27
Feb
2011

Tortur im Theater

Herr T. und ich haben in letzter Zeit wieder öfter das Theater besucht. Bühnenkunst statt CSI lautete die Devise.

Uns beide interessieren eher Produktionen aus der freien Szene. Meine neuen Erfahrungen damit waren allerdings ernüchternd. Es scheint, dass Theater dazu da ist, die Lärmverträglichkeit meiner armen Ohren bis zur Grenze zu strapazieren - und meine Fingerfertigkeit im Umgang mit Ohropax zu testen. Das Fazit muss lauten: Zeitgenössisches Theater ist nichts für Meniere-Patientinnen.

Man muss sich einen Theaterbesuch von Frau Frogg so vorstellen: Sobald sie sitzt, stellt sie ihr Hörgerät links ab. Von bitterer Erfahrung gewitztigt, will sie ja nicht, dass vom Hörgerät über Gebühr verstärkte Schallwellen von links auf ihr lärmempfindliches rechtes Ohr treffen. Der Begleiter muss deswegen stets rechts von ihr sitzen, sonst sind kurze Zuflüsterungen gar nicht möglich.

Rechts steckt sie sich stets ein Ohropax. Sie hat gelernt, sich ein Ohropax so einzulegen, dass sie trotz wächsernem Freund im rechten Ohr 100 Prozent hört. Aber sie kann das Stück Wachs in Sekundenbruchteilen so zudrücken, dass es seine volle Wirkung entfaltet - und auf jeder Frequenz 20 Dezibel abdämpft.

Das ist manchmal im Kino nötig. Fast immer aber im Theater. Denn zeitgenössisches Theater mag in der Form sehr frei sein. Doch es hat ein prägendes Schall-Merkmal: Irgendwo im ersten Drittel wird es immer laut, und zwar stets sehr plötzlich. Meistens ist es kein schöner Lärm: Es ist Zuggedonner, es sind elektronisch verstärkte Maschinengeräusche oder es ist einfach elektrisches Feedback. Und immer kommt das Gequietsch gänzlich unerwartet. Zum Finale scheint heutzutage zu gehören, dass man die Zuhörer minutenlang mit Lärm um 90 Dezibel quält. So lange, dass Frau Frogg oft nur noch Sekunden davor steht, die Flucht zu ergreifen. Sie reisst sich dann das Hörgerät aus dem linken Ohr und hält sich mit Schreckensmiene beide Ohren zu. Bei zwei von vier Theaterbesuchen in den letzten beiden Wochen trat dieser Fall ein.

Dann schon lieber CSI als Bühnenkunst, denkt sich Frau Frogg. Da kann man wenigstens selber Lautstärke zurücknehmen. Bis sie am letzten Donnerstag im Zürcher Schauspielhaus Medea sah. Das war phantastisch. In der Sprache erstaunlich modern war die Inszenierung über weite Strecken so still, dass man es hörte, wenn jemand im ausverkauften Haus sich auf seinem Stuhl bewegte.

Medea ist die grosse Tragödie einer Frau, die von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen wird. Ihrer masslosen Wut opfert die Heldin ihre Zukunft, ihre Kinder. Sie wird zur Mörderin. Das war viel besser als CSI, weil es menschliche Tragik verständlich macht. Und uns erschauern lässt vor solcher Masslosigkeit, statt nur vor Gruseln über Leichenteile.

Im Zug nach Hause grinste Herr T. dann: "Ja, aber da ist doch diese Szene, in der ein Bote Medea den Todeskampf der jungen Prinzessin schildert - da dachte ich: Das hätten die CSI-Agenten was zu tun!"



Mehr dazu auch bei Herrn T..

26
Feb
2011

Nachts an der Autobahnauffahrt

Neulich nachts nach dem Theater am Stadtrand. Ich gehe allein zur Busstation. Oder vielmehr: Ich renne, doch der Bus fährt mir vor der Nase weg. Scheisse! Wenn dieser Deppen-Tubel ein echter Chauffeur wäre, dann hätte er mich gesehen! Gut, dann gehe ich zu Fuss! Wäre ja gelacht, wenn ich mir hier an der Kälte 10 Minuten meine hohen Absätze in den Bauch stehen würde! Neben mir braust vierspurig der Verkehr. Ich schicke dem Busfahrer Verwünschungen hinterher, so laut ich kann. Die Wut von Jahren steigt in mir hoch. Wenn sie Flügel verleihen würde, würde ich in die Nachtluft schiessen, drei Kreise über der Autobahnausfahrt ziehen und dann nach einem sauberen Bogen zu Hause landen.

