2
Mrz
2011

Engel an der Autobahnauffahrt

In meinem letzten Eintrag habe ich über einen Tobsuchtsanfall nachts auf der Bushaltestelle berichtet - und wie ich bei der Autobahnauffahrt in einem finsteren Winkel ein weinendes Mädchen sah. Sie weinte zum Steinerweichen.

Ich warf einen misstrauischen Blick ins Gebüsch. Die junge Frau war allein. Ich dachte einen Augenblick lang besorgt an das Portmonee in meiner Manteltasche. Dann warf ich alle Vorsicht in den Wind. Ich setzte ich mich zu ihr und fragte, was los sei. Ich hatte vergessen, dass ich je wütend gewesen bin.

Sie warf sich in meine Arme und weinte in meinen Mantel. Erst mit der Zeit schluchzte sie ihre Geschichte heraus. Das übliche. Der Freund. Sie war seinetwegen hergezogen und kennt niemanden hier. Und er hat sie einfach sitzenlassen.

Ich bin selber einmal ein verzweifeltes Mädchen gewesen. Mehr als einmal. Manchmal möchte ich heute mit der jungen Frau Frogg von damals sprechen. Ich möchte ihr sagen, dass ich all die zentnerschweren Probleme von damals gelöst habe. Dass ich ein paar Dinge getan habe, auf die ich stolz bin. Dass ich einen netten Mann habe. Dass es mir gutgeht. Naja, mehr oder weniger. Aber Details müsste die junge Moni Frogg nicht wissen.

Auch die junge Frau nicht, die jetzt neben mir sitzt. Ich kann sie höchstens spüren lassen, dass die Zeit die meisten Wunden heilt.

Schliesslich hört sie auf zu schluchzen. Die Linie zwischen Trost und Zudringlichkeit wird merkwürdig dünn. Sie sagt: "Ich sollte nach Hause." Ich stehe auf und verabschiede mich.

Ich werde sie wahrscheinlich nie wieder sehen.

Später bin ich nicht sicher, ob ich sie gerettet habe oder sie mich.

1
Mrz
2011

Nächtlicher Tobsuchtsanfall

Neulich nachts nach dem Theater am Stadtrand. Ich gehe allein zur Busstation. Oder vielmehr: Ich renne, doch der Bus fährt mir vor der Nase weg. Scheisse! Wenn dieser Deppen-Tubel von einem Schafseckel-Chauffeur ein Profi wäre, dann hätte er mich gesehen! Gut, dann gehe ich zu Fuss! Ich stehe mir doch nicht wegen so einem Idioten-Bus an der Kälte zehn Minuten die hohen Absätze in den Bauch! Neben mir braust vierspurig der Verkehr. Ich schicke dem Busfahrer Verwünschungen hinterher, so laut ich kann. Die Wut von Jahren steigt in mir hoch. Wenn sie Flügel verleihen würde, würde ich in die Nachtluft schiessen, drei Kreise über der Autobahnausfahrt ziehen und dann nach einem sauberen Bogen zu Hause landen.

Aber Wut verleiht keine Flügel. Ich gehe schnell. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu brüllen.

Nach zehn Minuten tun mir Hals und Füsse weh. Aber ich möchte immer noch jeden, den ich sehe, mit Blicken töten.

Ich komme zur Autobahnauffahrt. Das ist ein ungastlicher Ort. Zwar stehen hier ein paar Bänke zwischen finsteren Büschen. Doch wenn eine Frau drauf aus ist, nachts um ihr Portmonee oder ihre körperliche Unversehrtheit gebracht zu werden, dann sollte sie es hier versuchen.

Hier sehe ich sie. Sie ist jung und hat langes, blondes Haar. Sie sitzt auf einer Bank und weint. Sie weint zum Steinerweichen.

Sorry, Telefon. Rest erzähle ich morgen.

27
Feb
2011

Tortur im Theater

Herr T. und ich haben in letzter Zeit wieder öfter das Theater besucht. Bühnenkunst statt CSI lautete die Devise.

