27
Jun
2010

Verflixtes Wetter

Zwei Seelen habe ich, ach, in meiner Brust! Als Schweizerin müsste ich schreiben: Kommt unbedingt in die Schweiz in die Ferien! Wir haben die schönsten Landschaften überhaupt und eine phantastisch vielfältige Kultur. Ich würde nicht mal lügen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich dennoch inständig von Ferien in der Schweiz abraten: Das Wetter kann einem hier den letzten Nerv rauben, glaubt mir! Nach zwei Ferien in diesem Land schreibe ich aus bitterer Erfahrung.

Montag, 14. Juni: Vor unserer Abreise ins Engadin esse vor dem Bahnhof der Heimatstadt ein Salätchen. Dafür ist es gerade warm genug.

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Ich betrachte die blauen Flecken am Himmel aber als gutes Omen. Doch ein paar Stunden später fahren wir aus dem Vereinatunnel in ein graues, verhangenes Engadin. Nur zuunterst im Tal phosphoresziert aus einer Senke ein grünlicher Regenbogen. "Dort unten fahren wir hin! Dort ist Schuls und Tarasp!" ruft Herr T. begeistert. Ich rede wieder etwas von guten Omen, doch Herr T. warnt: "Wenn es im Engadin irgendwo schifft, dann sicher in Schuls und Tarasp!" Beim Aussteigen stelle ich fest, dass Scuol auf 1200 Metern über Meer liegt. Ich fröstle. "Eigentlich wollte ich keine Ferien am Polarkreis machen", sage ich.

Schuls im Juni 2010

Dienstag, 15. Juni: Es ist grau und verhangen, aber es schifft nicht. Die Wanderung nach Sent überstehen wir trocken. Dort angekommen, picknicken wir auf einer Bank vor der Kirche. Sie hat kein Vordach. Es nieselt uns sanft auf die belegten Brötchen.

Mittwoch, 16. Juni: Es ist trüb und grau. Zuweilen tröpfelt es. Dennoch erreichen wir auf unserer zweiten Wanderung trockenen Fusses Ardez. Wir betreten dort gerade ein Restaurant, als es so richtig zu schütten beginnt. Glück gehabt.

Donnerstag, 17. Juni: Es ist regnerisch. Wir sind froh, dass es in Scuol ein Thermalbad gibt. Überhaupt wissen wir, dass es anderswo noch viel schlimmer ist: In Frankreich sterben zwei Dutzend Menschen bei einer Überschwemmung.

Freitag, 18. Juni: Schlechtwetter-Programm: Eine Dreiländer-Reise mit dem Bus. Das Kloster Müstair besichtigen wir während eines vergleichsweise hellen Moments.

Kloster Müstair

Glurns und der Reschenpass liegen unter einer düsteren Wolkendecke.

Samstag, 19. Juni: Um 7.15 Uhr erwachen wir unter blauem Himmel. Eilig hüpfen wir aus dem Bett, denn die Wetterprognosen sagen den Beginn eines dramatischen Kälteeinbruchs gegen Mittag voraus. Der Himmel schlirggt tatsächlich schnell zu. Am Mittag in Guarda brauche ich dann doch noch erstmals meine Sonnenbrille: Ein giftiger Wind weht Pollen durch die Gegend, auf die ich mit allergischem Augenbrennen reagiere.

Sonntag, 20. Juni: Die Schneegrenze ist dramatisch gesunken, wie am Morgen ein Blick aus unserem Fenster zeigt. Wieder Thermalbad.

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Montag, 21. Juni: Ein grauer Tag. Wir sind am Ende unseres Lateins. Wir hocken in unserer Ferienwohnung, lesen und schauen aus dem Fenster. Herr T. gibt Sätze von sich wie: "Da geht eine schwarze Katze zur Kirche hinauf. Was das wohl zu bedeuten hat?"

Dienstag, 22. Juni: Mutter Frogg meldet per SMS aus dem Unterland "erste blaue Störungen". Bei uns ist es grau und kalt. Wir fahren mit dem Postauto nach Tschlin, einem hübschen Ort knapp unter die Schneegrenze. Unterwegs sehen wir das Plakat zum Kulturjuni 2010 im Engadin.