Aber Wut verleiht keine Flügel. Ich gehe schnell. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu brüllen.

Nach zehn Minuten tun mir Hals und Füsse weh. Aber ich möchte immer noch jeden, den ich sehe, mit Blicken töten.

Ich komme zur Autobahnauffahrt. Das ist ein ungastlicher Ort. Zwar stehen hier ein paar Bänke zwischen finsteren Büschen. Doch wenn eine Frau drauf aus ist, nachts um ihr Portmonee oder ihre körperliche Unversehrtheit gebracht zu werden, dann sollte sie es hier versuchen.

Hier sehe ich sie. Sie ist jung und hat langes, blondes Haar. Sie sitzt auf einer Bank und weint. Sie weint zum Steinerweichen.

Sofort vegesse ich, dass ich je wütend gewesen bin. "Kann ich helfen?" frage ich. Ich werfe einen Blick ins Gebüsch hinter ihr und denke an den Geldbeutel in meiner Tasche. Dann werfe ich alle Vorsicht in den Wind und setze mich zu ihr. Sie wirft sich in meine Arme und weint. Es ist das übliche. Der Freund.

Ich bin selber einmal ein verzweifeltes Mädchen gewesen. Manchmal möchte ich heute zu der jungen Frau sprechen, die ich gewesen bin. Ich möchte ihr sagen, dass ich all die zentnerschweren Probleme von damals gelöst habe. Dass ich einen netten Mann habe und Dinge getan, auf die ich stolz bin. Dass es mir gutgeht. Naja, mehr oder weniger. Aber Details müsste die junge Moni Frogg nicht wissen.

Auch die junge Frau nicht, die jetzt neben mir sitzt. Aber ich kann sie spüren lassen, dass die Zeit die meisten Wunden heilt.

Schliesslich richtet sie sich wieder auf. Die Linie zwischen Trost und Zudringlichkeit wird dünn. Sie sagt: "Ich sollte wohl nach Hause." Ich stehe auf und verabschiede mich.

Ich werde sie wahrscheinlich nie wieder sehen.

Später bin ich nicht sicher, ob ich sie gerettet habe oder sie mich.

Blaubart fast zweisprachig

Die zweite Übersetzungsaufgabe meiner Wiener Blogkollegen nehme ich wohl besser auf einen neuen Eintrag. Der Thread des letzten wird mir sonst zu lang.

blauboad 1

i bin a ringlgschbüübsizza
und hob scho sim weiwa daschlong
und eanare gebeina
untan schlofzimabon fagrom..

heit lod i ma r ei di ochte
zu einen libesdraum-
daun schdol i owa s oaschestrion ei
und bek s me n hakal zaum!

so fafoa r e med ole maln
wau ma d easchte en gschdis hod gem-
das s mii amoe darwischn wean
doss wiad kar mendsch darlem!

i bin a ringlgschbüübsizza
(und schlof en da nocht nua bein liacht
wäu i mi waun s so finzta is
fua de dodn weiwa fiacht..)

Blaubart 1
Ich bin ein Ringelspielbesitzer
Und habe schon sieben Weiber erschlagen
Und ihre Gebeine
Unter dem Schlafzimmerboden vergraben

Heute lade ich mir ein die Achte
Zu einem Liebestraum
Dann stell ich auch ein Orchester ein
und schlage sie mit einer Hacke tot (oder so ähnlich).

So verfahre ich mit allen Mädchen
Weil mir die erste ein ... bitte was? ... gegeben hat
Dass sie mich mal erwischen werden,
wird kein Mensch erleben

Ich bin ein Ringspielbesitzer
Und schlafe in der Nacht nur bei Licht
Weil ich mich wenns so finster ist
Vor den toten Weibern fürchte


von H.C. Artmann, Übersetzung Frau Frogg

So schön gruselig! Dank für die Anregung an MadProfessor. Dank auch an katiza für den Link zur Tonversion. Ohne die hätte ich nie rausgesfunden, was ein "ringlgschbüübsizza" ist.