Uns beide interessieren eher Produktionen aus der freien Szene. Meine neuen Erfahrungen damit waren allerdings ernüchternd. Es scheint, dass Theater dazu da ist, die Lärmverträglichkeit meiner armen Ohren bis zur Grenze zu strapazieren - und meine Fingerfertigkeit im Umgang mit Ohropax zu testen. Das Fazit muss lauten: Zeitgenössisches Theater ist nichts für Meniere-Patientinnen.

Man muss sich einen Theaterbesuch von Frau Frogg so vorstellen: Sobald sie sitzt, stellt sie ihr Hörgerät links ab. Von bitterer Erfahrung gewitztigt, will sie ja nicht, dass vom Hörgerät über Gebühr verstärkte Schallwellen von links auf ihr lärmempfindliches rechtes Ohr treffen. Der Begleiter muss deswegen stets rechts von ihr sitzen, sonst sind kurze Zuflüsterungen gar nicht möglich.

Rechts steckt sie sich stets ein Ohropax. Sie hat gelernt, sich ein Ohropax so einzulegen, dass sie trotz wächsernem Freund im rechten Ohr 100 Prozent hört. Aber sie kann das Stück Wachs in Sekundenbruchteilen so zudrücken, dass es seine volle Wirkung entfaltet - und auf jeder Frequenz 20 Dezibel abdämpft.

Das ist manchmal im Kino nötig. Fast immer aber im Theater. Denn zeitgenössisches Theater mag in der Form sehr frei sein. Doch es hat ein prägendes Schall-Merkmal: Irgendwo im ersten Drittel wird es immer laut, und zwar stets sehr plötzlich. Meistens ist es kein schöner Lärm: Es ist Zuggedonner, es sind elektronisch verstärkte Maschinengeräusche oder es ist einfach elektrisches Feedback. Und immer kommt das Gequietsch gänzlich unerwartet. Zum Finale scheint heutzutage zu gehören, dass man die Zuhörer minutenlang mit Lärm um 90 Dezibel quält. So lange, dass Frau Frogg oft nur noch Sekunden davor steht, die Flucht zu ergreifen. Sie reisst sich dann das Hörgerät aus dem linken Ohr und hält sich mit Schreckensmiene beide Ohren zu. Bei zwei von vier Theaterbesuchen in den letzten beiden Wochen trat dieser Fall ein.

Dann schon lieber CSI als Bühnenkunst, denkt sich Frau Frogg. Da kann man wenigstens selber Lautstärke zurücknehmen. Bis sie am letzten Donnerstag im Zürcher Schauspielhaus Medea sah. Das war phantastisch. In der Sprache erstaunlich modern war die Inszenierung über weite Strecken so still, dass man es hörte, wenn jemand im ausverkauften Haus sich auf seinem Stuhl bewegte.

Medea ist die grosse Tragödie einer Frau, die von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen wird. Ihrer masslosen Wut opfert die Heldin ihre Zukunft, ihre Kinder. Sie wird zur Mörderin. Das war viel besser als CSI, weil es menschliche Tragik verständlich macht. Und uns erschauern lässt vor solcher Masslosigkeit, statt nur vor Gruseln über Leichenteile.

Im Zug nach Hause grinste Herr T. dann: "Ja, aber da ist doch diese Szene, in der ein Bote Medea den Todeskampf der jungen Prinzessin schildert - da dachte ich: Das hätten die CSI-Agenten was zu tun!"



Mehr dazu auch bei Herrn T..

26
Feb
2011

Nachts an der Autobahnauffahrt

Neulich nachts nach dem Theater am Stadtrand. Ich gehe allein zur Busstation. Oder vielmehr: Ich renne, doch der Bus fährt mir vor der Nase weg. Scheisse! Wenn dieser Deppen-Tubel ein echter Chauffeur wäre, dann hätte er mich gesehen! Gut, dann gehe ich zu Fuss! Wäre ja gelacht, wenn ich mir hier an der Kälte 10 Minuten meine hohen Absätze in den Bauch stehen würde! Neben mir braust vierspurig der Verkehr. Ich schicke dem Busfahrer Verwünschungen hinterher, so laut ich kann. Die Wut von Jahren steigt in mir hoch. Wenn sie Flügel verleihen würde, würde ich in die Nachtluft schiessen, drei Kreise über der Autobahnausfahrt ziehen und dann nach einem sauberen Bogen zu Hause landen.

