5
Dez
2011

Nikolaus existiert!

Mein Gottenbub Tim ist sechs und geht in die erste Klasse. Dort diskutieren die Kleinen dieser Tage aufgeregt über Sankt Nikolaus - oder Samichlaus, wie er bei uns heisst. Die einen Kinder behaupten, er existiere gar nicht. Das sei nur irgendein Nachbar, der sich einen Bart anklebe und den Kindern etwas vorspiele.

Aber Tim vertritt eine dezidiert andere Auffassung. "Ich habe den Samichlaus gesehen und ihn mir genau angeschaut!", sagt er, "Besonders den Bart. Wenn dieser Bart aus Watte gewesen wäre, dann hätte ich auch gesagt, er sei angeklebt. Aber das war ein richtiger Bart mit Haaren. Also ist das auch ein richtiger Samichlaus."

4
Dez
2011

Ich bin gerne Landstreicherin

"Ich habe ein paar Regeln aufgestellt für den Fall, dass ich je Kinder haben sollte", lässt eine Kollegin verlauten, "Zum Beispiel habe ich mir geschworen: Ich werde mich nie so weit gehen lassen, dass ich aussehe wie eine Landstreicherin."

Ich habe dazu nicht viel zu sagen. Ich habe keine Kinder und würde mir nie ein Urteil darüber bilden, wie Frauen mit Kindern auszusehen haben. Aber das Wort "Landstreicherin" dreht Runden in meinem Kopf. Erst später wird mir klar: Ich bin schon viel zu lange nicht mehr über Land gestrichen! Wenn meine Bekannte wüsste, welch ungeheure Freiheit es mir gibt, in einem paar alten Jeans und ausgelatschten Schuhen einfach loszumarschieren! Eine Art Minimalsmus des Reisens mit maximaler Lüftungswirkung für den Kopf.

Natürlich könnte ich auch in diesen neuen, speziell für Wanderer angefertigten Designer-Klamotten aus dem Sportgeschäft aufbrechen. Ich würde dann auch auf der Landstrasse Status zur Schau stellen. Aber das finde ich unnötig. Die meisten Begegnungen, die ich da draussen habe, sind auch so freundlich und respektvoll.

Und: Als Frau allein da draussen bin ich sowieso privilegiert. Wer Familienpflichten hat, schuften oder ein Haus sauber halten muss, kommt meist gar nicht auf solche Ideen.

In den achtziger Jahren wurde die Vagabundin auch mit sexueller Freiheit assoziiert. Zum Beispiel hier:



Aber darum geht es mir nicht. Im Gegenteil: In abgelegenen Gegenden fühle ich mich manchmal sicherer, wenn ich gar nicht auffalle.

So packte ich gestern endlich meine alte Skijacke und meine Winterlatschen und zog los - strikt gegen Norden. Schon nach den ersten Metern stellte sich mir eine Bauabschrankung in den Weg. Sie stand da ohne ersichtlichen Grund. Kein Problem: Landstreicherinnen müssen ihre Kleider nicht schonen und kriechen souverän zwischen solchen Abschrankungen durch.

eigental_sempach 006

Was ich dann erlebte, erzähle ich später.

29
Nov
2011

Ein Held meiner Jugend

Für mich scheint es im Moment nur noch zwei Optionen zu geben: verarmen oder ertauben – möglicherweise beides. An der Reihenfolge schräubeln wir gerade. In dieser Lebenslage suche ich Trost bei einem Lieblings-Romanhelden meiner Jugend: Candide von Voltaire.

Im Vergleich zu ihm geht es mir ja noch richtig gut. Auch wenn er es ist, der sich in der besten allen Welten wähnt. Dabei wird er im Leben herumgeworfen und immer wieder windelweich geprügelt. Als uneheliches Kind wächst er im 18. Jahrhundert an einem deutschen Fürstenhof auf. Als er sich mit 17 verliebt, vertreibt ihn der Fürst bei der erstbesten Gelegenheit mit einem Tritt in den Hintern. Das passiert am Ende des ersten Kapitels.

Trost finde ich bei der Lektüre nicht. Dafür eine Erkenntnis: Candide würde als moderner Romanheld nicht mehr funktionieren. In einem heutigen Roman hätte er ein unendlich komplexes Bewusstsein. Vier Kapitel lang würde das Buch über seine Kindheit und seine unsichere soziale Stellung am Hof sinnieren. Candide hätte seine Vertreibung antizipiert und vorher jemanden kennen gelernt, der ihm ausserhalb des Fürstenhauses ein Auskommen bietet. Er hätte geschuftet, wäre herumgekommen und hätte schliesslich irgendwo ein - vielleicht prekäres - Glück gemacht.