23
Feb
2011

Rätsel für MadProfessor

Herr MadProfessor hat dieser Tage ein gewisses Interesse an der Übersetzung Schweizerdeutscher Texte ins Hochdeutsche gezeigt. Prompt kam Frau Rockhound auf die Idee, ihm gleich die Meisterprüfung in Schweizerdeutsch abzuverlangen: Es bärndütsches Geschichtli (ds Totemüggerli) von Franz Hohler. Weil die Nummer auch ein köstliches Tondokument hergibt, stelle ich sie hier ein:



Hier gibts den Text auch zum Nachlesen.

Sozialstaat wird ausgehöhlt

Folgenden Beitrag habe ich bei Mia kopiert. Ich bin zwar ziemlich sicher, dass die Quote der Ständerätinnen und -räte unter meinen Lesern deutlich gegen Null tendiert. Doch der Beitrag ist nicht nur für Politiker lesenswert. Wir sind hierzulande dabei, die Glaubwürdigkeit unseres Sozialstaats auszuhölen. Man muss kein Politiker sein, um ein Interesse daran zu haben, das zu verhindern.

Sehr geehrter Herr Ständerat …
Sehr geehrte Frau Ständerätin …

In der kommenden Frühjahrssession werden Sie gemeinsam mit Ihren RatskollegInnen die Differenzbereinigung der IV-Revision 6a beraten. Ihre Entscheidungen werden nicht nur Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Invalidenversicherung haben, sondern auch die Schicksale von mehreren zehntausend Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen beeinflussen. Dies scheint in einem Ratssaal voller gesunder und erfolgreicher Menschen offenbar ab und zu etwas vergessen zu gehen.

Mit grosser Besorgnis habe ich zur Kenntnis genommen, dass die SGK-S die umstrittene Schlussbestimmung über «die pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebilder» dem Ständerat zur Annahme empfiehlt. Diese Schlussbestimmung bedeutet eine unhaltbare Diskriminierung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung, da sich die überwiegende Mehrheit der psychischen Störungen nicht auf eine nachweisbare organische Grundlage zurückführen lässt.

Auch Herrn Bundesrat Burkhalters mehrfache Beteuerungen während der Nationalratsdebatte zur IV-Revision 6a, dass schwere psychische Krankheiten selbstverständlich von Überprüfungen ausgenommen würden, vermochten nicht zu überzeugen. Es erscheint doch sehr unglaubwürdig, dass eine Bestimmung im Gesetz verankert werden soll, deren Wortlaut angeblich «nicht wörtlich zu nehmen sei».

Dass mit der Schlussbestimmung gezielt die gesetzliche Grundlage geschaffen werden soll, Menschen mit psychischen Erkrankungen generell von Leistungen der Invalidenversicherung auszuschliessen, ist inakzeptabel. Besonders stossend ist, dass offenbar ganz bewusst die Erkrankungen mit dem niedrigsten Sozialprestige, der höchsten Stigmatisierung und dem geringsten zu erwartenden Widerstand für massive Sparmassnahmen ausgewählt wurden.

Dass der gegenüber Menschen mit unsichtbaren Behinderungen seit Jahren polemisch geäusserte generelle Missbrauchsverdacht nun ohne jegliche Grundlage oder Beweise für dessen Wahrheitsgehalt Eingang in die Gesetzgebung finden soll, kann kaum als seriöse Gesetzesarbeit bezeichnet werden. Zudem wurde die Formulierung übereilt, unter Umgehung der Vernehmlassung und ohne vorherige Abklärung der Folgen eingefügt.

Aus diesen Gründen möchte ich Sie freundlich bitten, die vorgesehene Schlussbestimmung abzulehnen.

21
Feb
2011

Schluss machen

Neulich sass in einem Bus nach jenem Vorort, in dem auch das Café Sarajevo liegt. Das Fahrzeug war fast leer. Hinter mir sassen dem Hören nach zwei Jugendliche. Sagt der eine sehr vernehmlich zum anderen (mit slawischem Akzent): "Hey, wie findsch das: 'Hey, sorry, letschti Ziit isch gsii chli Scheisse. Mier müend Schluss mache. Hed meh mit mier z'tue als mit Dier. Ich ha Angscht zvil Bindig.*" Es klang, als lese er einen selbst verfassten Text von seinem Handy- Display. Er fragte wohl den Kollegen um Rat, ob er das SMS seiner noch-Freundin schicken sollte.