Aber Wut verleiht keine Flügel. Ich gehe schnell. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu brüllen.

Nach zehn Minuten tun mir Hals und Füsse weh. Aber ich möchte immer noch jeden, den ich sehe, mit Blicken töten.

Ich komme zur Autobahnauffahrt. Das ist ein ungastlicher Ort. Zwar stehen hier ein paar Bänke zwischen finsteren Büschen. Doch wenn eine Frau drauf aus ist, nachts um ihr Portmonee oder ihre körperliche Unversehrtheit gebracht zu werden, dann sollte sie es hier versuchen.

Hier sehe ich sie. Sie ist jung und hat langes, blondes Haar. Sie sitzt auf einer Bank und weint. Sie weint zum Steinerweichen.

Sofort vegesse ich, dass ich je wütend gewesen bin. "Kann ich helfen?" frage ich. Ich werfe einen Blick ins Gebüsch hinter ihr und denke an den Geldbeutel in meiner Tasche. Dann werfe ich alle Vorsicht in den Wind und setze mich zu ihr. Sie wirft sich in meine Arme und weint. Es ist das übliche. Der Freund.

Ich bin selber einmal ein verzweifeltes Mädchen gewesen. Manchmal möchte ich heute zu der jungen Frau sprechen, die ich gewesen bin. Ich möchte ihr sagen, dass ich all die zentnerschweren Probleme von damals gelöst habe. Dass ich einen netten Mann habe und Dinge getan, auf die ich stolz bin. Dass es mir gutgeht. Naja, mehr oder weniger. Aber Details müsste die junge Moni Frogg nicht wissen.

Auch die junge Frau nicht, die jetzt neben mir sitzt. Aber ich kann sie spüren lassen, dass die Zeit die meisten Wunden heilt.

Schliesslich richtet sie sich wieder auf. Die Linie zwischen Trost und Zudringlichkeit wird dünn. Sie sagt: "Ich sollte wohl nach Hause." Ich stehe auf und verabschiede mich.

Ich werde sie wahrscheinlich nie wieder sehen.

Später bin ich nicht sicher, ob ich sie gerettet habe oder sie mich.

Blaubart fast zweisprachig

Die zweite Übersetzungsaufgabe meiner Wiener Blogkollegen nehme ich wohl besser auf einen neuen Eintrag. Der Thread des letzten wird mir sonst zu lang.

blauboad 1

i bin a ringlgschbüübsizza
und hob scho sim weiwa daschlong
und eanare gebeina
untan schlofzimabon fagrom..

heit lod i ma r ei di ochte
zu einen libesdraum-
daun schdol i owa s oaschestrion ei
und bek s me n hakal zaum!

so fafoa r e med ole maln
wau ma d easchte en gschdis hod gem-
das s mii amoe darwischn wean
doss wiad kar mendsch darlem!

i bin a ringlgschbüübsizza
(und schlof en da nocht nua bein liacht
wäu i mi waun s so finzta is
fua de dodn weiwa fiacht..)

Blaubart 1
Ich bin ein Ringelspielbesitzer
Und habe schon sieben Weiber erschlagen
Und ihre Gebeine
Unter dem Schlafzimmerboden vergraben

Heute lade ich mir ein die Achte
Zu einem Liebestraum
Dann stell ich auch ein Orchester ein
und schlage sie mit einer Hacke tot (oder so ähnlich).

