21
Feb
2011

Schluss machen

Neulich sass in einem Bus nach jenem Vorort, in dem auch das Café Sarajevo liegt. Das Fahrzeug war fast leer. Hinter mir sassen dem Hören nach zwei Jugendliche. Sagt der eine sehr vernehmlich zum anderen (mit slawischem Akzent): "Hey, wie findsch das: 'Hey, sorry, letschti Ziit isch gsii chli Scheisse. Mier müend Schluss mache. Hed meh mit mier z'tue als mit Dier. Ich ha Angscht zvil Bindig.*" Es klang, als lese er einen selbst verfassten Text von seinem Handy- Display. Er fragte wohl den Kollegen um Rat, ob er das SMS seiner noch-Freundin schicken sollte.

Der andere legte keinen Wert darauf, von den Umsitzenden gehört zu werden. Ich verstand nicht, was er antwortete.

Später sah ich die beiden. Einer der beiden war ein toller Hecht mit umgekehrter Baseball-Mütze auf dem Kopf und einer dicken Kette aus Metallteilen um den Hals. Sein Kollege war kleiner und dicklich. Beide waren keinen Tag älter als 16. Keine Frage, welcher der beiden da SMS vorgelesen hatte.

Wie kommen die Kerle auf solches Zeug?

Als ich ein Teenager war, verkrümelten sich Jungs noch still und verschämt.



*Wie findest Du diesen Text: 'Sorry, letzte Zeit war ein wenig beschissen. Wir müssen Schluss machen. Es hat mehr mit mir zu tun als mit Dir. Ich habe Angst vor zu viel Bindung."

19
Feb
2011

Wilhelm Tell hoch aktuell

Wir haben in den achtziger Jahren am Gymnasium Wilhelm Tell für die Schule von Max Frisch nicht gelesen. Wahrscheinlich hielt unser Deutschlehrer Frisch für einen Nestbeschmutzer.

Ich habe die Lektüre gestern nachgeholt. Und ich muss sagen: Das Buch ist brandaktuell. Ich meine: Die städtische Schweiz reibt sich gerade die Augen über den Erfolg der SVP. Über das wuchtige Nein zur Waffeninitiative auf dem Land. Über den Erfolg fremdenfeindlicher Parolen. Viele Städter sind wütend. Und genau dieser Wut gibt Frisch in seinem Text von 1971 eine Stimme.

Frischs Ton oszilliert zwischen leisem Sarkasmus und gerade noch beherrschter Tobsucht, wenn er über die Urschweizer aus dem Mythos schreibt. Er tut es in der Rahmengeschichte aus der Sicht des so genannten fremden Vogtes. Dieser heisst bei ihm nicht Gessler, sondern von Tillendorf (historisch ebenso plausibel). Er ist ein nicht besonders tüchtiger, aber eigentlich ganz sympathischer Kerl. Doch mit den Leuten von Uri kann er gar nicht. Sie sind in seinen Augen unerträglich engstirnig und selbstgerecht. "Sie wussten, wie man Käse macht, und brauchten sich von der Welt nicht belehren zu lassen. Ein Scherz konnte genügen, um es mit ihnen zu verscherzen... Was nicht so war wie schon immer, schien ihnen bedenklich, geradezu des Teufels." (S. 19/20)

In einer seiner ausgedehnten Fussnoten zur Rahmengeschichte schreibt er dann: "Der Glaube an das Althergebrachte, eine Essenz urschweizerischer Denkart, wobei man Neuerungen mehr fürchtet als Rückständigkeit, hat sich bis zum heutigen Tag erhalten." (S. 53)

Frisch dekliniert sämtliche Mythen der konservativen Schweiz durch: Isolationismus, Fremdenfeindlichkeit, Schiessfreudigkeit und beteuert: Es seien ewige Schweizer Werte, dem urschweizerischen Geist leider nicht auszutreiben.

Als hätte er den Text gestern geschrieben.

