24
Feb
2012

Brenzliges in der Nacht

Gestern hatte ich sturmfrei. Herr T. ist ausgegangen. Vor dem Zubettgehen setze ich den Teekessel auf. Das Ding ist alt und stellt manchmal nicht mehr selber ab - aber item. Ich laufe davon und tue am anderen Ende der Wohnung - ich weiss nicht mehr was. Ich habe im Moment Mühe, mich zu konzentrieren. Eine unangenehme Nebenerscheinung meiner häufigen Hörstürze.

Item. Irgendwann fällt mir der Teekessel ein, und ich gehe ich zurück in die dunkle Küche. Ich höre ein merkwürdiges Rieseln. Ich kann es - wegen meiner Gehörschwäche - nicht erkennen und nicht lokalisieren. Es klingt, als würde die Abwaschmaschine laufen. Aber die habe ich doch gar nicht angemacht! Das Fenster über der Abwaschmaschine ist beschlagen. Es möttelet* alarmierend. Doch die Lämpchen der Abwaschmaschine sind aus, und wenn ich die Hand drauflege, spüre ich kein Rumpeln und sie ist kalt. Ich fasse an die Fensterscheibe. Tatsächlich beschlagen. Regnet es so heftig? Nein, überhaupt nicht.

Erst danach fällt mein Blick auf den Teekessel. Verdammt! Er hat nicht von selber abgestellt und kocht seit zehn Minuten! Verdunstetes Wasser überall - aber kaum mehr genug für eine Tasse Tee im Kessel. Der Griff ist zu heiss zum Anfassen. Noch eine Minute und das Ding hätte zu glimmen begonnen.

* Schweizerdeutsch für den Geruch von überhitztem Kunststoff.

22
Feb
2012

Mittagessen mit einer Schwerhörigen

Nach meinem gestrigen Beitrag über mein einsames Mittagessen scheint einiger Erklärungsbedarf zu bestehen. Auch wenns ein langer Eintrag wird: Ich werde jetzt doch mein letztes, gescheitertes Mittagessen mit Kollegen schildern - damit Ihr ungefähr nachvollziehen könnt, wo mein Probleme liegen.

Es begann ganz gut: Ich war zuerst am Tisch und konnte mir den für mein schwaches Gehör besten Platz aussuchen. Robi und Flavia setzen sich zu mir. Ich kenne beide oberflächlich als liebenswürdige und amüsante Gesprächspartner. Gefragt ist lockere Konversation zu einem kurzen Mittagessen.

Kaum sitzen sie, hebe ich an: "Ich muss Euch unbedingt noch sagen: Ihr müsst...." In diesem Moment springt Robi auf. Er hat etwas am Buffet vergessen. Soll ich meinen Satz jetzt beenden oder nicht? Ja, ich beende ihn, halt zu Flavia. "...Ihr müsst laut und deutlich sprechen. Ich bin seit zwei, drei Tagen sehr, sehr schwerhörig."

Flavia lacht: "Ok, wir werden schreien!"

Wir kommen zuerst auf die Buchpreisbindung zu sprechen, ein aktuelles Abstimmungsthema. Sie hat eine andere Meinung als ich. Ich kann Flavia akustisch ziemlich gut verstehen. Und doch bin ich irritiert und etwas verkrampft. Denn meine Argumente sind schwach. Ich bin in diesen Tagen völlig durch den Wind. Gelegentlich ertappe ich mich dabei, wie ich einen Satz gerade zum fünften Mal lese. Wie soll ich da gescheit über die Buchpreisbindung diskutieren? Und meine Argumente klingen noch schwächer, wenn ich mich - wie neuerdings üblich - selber wie aus fünf Metern Distanz sprechen höre.

Ausserdem ist Robi zurück und interessiert sich offensichtlich nicht die Bohne für den Buchpreis. Also frage ich Robi bei nächster passender Gelegenheit, ob er an der Fasnacht gewesen sei.

Unterdessen haben sich die Leute vom Büro West an den Tisch hinter Robi gesetzt. Sie reden und klappern mit ihrem Geschirr.
Robi antwortet: "M...---... pfz..---..ghe!"
"Bitte?!" sage ich.
Robi erhebt nochmals seine Stimme, aber die hinten sind lauter. Ich verstehe rein gar nichts. Ein zweites Mal nachzufragen, wäre
1) peinlich
2) unhöflich
3) wahrscheinlich sinnlos - weil ich ihn auch beim dritten Mal nicht verstehen würde.

Unter normalen Umständen würde ich so einer Situation mit einem Witz begegnen. Aber glaubt mir: Die Lust zum Witzeln ist mir nach dem mpfzehnten Hörsturz in zwei Monaten abhanden gekommen.

Es wird still an unserem Tisch. Dann beginnen - Gott sei Dank - Robi und Flavia zu einander zu sprechen. Ich esse still. So annähernd verstehe ich, worum es geht. Ich fädle ein zweites Mal ins Gespräch ein. "Geht doch", denke ich. Irgendwann kommen wir dann doch auf meine Schwerhörigkeit zu sprechen. Ich erkläre ihnen die Hintergründe und dass ich am linken Ohr ja schon ein Hörgerät habe.