Der andere legte keinen Wert darauf, von den Umsitzenden gehört zu werden. Ich verstand nicht, was er antwortete.

Später sah ich die beiden. Einer der beiden war ein toller Hecht mit umgekehrter Baseball-Mütze auf dem Kopf und einer dicken Kette aus Metallteilen um den Hals. Sein Kollege war kleiner und dicklich. Beide waren keinen Tag älter als 16. Keine Frage, welcher der beiden da SMS vorgelesen hatte.

Wie kommen die Kerle auf solches Zeug?

Als ich ein Teenager war, verkrümelten sich Jungs noch still und verschämt.



*Wie findest Du diesen Text: 'Sorry, letzte Zeit war ein wenig beschissen. Wir müssen Schluss machen. Es hat mehr mit mir zu tun als mit Dir. Ich habe Angst vor zu viel Bindung."

19
Feb
2011

Wilhelm Tell hoch aktuell

Wir haben in den achtziger Jahren am Gymnasium Wilhelm Tell für die Schule von Max Frisch nicht gelesen. Wahrscheinlich hielt unser Deutschlehrer Frisch für einen Nestbeschmutzer.

Ich habe die Lektüre gestern nachgeholt. Und ich muss sagen: Das Buch ist brandaktuell. Ich meine: Die städtische Schweiz reibt sich gerade die Augen über den Erfolg der SVP. Über das wuchtige Nein zur Waffeninitiative auf dem Land. Über den Erfolg fremdenfeindlicher Parolen. Viele Städter sind wütend. Und genau dieser Wut gibt Frisch in seinem Text von 1971 eine Stimme.

Frischs Ton oszilliert zwischen leisem Sarkasmus und gerade noch beherrschter Tobsucht, wenn er über die Urschweizer aus dem Mythos schreibt. Er tut es in der Rahmengeschichte aus der Sicht des so genannten fremden Vogtes. Dieser heisst bei ihm nicht Gessler, sondern von Tillendorf (historisch ebenso plausibel). Er ist ein nicht besonders tüchtiger, aber eigentlich ganz sympathischer Kerl. Doch mit den Leuten von Uri kann er gar nicht. Sie sind in seinen Augen unerträglich engstirnig und selbstgerecht. "Sie wussten, wie man Käse macht, und brauchten sich von der Welt nicht belehren zu lassen. Ein Scherz konnte genügen, um es mit ihnen zu verscherzen... Was nicht so war wie schon immer, schien ihnen bedenklich, geradezu des Teufels." (S. 19/20)

In einer seiner ausgedehnten Fussnoten zur Rahmengeschichte schreibt er dann: "Der Glaube an das Althergebrachte, eine Essenz urschweizerischer Denkart, wobei man Neuerungen mehr fürchtet als Rückständigkeit, hat sich bis zum heutigen Tag erhalten." (S. 53)

Frisch dekliniert sämtliche Mythen der konservativen Schweiz durch: Isolationismus, Fremdenfeindlichkeit, Schiessfreudigkeit und beteuert: Es seien ewige Schweizer Werte, dem urschweizerischen Geist leider nicht auszutreiben.

Als hätte er den Text gestern geschrieben.

In den letzten zwei, drei Jahrzehnten sah es so aus, als ziehe sich dieser urschweizer Geist allmählich in die hintersten Täler zurück. Aber die SVP hat ihm flattiert, ihn gefüttert. Jetzt ist er wieder da und bis weit in die Vorstädte herein vorgedrungen. Er ist bedrohlich für alle, die wir im Herzen oder auf dem Papier keine Urschweizer sind. Wir werden lernen müssen, ihm ein Schnippchen zu schlagen. Wir wollen ja nicht enden wie Tillendorf.

* Max Frisch: "Wilhelm Tell für die Schule", Suhrkamp Taschenbuch, 2004.
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diefrogg - 11. Jan, 15:20
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diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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