In den letzten zwei, drei Jahrzehnten sah es so aus, als ziehe sich dieser urschweizer Geist allmählich in die hintersten Täler zurück. Aber die SVP hat ihm flattiert, ihn gefüttert. Jetzt ist er wieder da und bis weit in die Vorstädte herein vorgedrungen. Er ist bedrohlich für alle, die wir im Herzen oder auf dem Papier keine Urschweizer sind. Wir werden lernen müssen, ihm ein Schnippchen zu schlagen. Wir wollen ja nicht enden wie Tillendorf.

* Max Frisch: "Wilhelm Tell für die Schule", Suhrkamp Taschenbuch, 2004.

17
Feb
2011

Hosen kaufen

In den letzten Wochen wurde immer klarer: Ich brauche mindestens zwei Paar neue Hosen. Nur: Wenns um Kleider geht, ist Frau Frogg mit ihren bald 46 Jahren in einem ungeschickten Alter. "Kann man sich mit 46 noch kleiden wie mit 25?" lautet für sie Preisfrage. Bei Frau Frogg kommt verkomplizierend hinzu:

- Sie ist so etwas wie eine öffentliche Person, noch dazu in der Rolle einer netten, älteren Tante.
- Ihr Geldbeutel hat den Teuerungsschub nicht mit vollzogen, den ihre frühere Lieblings-Boutique durchgemacht hat.
- Sie hat Medikamente konsumiert, die auf den Hüften Spuren hinterlassen haben. Und einen ausgezeichneten Koch als Mann.

Mein BMI beträgt zwar lediglich 24,3. Technisch betrachtet bin ich also altersbereinigt mitnichten übergewichtig. Aber im Land der schlanksten Frauen Europas ist frau mit so einem BMI schon eine ziemliche Lawine. Oder meine ich das nur, wenn ich jeweils in den Spiegel schaue?

Also, item: Hosenmässig muss ich im Moment Neues ausprobieren, improvisieren und dabei ein bisschen aufs Portmonee achten.

So erstand ich neulich im Ausverkauf eine Esprit-Jeans. Eine topmodische Hose, glaube ich. Sie hörte oben schon unterhalb des Beckenknochens auf. Sie schliesst sich also nicht über das Becken wie Hosen das früher immer taten. Sondern sie klebt gewissermassen am Hintern. Merkwürdig. Aber ich kann sie tragen, jedenfalls mit einem Gürtel. Behauptete der Spiegel im Laden. Aber ehrlich: Ich traue Spiegeln in Kleiderläden nie ganz.

Naja, ich kaufte das gute Stück. Ich brauchte es.

Getragen habe ich es noch nicht.

Aber heute Morgen sah ich dann diese dunkelbeige Stretch-Jeans in einem lokalen Modehaus. Ich probierte sie an, und ehrlich: Es ist die bequemste Hose, die ich in Jahren getragen habe. Nur: Wenn ich in den Spiegel schaute, sah ich meine Mutter. Und ich meine: nichts gegen meine Mutter. Sie ist eine liebenswürdige Person, und sie hatte eine beneidenswerte Figur, bevor sie in den Fünfzigern in gewissen Hosen einem Fässchen nicht unähnlich wurde. Und, eben, ich sah meine Mutter in den Fünfzigern - mit der falschen Hose. Oder veräppelte mich auch dieser Spiegel?

Ich war ratlos. Aber, Leser, ich kaufte die Hose trotzdem. Ich brauchte sie. Sie war bequem. Zum Glück fand Frau Frogg zu Hause noch ein Oberteil, das diesen Fässchen-Effekt ein wenig kaschiert.

13
Feb
2011

Frühlingsgefühle

Mit Schrecken erinnere ich mich an meine ersten Gehversuche zurück in eine Art gesellschaftliches Leben vor einem Jahr.

Danach war monatelang jeder Ausgang ein denkwürdiges Ereignis.

Monatelang war der Fernseher meine vertrauteste Abendgesellschaft. Ich perfektionierte meine Fernseh-Gewohnheiten. Nie verpasste ich einen guten Spielfilm oder einen interessanten historischen Dokumentarfilm. Ich wurde Dauergast bei Arte und 3sat. Ich hätte es nicht anders gewollt. Ich brauchte Ruhe am Abend. Auch wenn ich es etwas merkwürdig fand, Izzie Stevens allmählich besser zu kennen als die Freundinnen, mit denen ich früher viele Abende verbracht hatte.

