23
Mrz
2011

Joggen oder spazieren?

Früher hoppelte ich ja einmal in der Woche um den Göttersee. Das ist beliebteste Joggerstrecke der Stadt, sechs Kilometer. Ich kann nicht behaupten, dass ich dabei olympiareif wurde. Als Joggerin bin ich immer eine Lachnummer gewesen. Aber ich joggte nicht ungern. Joggen war für mich eine effiziente und preiswerte Art, mein Gewicht zu halten. Einigermassen. Ausserdem ist man beim Joggen an der frischen Luft. Danach prickelte immer neuer Sauerstoff in meinen Extremitäten wie Kohlensäure in einem Glas Mineralwasser. Ich mochte das.

Seit meinen Hörstürzen im Herbst 2009 bin ich nicht mehr gejoggt. Ich fürchtete Schwindelanfälle. Ich fürchtete, der Stress könnte meinem Gehör schaden. Ich wurde statt dessen eine Hardcore-Spaziergängerin. Ich lernte zu schätzen, dass man beim Spazieren sein Ziel frei wählen kann - wenn man nicht überhaupt die Ziellosigkeit wählt. Dass man stehenbleiben richtig hinschauen kann, wenn man zum Beispiel plötzlich einen riesigen Buntspecht in einem Baum sieht. Ich musste dabei nicht schnell und nicht effizient sein. Ich habe ja mehr Zeit als früher.

Aber ich habe schon lange keine nennenswerten Schwindelanfälle mehr gehabt, dafür drei Kilo mehr auf den Rippen als 2009. Am Montag wurde es Frühling. Es gab es keine faulen Ausreden mehr. Ich musste joggen.

Freunde, ich erlebte ein böses Erwachen. Zuerst machte mein MP3-Player schlapp. Er mag das Gerüttel nicht. Dann fand ich mein Tempo nicht. Mehr als eine Minute konnte ich nicht rennen, ohne total ausser Puste zu geraten. Gestählte Athleten pfiffen mir um die Ohren. Die Speckseen auf meinen Hüften wogten. Am Hang fuhr mir die Bise ins Haar und machte mich schwindlig.

Dann, endlich, fand ich mein Tempo. Ich rannte. Rannte. Bis zur nächsten Steigung. "Die nehme ich mit Bravour", dachte ich. Fehlanzeige. Beim dritten Schritt schoss mir der Schmerz ins Knie. Autsch! Alles andere hatte ich weggesteckt. Aber das konnte ich nicht wegstecken. Ich hätte nie gedacht, dass mein Knie mich einmal zum Aufgeben zwingen würde.

Genug. Heute war ich spazieren. Ich erstieg einen 750-Meter-Hügel in einem Vorort. Auf 600 Metern sah ich die Chefin unseres kantonalen Justizdepartements mit einem Team des lokalen Fernsehsenders. Auf Wahlwerbung auf einer Wiese. Ich sah seidige Aprikosenknospen ready to burst.

Mein Knie schmerzt nur noch leise. Philosphisch betrachtet ist der Spaziergang dem Joggen sowieso bei weitem überlegen.

Nur DJ Philemon findet: "You better run run run run run run!"

20
Mrz
2011

Mitgefühl

Heute haben in den Sonntagszeitungen gleich mehrere Chefredaktoren und Chef-Kommentatoren mehr Mitgefühl für die Menschen in Japan gefordert - und weniger hysterisches Geschwätz über AKWs. "Was ist mit mir los?" dachte Frau Frogg. "Bin ich eine hysterische Westlerin auf dem Ego-Trip? Habe ich kein Mitgefühl für die Menschen in Japan?"

Die Antwort lautet: Natürlich bin ich eine hysterische Westlerin. Was könnte ich anderes sein? Dennoch habe ich natürlich Mitgefühl für die Menschen in Japan. Mir wird das Herz schwer, wenn ich den japanischen Premierminister auf Fernsehbildern aus Japan sehe. Links oben im Bild sieht man dann immer auch die Frau, die seine Aussagen in Gebärdensprache übersetzt. Dann muss ich an die Japanerinnen und Japaner denken, die täglich die Zumutungen einer Behinderung bewältigen müssen. Und jetzt noch das.... Und natürlich möchte ich weinen, wenn ich Bilder von den Menschen sehe, die zwischen den Trümmern des Tsunamis Spuren ihrer Angehörigen suchen.

