpfen an der Maihofstrasse 95c

Nach Besichtigung der Nummer 95 wurde ich regelbrüchig. Ich zog von der Strasse weg, hinauf zur Maihofmatte. Hier kann man die Kehrseite der Neubelebung besichtigen. Seit 1948 steht hier eine Wohnsiedlung der Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL) - nie saniert, die Wohnungen spottbillig.


Maihofmatte

Aber jetzt ist hier der Dornröschenschlaf zu Ende: Ab 2016 wird gebaut, meldete die Neue Luzerner Zeitung kürzlich. Danach dürften die Mietzinse in für viele der jetzigen Bewohner exorbitante Höhen steigen.

* Dank an den pedestrian für die Inspiration und die Arbeit an den Bildern!

18
Dez
2014

Höllenlärm

Seit gestern Abend habe ich ein zweites Hörgerät. Meine erste Reaktion beim Gespräch mit der Hörgeräte-Akustikerin in ihrem stillen Büro: "Wow, so ist es ja viel weniger anstrengend, Ihnen zuzuhören!"

Mittlerweile fällt meine Beurteilung durchzogener aus. Gespräch mit Herrn T. vor laufendem Fernseher: Ich verstand ihn nur mit Mühe - der Fernseher dagegen: verdammt laut.

Heute Morgen auf der Strasse: ein Höllenlärm. Heute im Büro: ein Höllenlärm! Wie diese Computer schmurgeln und surren! Das Sprachverständnis bei kurzen Gesprächen aus mittlerer Distanz ist nur minim besser. Oder sogar schlechter, wegen der Nebengeräusche.

Erstes Fazit: Verkehrte Welt! Ich höre schlechter, weil ich besser höre. Kein grosses Aaah-Erlebnis wie man es hat, wenn man eine neue Brille trägt. In der Cafeteria mit den Kollegen Mittagessen: Im Moment noch undenkbar. Zu laut und zu leise gleichzeitig.

9
Dez
2014

Der seltsame Gärtner

Mein Gottenkind Carina (9) wünscht sich den vierten Band der Harry Potter-Serie zu Weihnachten. Nun ist Harry Potter und der Feuerkelch reich an schrecklichen Begebenheiten. Ich will sicher sein, dass ich dem Kind den Roman zumuten kann. Deshalb habe ich ihn selber nochmals zu lesen begonnen.

Schon auf den ersten Seiten stach mit ein merkwürdiger Fehler ins Auge. Die Rede ist dort von Frank Bryce, dem Gärtner eines seit Jahren leer stehenden, düsteren Herrenhauses.


Frank Bryce (Erik Sykes) in der Harry Potter-Verfilmung


Es heisst über ihn (ich übersetze aus der englischen Erstausgabe*): "Frank näherte sich seinem siebenundsiebzigsten Geburtstag, war sehr taub, sein böses Bein steifer und steifer (S. 10)." Eines Nachts sieht der alte Mann Licht im Herrenhaus. Er will nachsehen, was los ist und schleicht hinein. In einem Zimmer hört er Stimmen, nähert sich - und schon belauscht der angeblich taube Gärtner aus mehreren Metern Entfernung ein Gespräch zwischen zwei gfürchigen Männern. Der Dialog ist sage und schreibe sechs Seiten lang, und der Gärtner versteht jedes Wort. Dabei sieht er den einen Sprecher nicht einmal.

Es ist unwahrscheinlich, dass das eine mittelgradig schwerhörige Person ohne gutes Hörgerät könnte. Und Fred ist ein Muggel - er kann sich seiner Schwerhörigkeit also nicht mit Zauberkräften entledigen. Überhaupt: Warum erzählt uns J. K. Rowling, dass Fred taub ist? Es ist für den Rest der Geschichte unwichtig. Will sie uns gar nicht sagen, dass er nicht gut hört? Will sie uns etwas ganz anderes sagen?

Ich vermute: Sie wollte damit unterstreichen, dass er sonderbar ist, kauzig, vom Krieg und dann vom Leben versehrt. Dass er zurückgezogen lebt. Sie wollte ihn zu einer düsteren Figur in einer unheimlich Szene machen.

Aber sie begeht dann doch einfach einen Lapsus. Das ist auch dem Übersetzer Klaus Fritz aufgefallen. In der deutschen Ausgabe heisst es auf Seite 9: "Frank war jetzt fast siebenundsiebzig, er war auf einem Ohr taub, und sein schlimmes Bein war noch steifer geworden."**

* J. K. Rowling: "Harry Potter and the Goblet of Fire" ; London, Bloomsbury, 2000
** Joanne K. Rowling: "Harry Potter und der Feuerkelch" ; Hamburg, Carlsen, 2000

8
Dez
2014

Vor Weihnachten

Ich bekomme ab und zu Bettelbriefe. Ich spende auch gelegentlich: der Glückskette, der Winterhilfe und so weiter. Ich denke immer: "Was man schenkt, bekommt man doch immer auf irgendeine Art zurück." Aber mich dünkt, ich bekomme zurzeit immer nur mehr Bettelbriefe.

27
Nov
2014

Phantastischer Tinnitus

Kaum hatte ich den Beitrag gestern fertig geschrieben (und mich wieder einmal über die Macken von twoday geärgert), wurde alles anders: In meinem cortisonbespritzten Ohr erhob sich ein mächtiger Tinnitus. Ich kenne diesen Sound. Er klingt wie eine Mischung aus einem Staubsauger und einem Düsenflugzeug. Er klingt, als wolle er mir den Kopf wegsaugen. Er ist phantastisch, ehrlich. Er ist eine Verheissung. Wenn der kommt, höre ich nachher besser.

Es muss die ganze Nacht gewummert haben. Aber ich war so k.o. von der Spritze, dass ich schlief wie ein Baby. Am Morgen war aus ihm erwartungsgemäss ein knurriges Pfeifen geworden.

Und höre da: Im Büro schmurgeln heute die Computer wieder wie schon lange nicht mehr - und ich konnte in der Cafeteria mit den Kollegen Mittagessen! Halleluja!
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Journal einer Kussbereiten

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