Aber seit ein paar Tagen streicht hier die Sonne übers Land. Sie hat einen unerwartet frühen und vielleicht zu vorwitzigen Frühling gebracht. Seither habe ich Lust auf Veränderung. Auf Ausgehen. Ich will wieder unter die Leute.

Vielleicht werde ich auch hier auf dem Blog ein bisschen was ändern. Ich kann doch nicht immer diese himmeltraurigen, alten Geschichten aufwärmen!

12
Feb
2011

Kiffen am Waldrand

Ich bin ja ein grosser Fan der Madeleine-Episode in Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Ich finde es faszinierend, von einem Geruch, einem Bild oder einem Stück Musik in eine andere Zeit versetzt zu werden - und plötzlich Dinge wieder zu wissen, die ich vor 20 oder 30 Jahren vergessen habe. Solche Madeleine-Momente sind auch eine wichtige Inspirationsquelle für diesen Blog.

Aber neulich wurde es mir doch fast zu viel des Guten. Ich war auf einem Spaziergang und kam aus einem Wäldchen. Da erlitt ich plötzlich einen jähen Erinnerungs-Schock. Vor mir sah ich ein einen Obstgarten und in der Ferne einen Bauernhof mit Siloturm.

Sentimental memories

Hier, wusste ich plötzlich, hier habe ich zum ersten Mal gekifft.

Andere Leute brechen über solche Erinnerungen in Gelächter aus. Nicht Frau Frogg. Diese Erinnerung ist nicht eine, die ich gerne besuche. Doch an jenem Nachmittag besuchte sie mich mit ihrer ganzen bitteren Süsse.

Wir waren von der anderen Seite zum Waldrand gekommen. Der Landfreak war aus dem Vorortszug gestiegen und hatte mich über die Wiesen geführt. Es war ein schier unerträglich schöner Frühlingstag. An den Kirschbäumen schäumten die Blüten. Der Landfreak hatte goldene Locken und sehe heute noch das Lederbändchen über seinem Brustbein. Er war so nah und doch nie erreichbar. Ich war verliebt. Ich war 17. Heute ist mir schleierhaft, weshalb ich überhaupt kiffen wollte. Ich war so schon berauscht genug.

Am Waldrand hielten wir an und er drehte einen Joint. Ich habe nie gewusst, weshalb er diesen Platz wählte.

Wir sprachen ja nicht viel. Die Geschichte vom Landfreak und mir ist jene einer aussererordentlich heftig verunglückten Liebesgeschichte in meiner an Liebesgeschichten, weiss Gott, nicht armen Jugend.

Wir trennten uns später im Streit. Er wurde Banker und machte eine steile Karriere. Manchmal sah ich ihn in der Stadt. Wir plauderten freundlich. Aber da war immer dieses Aroma von Missgunst. Vor ein paar Jahren habe ich gesehen, wie er am Fernsehen eine Tragödie schilderte, die eines seiner Kinder getroffen hatte. Hätte er gewusst, dass ich ihn gesehen habe - er hätte es als ultimative Demütigung verstanden.

Ich blickte übers Land und der Schmerz hallte nach. Was hätte ich als 17-Jährige getan, wenn ich gewusst hätte, wie heftig mich das alles noch mit 45 treffen würde?

Wahrscheinlich hätte ich trotzdem mit dem Landfreak gekifft. Ich hätte wissen wollen, was es mit mir machte.

Nun ja, nicht viel. Ich bekam danach nur eine vaterländische Migräne.

Ein andermal werde ich erzählen, wie mir das Kiffen später bekam und weshalb ich einer Legalisierung von Cannabis trotzdem jederzeit zustimmen würde. Ich verspreche, dass ich mich sehr viel kürzer fassen werde als Marcel Proust.
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Journal einer Kussbereiten

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