Aber ich habe bislang kein Bedürfnis gespürt, dieses Mitgefühl öffentlich zu bekunden. Dafür habe ich einfach zu viele Ausland-Seiten einer Tageszeitung gemacht. Wer Ausland-Seiten macht, entscheidet jeden Tag über das Gewicht von buchstäblich Dutzenden von Todesfällen. Das ist in diesen Tagen nicht anders, wie mir ein Blick in die gestrige Ausgabe des "Tagesanzeigers" bestätigt: Es starben nicht nur Menschen in Japan und Libyen. Nein. In Pakistan starben am Freitag 40 Menschen bei einem amerikanischen Drohnenangriff. Sie waren den "Tagi" genau eine Nachricht wert. Verdienen ihre Angehörigen nicht auch mein Mitgefühl, ja, meine Empörung über jene, die ihr Leid verschulden? Und wie steht es mit den weiteren paar Dutzend Opfern in anderen Konflliktregionen dieser Welt, die es sehr wahrscheinlich gab - die aber die Zeitungen nicht einmal in ihren Randspalten erwähnten?

Bitte versteht mich nicht falsch: Ich will das menschliche Leid in Japan nicht herunterspielen. Ich denke hier lediglich laut nach. Ich meine: Chefredaktoren und Chef-Kommentatoren wissen, wie man die Auslandseiten einer Zeitung macht. Ich frage mich, weshalb sie in diesen Tagen so sehr an unser MItgefühl appellieren.

19
Mrz
2011

DJ mit schwarzem Humor

Irgendwo in meinem Hirn ist eine Radiostation versteckt. Sie versorgt mich oft schon mit Musik, wenn ich mich am Morgen aus dem Bett rapple. Es kommen keine ganzen Songs, sondern irgendeine Songzeile, ein Riff, ein Refrain. Ich nenne es Radio Frogg, und es hat einen penetranten DJ namens Philemon. Manchmal wiederholt er Songfetzen so lange, bis ich mich über ihn ärgere. Nicht zum Erstenmal ist mir gestern aufgefallen, dass er höchst eigenwillige Kriterien für die Auswahl seiner Ohrwürmer hat. Eine Art schwarzen Humor.

Gestern wehte mir den ganzen Tag lasziv die Songzeile "Aaaa. aaaa your hair is beautiful..." durch den Kopf. Die hypnotische Stimme von Debbie Harry. Etwa hundertmal. Unablässig. Was hatte DJ Philemon sich bloss dabei gedacht? Ich recherchierte. Es war dieser Song.



Bisschen frivol, das Video, dachte ich zuerst. Bis ich mich erinnerte, dass der Song damals durchaus Zeitgeist atmete. Ich meine: Es herrschte kalter Krieg. Die atomare Bedrohung war real. Manchmal hatte man das Gefühl, auf dem Vulkan zu tanzen.

18
Mrz
2011

Atomare Gedächtnislücken

Gestern Abend sassen wir vor der Glotzkiste und sahen einen Dok über AKW-Störfälle. Bald kam Frau Frogg zur Erkenntnis: Des Menschen Glück und Fluch ist sein unglaublich selektives Gedächtnis. Ich meine: Wir hatten sogar in der Schweiz früher mal einen happigen Störfall (Lucens, 1969). Aber weiss das noch jemand? Mitnichten. Auch Tschernobyl: Vergessen. Da werden Berge von Büchern über psychische Traumata geschrieben. Aber ökologische Katastrophen scheinen nur direkt Betroffene zu traumatisieren. Der grosse Rest lässt sie jener Amnesie anheim fallen, über die nicht einmal Bücher geschrieben werden.

Meine Generation ist die erste Generation, die an der Schule ein ökologisches Grundwissen erworben hat. Unter meinen Studienkollegen gab es viele Öko-Freaks. Gegen AKWs waren wir sowieso. Aber dann passierte etwas: Ökologisches Bewusstsein wurde plötzlich unhip. Öko-Freaks galten als "Körnlipicker", als genussfeindliche Prinzipienreiter. Und genussfeindlich wollte niemand sein. Klar, einige von uns fuhren auch nach dem Liz noch Velo. Aber gleichzeitig entdeckte man die Pendelei, die Vielfliegerei als Status-Symbol. Man arbeitete an seinem sozialen Aufstieg. Man baute ein Häuschen – nach Minergie-Standard vielleicht. Aber ein Häuschen musste es sein.

