26
Feb
2011

Nachts an der Autobahnauffahrt

Neulich nachts nach dem Theater am Stadtrand. Ich gehe allein zur Busstation. Oder vielmehr: Ich renne, doch der Bus fährt mir vor der Nase weg. Scheisse! Wenn dieser Deppen-Tubel ein echter Chauffeur wäre, dann hätte er mich gesehen! Gut, dann gehe ich zu Fuss! Wäre ja gelacht, wenn ich mir hier an der Kälte 10 Minuten meine hohen Absätze in den Bauch stehen würde! Neben mir braust vierspurig der Verkehr. Ich schicke dem Busfahrer Verwünschungen hinterher, so laut ich kann. Die Wut von Jahren steigt in mir hoch. Wenn sie Flügel verleihen würde, würde ich in die Nachtluft schiessen, drei Kreise über der Autobahnausfahrt ziehen und dann nach einem sauberen Bogen zu Hause landen.

Aber Wut verleiht keine Flügel. Ich gehe schnell. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu brüllen.

Nach zehn Minuten tun mir Hals und Füsse weh. Aber ich möchte immer noch jeden, den ich sehe, mit Blicken töten.

Ich komme zur Autobahnauffahrt. Das ist ein ungastlicher Ort. Zwar stehen hier ein paar Bänke zwischen finsteren Büschen. Doch wenn eine Frau drauf aus ist, nachts um ihr Portmonee oder ihre körperliche Unversehrtheit gebracht zu werden, dann sollte sie es hier versuchen.

Hier sehe ich sie. Sie ist jung und hat langes, blondes Haar. Sie sitzt auf einer Bank und weint. Sie weint zum Steinerweichen.

Sofort vegesse ich, dass ich je wütend gewesen bin. "Kann ich helfen?" frage ich. Ich werfe einen Blick ins Gebüsch hinter ihr und denke an den Geldbeutel in meiner Tasche. Dann werfe ich alle Vorsicht in den Wind und setze mich zu ihr. Sie wirft sich in meine Arme und weint. Es ist das übliche. Der Freund.

Ich bin selber einmal ein verzweifeltes Mädchen gewesen. Manchmal möchte ich heute zu der jungen Frau sprechen, die ich gewesen bin. Ich möchte ihr sagen, dass ich all die zentnerschweren Probleme von damals gelöst habe. Dass ich einen netten Mann habe und Dinge getan, auf die ich stolz bin. Dass es mir gutgeht. Naja, mehr oder weniger. Aber Details müsste die junge Moni Frogg nicht wissen.

Auch die junge Frau nicht, die jetzt neben mir sitzt. Aber ich kann sie spüren lassen, dass die Zeit die meisten Wunden heilt.

Schliesslich richtet sie sich wieder auf. Die Linie zwischen Trost und Zudringlichkeit wird dünn. Sie sagt: "Ich sollte wohl nach Hause." Ich stehe auf und verabschiede mich.

Ich werde sie wahrscheinlich nie wieder sehen.

Später bin ich nicht sicher, ob ich sie gerettet habe oder sie mich.

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