Da sagt Flavia: "Aber wenn Du trotzdem so schlecht hörst, ist ja das Hörgerät schlecht." Sie sagt es in diesem Ton, den Journalisten manchmal haben: Sie sagen damit auch, dass sie alles wissen und für alles einen Schuldigen finden. Ich sage noch: "Nein, das Hörgerät funktioniert ganz gut. Dank meinem Hörgerät kann ich mich beim Frühstück einigermassen vernünftig mit meinem Mann unterhalten. Aber bei diesem Umgebungslärm bin ich eben verloren."

Sie wollte mich bestimmt nicht verletzen. Ich weiss selber nicht, was mich an diesem einen Satz so unglaublich ermüdet und entnervt. Aber ich entscheide genau in diesem Moment, dass ich mein nächstes Mittagessen allein zu mir nehmen werde.

21
Feb
2012

Allein beim Mittagessen

Normalerweise gehe ich ja zum Mittagessen in die Cafeteria und treffe dort meine Kollegen. Aber im Moment bin ich extrem schwerhörig. Zuerst dachte ich ja: "Ich sage das den Leuten. Dann reden sie laut und deutlich und es geht schon irgendwie." "Ich werde mich nie isolieren", dachte ich. "Ich werde weiter am Leben teilnehmen." Aber die Realität erweist sich als unendlich viel komplizierter als ich erwartet habe. Ich könnte hier Bandmeter von Konversationsanalysen vorlegen, die allenfalls Linguisten interessieren würden. Dem Laien sage ichs in einem Satz: Ich kann es (noch) nicht.

Heute habe ich in der Betriebskantine still mein Salätchen geschöpft. Dann bin ich mit dem Teller in der Hand in mein kleines Büro zurückgeschlichen. Dort habe ich allein gegessen.

Es war eine Kapitulation.

Falls jemand hier mitliest, der wirklich weiss, wovon ich spreche: Ich bin dankbar für Tipps, wie man sich als Schwerhörige seinen Platz am Kollegentisch zurückholt.

18
Feb
2012

Wie meine Stimme klingt

Wenn morgens erwache, sage ich in diesen Tagen als erstes laut und deutlich: "Hallo?! Hallo?!" zu mir selber. Das tue ich, um in Erfahrung zu bringen, wie gut ich meine eigene Stimme höre. Heute Morgen musste ich wirklich sehr laut zu mir sprechen, sonst hätte ich mich selber nicht verstanden. Gestern Morgen hörte ich mich gut, und ich klang genau wie früher. An allen anderen Tagen war meine Stimme entweder blechern, dünn, merkwürdig hoch oder tief. Will heissen: Mein Hörvermögen schwankt täglich - und zwar erheblich.

So ist es, die Menière'sche Krankheit auf beiden Ohren zu haben.

Am Montag konnte ich im Büro nicht mehr telefonieren. Dazu muss ich anmerken, dass ich in einem Beruf arbeite, in dem man unglaublich viel telefoniert.

Das alles ist nervlich ungeheuer belastend. Man kann Hörenden kaum erklären, warum. Aber ich muss gestehen: Ich bin in diesen Tagen meist reizbar und panisch. Ausser, wenn ich gerade mal richtig gut höre. Dann bin ich plötzlich auch richtig gut aufgelegt, ein anderer Mensch.

Aber heute ist ein schlechter Tag. Am Morgen ging ich unsere mit Neo-Pflastersteinen belegte Quartierstrasse zum Cööpli hinunter. Hinter mir ein holpriges Geräusch. "Oh, da ist jemand mit dem Postiwägeli* unterwegs - und ziemlich schnell!", denke ich und drehe mich um. Aber da ist kein Postiwägeli, sondern ein ausgewachsenes Auto. Und es will an mir vorbei.

Vielleicht werde ich solche Szenen eines Tages amüsant finden. Im Moment finde ich das alles einfach nur furchtbar.

Und in meinem rechten Ohr spielt ein wahnsinnig gewordener Keyboarder den ganzen Tag das gleiche Riff. Ich würde gern ein YouTube-Video von ihm machen.

*Kleiner Wagen zum Einkaufen - mit Rädchen.

15
Feb
2012

Auf dem gefrorenen See


Frau Frogg blickt in die unergründlichen Tiefen unter ihren Füssen, Bild: Herr T.

Es ist eine Sensation: Der Rotsee ist so dick zugefroren, dass man darauf gehen kann. Die Stadtbehörden konnten nicht mehr anders: Sie haben ihn zur Begehung freigegeben. Auch in früheren Wintern waren zu kalten Zeiten schon mal Eisläufer auf dem See zu beobachten. Aber die taten etwas Verbotenes. Diesmal jedoch dürfen sich auch gehorsame Naturen getrost hinauswagen.

Mehr dazu beim kulturflaneur.

Wer noch erleben will, wie es ist, auf festem Wasser zu gehen, muss sich beeilen. Tauwetter hat eingesetzt. Schon liegen kleine Pfützen auf dem Eis.
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Journal einer Kussbereiten

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