Aber Candide ist eine Romanfigur aus uralter Zeit. Dass er rührend naiv ist, gehört zum Konzept. Er muss auf die harte Tour lernen: Seine Welt ist kein guter Ort: Die Armut lauert an jeder Ecke, herrschaftliche Willkür und Kriege gibts á discretion. Wer nichts ist, wird nichts. Wer nichts wird, wird Kanonenfutter.



Im Vergleich zu Candides Welt ist unsere Welt - jedenfalls jene im Westen - immer noch eine heile Welt unglaublich vieler Möglichkeiten.

Und doch ist Candide einer der Urgrossväter der meisten modernen Romanhelden. Als einer der ersten setzt sich das Buch mit der Frage nach der Freiheit auseinander. Wobei mit "Freiheit" im Roman meist gemeint ist: Wie schafft es der Held, das zu tun, was ihm liegt - und dabei nicht zu verhungern.

Plötzlich fällt mir diese Buch ein:

Dieser 2010 erschienene, hoch gelobte Roman des amerikanischen Roman-Giganten Johnathan Franzen macht sich das Ur-Thema des Romans gleich zum Titel. Er ist ein wuchtiges, hervorragend erzähltes Buch. Die Figuren wirken geradezu hyper-realistisch komplex. Der Stil ist elegant, zuweilen ist da dieser satirische Unterton. Das Milieu - die USA der liberalen Mittelschicht im frühen 21. Jahrhundert - ist klar gezeichnet. Der Titel scheint nahe zu legen, dass wir neu über die Freiheit - und damit neu über den Roman - nachdenken müssen. Der Klimawandel und die Bevölkerungs-Explosion scheinen im Text den traditionellen Freiheits-Begriff in Frage stellen. Doch Franzen scheint sich in der Komplexität seiner Figuren zu verlieren. Ihre Ängste sind Ängste des 20. Jahrhunderts, und schliesslich rettet er sie alle. "Freedom" ist ein mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts geschriebener Roman für Leser des 20. Jahrhunderts.

Der Roman des 21. Jahrhunderts muss erst noch geschrieben werden. Und es ist nicht klar, ob seine Helden gerettet werden.

26
Nov
2011

Die Frau im Wald

Manchmal, wenn ich abends am Waldrand spazieren gehe, erwacht in mir ein Ur-Instinkt. Ich sehe das kahle Geäst, und dann möchte ich mich in die Büsche schlagen. Wie ein Tier. Einfach verschwinden. Ich denke viel über die Frau im Wald nach. Jene Frau, die man vor zwei Jahren in einem Wald in der Nähe von Bern gefunden hat. Sie hatte jahrelang allein im Wald überlebt. "Wie hat sie sich warm gehalten?" überlege ich, "Was hat sie gegessen? Hat sie ihre Kleider je gewaschen?"

Aber ich weiss, dass ich mich nicht in die Büsche schlagen könnte. Ich wäre nicht robust genug. Wenn ich mehr als einen halben Tag nichts esse, ertaube ich.

Lieber lasse ich mich von den Traveling Wilburys zu Hause in der warmen Stube aufheitern: hier. Unbedingt hineingucken: Es zeigt George Harrison quicklebendig, dazu - gut aufgelegt - Bob Dylan und Tom Petty.

20
Nov
2011

Konsum macht glücklich

Kürzlich habe ich von einem juristisch geschulten und ziemlich lebenserfahrenen Profi im Hinblick auf meine Zukunftsperspektiven beraten lassen. Zur Sprache kam auch das leider nicht gänzlich unwahrscheinliche Szenario, dass ich wegen meiner Krankheit alles verliere und aufs Sozialamt muss.

"Wenn das passiert", sagte er, "dann lass Dich nicht ins Bockshorn jagen. Gönn Dir etwas, so lange Du von Deinen Ersparnissen leben kannst. Kauf Dir Dinge, die man Dir nachher nicht wegnehmen kann. Geh ab und zu ins Restaurant essen oder ins Theater."

"Hm... Ich glaube, ich würde eher versuchen, möglichst lange frei zu bleiben und dem Staat möglichst spät auf der Tasche zu liegen", sagte ich.

"Naja, auf einen oder zwei Monate wird es ja dann nicht ankommen. Zudem kannst Du ja nichts dafür, wenn Dir das passiert. Es wird Dir psychisch besser gehen, glaub mir. Und das ist die Hauptsache."

Noch ist es nicht soweit - und überhaupt zelebrieren wir heute die Opulenz: hier erst mal mit einem Gratis-Video von Annie Lennox:



In einer amüsanten Nebenrolle Hugh Laurie, besser bekannt als Dr. House.
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