So verfahre ich mit allen Mädchen
Weil mir die erste ein ... bitte was? ... gegeben hat
Dass sie mich mal erwischen werden,
wird kein Mensch erleben

Ich bin ein Ringspielbesitzer
Und schlafe in der Nacht nur bei Licht
Weil ich mich wenns so finster ist
Vor den toten Weibern fürchte


von H.C. Artmann, Übersetzung Frau Frogg

So schön gruselig! Dank für die Anregung an MadProfessor. Dank auch an katiza für den Link zur Tonversion. Ohne die hätte ich nie rausgesfunden, was ein "ringlgschbüübsizza" ist.

23
Feb
2011

Rätsel für MadProfessor

Herr MadProfessor hat dieser Tage ein gewisses Interesse an der Übersetzung Schweizerdeutscher Texte ins Hochdeutsche gezeigt. Prompt kam Frau Rockhound auf die Idee, ihm gleich die Meisterprüfung in Schweizerdeutsch abzuverlangen: Es bärndütsches Geschichtli (ds Totemüggerli) von Franz Hohler. Weil die Nummer auch ein köstliches Tondokument hergibt, stelle ich sie hier ein:



Hier gibts den Text auch zum Nachlesen.

Sozialstaat wird ausgehöhlt

Folgenden Beitrag habe ich bei Mia kopiert. Ich bin zwar ziemlich sicher, dass die Quote der Ständerätinnen und -räte unter meinen Lesern deutlich gegen Null tendiert. Doch der Beitrag ist nicht nur für Politiker lesenswert. Wir sind hierzulande dabei, die Glaubwürdigkeit unseres Sozialstaats auszuhölen. Man muss kein Politiker sein, um ein Interesse daran zu haben, das zu verhindern.

Sehr geehrter Herr Ständerat …
Sehr geehrte Frau Ständerätin …

In der kommenden Frühjahrssession werden Sie gemeinsam mit Ihren RatskollegInnen die Differenzbereinigung der IV-Revision 6a beraten. Ihre Entscheidungen werden nicht nur Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Invalidenversicherung haben, sondern auch die Schicksale von mehreren zehntausend Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen beeinflussen. Dies scheint in einem Ratssaal voller gesunder und erfolgreicher Menschen offenbar ab und zu etwas vergessen zu gehen.

Mit grosser Besorgnis habe ich zur Kenntnis genommen, dass die SGK-S die umstrittene Schlussbestimmung über «die pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebilder» dem Ständerat zur Annahme empfiehlt. Diese Schlussbestimmung bedeutet eine unhaltbare Diskriminierung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung, da sich die überwiegende Mehrheit der psychischen Störungen nicht auf eine nachweisbare organische Grundlage zurückführen lässt.

Auch Herrn Bundesrat Burkhalters mehrfache Beteuerungen während der Nationalratsdebatte zur IV-Revision 6a, dass schwere psychische Krankheiten selbstverständlich von Überprüfungen ausgenommen würden, vermochten nicht zu überzeugen. Es erscheint doch sehr unglaubwürdig, dass eine Bestimmung im Gesetz verankert werden soll, deren Wortlaut angeblich «nicht wörtlich zu nehmen sei».

Dass mit der Schlussbestimmung gezielt die gesetzliche Grundlage geschaffen werden soll, Menschen mit psychischen Erkrankungen generell von Leistungen der Invalidenversicherung auszuschliessen, ist inakzeptabel. Besonders stossend ist, dass offenbar ganz bewusst die Erkrankungen mit dem niedrigsten Sozialprestige, der höchsten Stigmatisierung und dem geringsten zu erwartenden Widerstand für massive Sparmassnahmen ausgewählt wurden.

Dass der gegenüber Menschen mit unsichtbaren Behinderungen seit Jahren polemisch geäusserte generelle Missbrauchsverdacht nun ohne jegliche Grundlage oder Beweise für dessen Wahrheitsgehalt Eingang in die Gesetzgebung finden soll, kann kaum als seriöse Gesetzesarbeit bezeichnet werden. Zudem wurde die Formulierung übereilt, unter Umgehung der Vernehmlassung und ohne vorherige Abklärung der Folgen eingefügt.

Aus diesen Gründen möchte ich Sie freundlich bitten, die vorgesehene Schlussbestimmung abzulehnen.
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Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
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auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
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liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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