Über unbequeme Fragen oder gar apokalyptische Szenarien wollte niemand nachdenken. Die Energielücke droht? Na, von mir aus, irgendjemandem wird schon etwas einfallen! Da greift es in meinen Augen etwas kurz, wenn wir jetzt plötzlich die Politiker der Heuchelei und der Kurzsichtigkeit bezichtigen. Ich meine: Wer von uns hat Politiker gewählt, die in ihre Wahlwerbung schrieben: "Bin vehementer AKW-Gegner"? Eben. Das Thema war einfach nicht auf der politischen Agenda. Wir haben es alle vergessen.

Jetzt raufen wir uns die Haare. Wir wollen Busse tun. Auch Frau Frogg schaltet einige ihrer Standby-Geräte aus. Wenigstens etwas Kleines kann man tun.

1601 fegte ein Tsunami über die Stadt Luzern. Er sei zwei Hellebarden (vier Meter) hoch gewesen, hiess es am Fernsehen. Für jene, die das nicht glauben: Hier mehr dazu. Man betrachtete das Verhängnis als Strafe Gottes. Die Regierung verhängte als Busse ein zweimonatiges Tanzverbot.

Ob Frau Frogg's Geräte in zwei Monaten wieder auf Standy laufen?

16
Mrz
2011

Tschernobyl

Bitte entschuldigt, wenn ich hier aus den ernsten Themen gar nicht mehr herauskomme. Die Atomkatastrophe in Japan geht mir sehr nahe. Nicht zuletzt deswegen, weil sie die Grundfesten unserer westlichen Zivilisation erschüttert - so augenscheinlich wie kaum etwas vor ihr.

Um zu verstehen, was jetzt passiert, ziehe ich meine Erinnerung an Tschernobyl bei. Ich war damals 21 und gerade in England. Ich arbeitete in einem anthroposophischen Heim für behinderte Kinder.

Mir ist Tschernobyl nicht zuletzt als Informations-Desaster in Erinnerung. Im Heim lasen wir mittags jeweils die "Times". Sogar eine renommierte Zeitung wie sie brachte die Masseinheiten für ausgetretene Radioaktivität konsequent durcheinander. So konsequent, dass selbst unkritische Zeitgenossinnen wie die junge Frau Frogg den Eindruck gezielter Desinformation bekommen mussten. Nach einigen Tagen verbot man uns jungen Frauen im Heim dann sowieso die Zeitungslektüre. Wir würden mittags die Kinder vernachlässigen, hiess es.

An einem jener Tage im April 1986 hatte ich dann frei und sass im Zug nach London. Im Nebenabteil sass ein Mann mit einer Zeitung in der Hand. Auf der Rückseite sah ich die Schlagzeile "Radioactive Cloud over Switzerland". Auf der ganzen, einstündigen Fahrt starrte ich mit schreckgeweiteten Augen die Schlagzeile an. Vielleicht bat ich den Mann sogar, ob ich den Artikel lesen dürfe, ich weiss es nicht mehr. Es dürfte das übliche Durcheinander zwischen Becquerel und - wie hiess das andere nochmal? - gewesen sein.

Jedenfalls sprang ich in Charing Cross aus dem Zug und suchte sofort die nächste Telefonkabine auf. Ich rief meine Mutter an. Die war ausgesprochen munter und ganz erstaunt, mich zu hören. Von der radioaktiven Wolke über unserem Land, über unserem Haus, verdammt, wusste sie nicht. "Bei uns hiess es, die radioaktive Wolke liege über England", sagte sie gänzlich unbesorgt.

Wenige Jahre später verschwand der Super-GAU von Tschernobyl aus dem öffentlichen Bewusstsein. Wo sind eigentlich die Filme über die namenlosen Helden von Tschernobyl, die ihr Leben für den Fortbestand der Menschheit opferten?

Zum Beispiel dafür, dass in den neunziger Jahren britische Popbands unbekümmerte, kleine Satiren wie die folgende machen konnten? Sie sei Euch zur Aufheiterung kredenzt. Anglophilen sei empfohlen, auf das breite Cockney im Text zu hören.



Wer das Video hier nicht sehen kann, sollte es mal hier versuchen. Leider ist das Bild dort ein bisschen blurred. Naja, passt.
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Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
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Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
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ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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