11
Feb
2012

Wie werde ich schwerhörig?

"Sie lassen mich also jetzt mit einer mittelgradigen Schwerhörigkeit auf die Menschheit los?" frage ich den Arzt im Spital vor der letzten Cortison-Spritze. Es ist zum Glück der Arzt, den ich mag. Aber auf diese Frage kann auch er nur nicken.

Ich bin fassungslos, denn es stand ein paar Tage lang wirklich schlimm um mich. Wenn jemand mit mir sprechen wollte, musste er mich anschauen und deutlich artikulieren. Er durfte die Hände nicht vor den Mund halten, und mit mehreren Leuten und Umgebungslärm war ich verloren.

Das finde ich peinlich und demütigend, aber ich musste einsehen: Ich weiss nicht, wann es besser wird. Ich muss mich damit abfinden. Ich muss lernen, schwerhörig zu sein.

Nur gibt es dafür keine Schulen, es gibt darüber keine Bücher und Zeitschriften. Nicht einmal in der Hals,- Nasen-, Ohren-Klinik unseres Kantonsspital kann Dir jemand beibringen, wie man als Schwerhörige im Alltag funktioniert. Dabei müssen die doch alle Nasenlang Leute hereinbekommen, die sie nicht mehr hörend machen können! Aber es gibt dort nichts! Nicht mal einen Flyer mit Adressen für Beratungsstellen!

Zum Glück habe ich wenigstens selber herausgefunden, wie ich mein Telefon im Büro auf volle Lautstärke stellen kann. Und zum Glück gibt es Susanne und Herrn notquitelikebeethoven.

Aber mein erster schwerhöriger Mittag in der Cafeteria mit Kollegen war ein einziges kommunikatives Desaster.

8
Feb
2012

Diese Wut

Noch immer höre ich sehr schlecht. Im Spital verabreichen sie mir Cortison-Spritzen - von denen ich ziemlich genau weiss, dass sie nichts nützen. Ich weiss, was nützen würde: Ruhe. Aber das wollen sie mir nicht geben.

So arbeite ich wie verrückt und bin wütend. Wütend auf die Ärztin im Spital, die ich für unfähig halte. Wütend über das Affentheater im Büro. Wütend auf... eigentlich auf alles und jedes.

Manchmal bekommen die falschen Leute etwas von meiner Wut ab.

1
Feb
2012

Cortison im Ohr

Das beste an einer Cortison-Injektion direkt ins Innenohr ist die halbe Stunde danach. "Sie müssen auf dem Rücken liegen und den Kopf auf die linke Seite drehen. Liegen Sie still, sprechen Sie nicht und schlucken Sie möglichst wenig.", das hatte mir die Pflegefachfrau vor der Injektion gesagt. Dann rollten sie mich in den Operationsraum. Das war heute Morgen. Ich hatte wieder einen akuten Menière-Schub auf meinem guten Ohr gehabt und war ins Spital gegangen.

Nach der Injektion konnte niemand mehr mit mir sprechen. Sie hatte mich stocktaub gemacht. "Das ist normal", sagten die Ärztin. Zweimal. Weil sie beim ersten Mal vergass, in mein Hörgerät im linken Ohr zu schreien.

Sie rollten mich wieder hinaus auf den Korridor. Da lag ich, hinter einem Papiervorhang, schön zugedeckt und ganz und gar ungestört. In solchen Momenten kann man sich mit ungeheuerlichen Dingen abfinden: zum Beispiel mit der Vorstellung, dass man vielleicht nie wieder Musik hören wird.

Danach stand ich auf und wartete, bis der Schmerz im Mittelohr aufhörte. Als ich schluckte, schmeckte ich das Cortison. Es ist bitter.

29
Jan
2012

Lieber reich und gesund

Die Lektüre der Sonntagspresse kann man sich heute sparen. Hingegen möchte ich vor allem meine Schweizer Leser auf einen Beitrag bei ivinfo aufmerksam machen. Der Bericht zeigt - zugespitzt formuliert: Wer in unserem Land krank wird und in eine Rentenabklärung gerät, lebt unter Umständen gefährlich. Dafür können sich Gutachter schamlos an ihm bereichern. Das ist besonders stossend, weil unsere Invalidenversicherung - für die wir alle zahlen - mit den Renten äusserst knausrig geworden ist.

Ein Freund von mir pflegte zu sagen: "Lieber reich und gesund als arm und krank".

Damals war ich noch jung und wollte nicht begreifen, dass es dieser lakonischen Aussage nichts hinzuzufügen gab. Ich glaubte, in einer gerechten Gesellschaft zu leben, die auch für ihre Kranken nach bestem Gewissen sorgte. Heute verstehe ich sie. Jeden einzelnen Buchstaben.

25
Jan
2012

Angst vor dem Einbrecher

Wenn ich unser Treppenhaus betrete, beschleicht mich in diesen Tagen oft ein ungutes Gefühl. In den bald elf Jahren, in denen wir hier wohnen, hat unser Besitzer gar nichts daran gemacht. Das Treppenhaus sah damals schon vernachlässigt aus. Heute erinnert es an jene Entrées aus der Sowjet-Zeit, die ich 1998 im heruntergewirtschafteten Russland sah: Die Farbe blättert. Der Verputz bröckelt.

Ich fürchte, unser Vermieter wird die neunzigjährigen Mietshäuser im Quartier bald niederwalzen und etwas Neues hinstellen. Etwas Teures. Die Mieten sind in unserer Stadt in den letzten paar Jahren in unglaubliche Höhen geschnellt.

Das ist schade. Denn in unserem Quartier hat sich ein kleinbürgerlicher Lebensstil erhalten, der vor 10 Jahren schon liebenswert altmodisch wirkte. Frau Froggs erste Postings setzten sich nicht zuletzt deshalb intensiv mit unserem Haus und seinen Bewohnern auseinander - etwa im Beitrag Es eint sie die Angst vor dem Einbrecher.

Frau Baggenstoss und Frau Baumgartner sind immer noch hier. Frau Baggenstoss ist geradezu unheimlich nett geworden. Und Frau Baumgartner wartet auf einen Platz im Altersheim.

Eines Tages ist es wohl auch vorbei mit den den geheimeimen Fusspfaden hinter dem Haus, dem Bärlauch unter den Wäscheleinen und den wilden Erdbeeren.
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