Sommer im Engadin, Juni 2010

Mittwoch, 22. Juni: Aber dann... aber dann... Ein strahlend blauer Morgen! Ich blicke aus dem Fenster in die Berge und denke: "Gibt es einen schöneren Anblick als den der Alpen an einem Sommermorgen?"

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Freitag, 24. Juni: Auf der dritten grösseren Wanderung durch phantastische Berglandschaften lerne ich einen weiteren Nachteil langer Schlechtwetterperioden kennen: Ist es einmal schön, muss man die grossen Touren sofort absolvieren. Ich bin schon erschöpft und sage unwirsch zu Herrn T.: "Jetzt habe ich aber genug Engadinger Nadelwälder gesehen, ganz egal ob Arven, Tannen oder Lärchen!"

Sonntag, 26. Juni: Wieder ein strahlender Morgen. Doch wir müssen nach Hause. Als wir auf den Bus warten, sehen wir die neu angekommenen Touristen durchs Dorf streifen und Engadiner Häuser vor blauem Hintergrund fotografieren. Ich werde gelb vor Neid. Noch nie war ich auf einer Heimreise von den Ferien so abgrundtief unglücklich. Wir sind kaum zu Hause, fängt Herr T. an zu arbeiten. Ich finde, mit so einem strahlenden Sommertag müsste man etwas Tolles anfangen. Baden im erst 19 Grad warmen See zum Beispiel. Eine Wanderung. Irgendetwas Tolles. Ich bin richtig gestresst. Ich gehe in die Stadt, setze mich mit einem Eis an den Ausgangspunkt unserer Reise vor dem Bahnhof und zerbreche mir den Kopf. Das Pflaster unter meinem Sommerkleid ist heiss. Da merke ich: Im Kopf habe ich schon zu bloggen begonnen. Sonne hin oder her. Ich weiss, was ich tun muss.

Draussen riecht es nach Grillwürsten. Hier bin ich wieder.

12
Jun
2010

Frau Frogg verreist

Dass Frau Frogg verreist, ist keine Selbstverständlichkeit. Noch an Weihnachten war mir klar: Nie wieder wird sie ihr sicheres Plätzchen fünf Gehminuten von der besten Meniere-Klinik der Schweiz für mehr als sechs Stunden verlassen. Oh, ich habe da noch ein paar Traumreisen. Aber ich war ein gebranntes Kind: Es könnte ja sein, dass ich einen Hörsturz hätte. Was würde ich dann tun in South Carolina, Tokio, Budapest, East London oder Trabzon?

Meine erste Zugreise nach dem Hörsturz im Herbst führte mich für ein paar Stunden ins 70 Zugsminuten entfernte Baden. Das war im März. Die Reise war eine Tortur. Kurz vor Zürich begann mein gutes Ohr zu eiern. Zum Glück war Lena dabei. Sie hat selber die Meniere'sche Krankheit. Sie weiss, wie einem in so einer Lebenslage zumute ist. Und sie hatte einen Müeslistengel dabei, den sie mir freundlicherweise abtrat. Danach fühlte sich mein Ohr besser an.

Das Eyafjallajökull-Grounding im Mai beobachtete ich mit heimlicher Schadenfreude.

Ich setzte Herrn T. darüber in Kenntnis, dass ich diesen Sommer nicht verreisen werde. Unter keinen Umständen. Man kann auch in Balkonien Ferien machen, beschied ich ihm. Vor allem, wenn Balkonien in einer Tourismus-Hochburg der Schweiz liegt.

Doch Herr T. schaltete auf stur. Unsere Sommerferien auswärts sind zehn Jahre lang sakrosankt gewesen. Herr T. muss jeweils ein paar Wochen im Jahr weg von allem. Wer Herrn T.'s Lebensgewohnheiten kennt, hat Verständnis dafür. Zudem waren unsere Reisen unser Kult und und lieferten reichlich Material für zahlreiche Blog-Epen. Hier ein paar Müsterchen:

Sozialismus mit Pinienduft.
Hochzeit auf Türkisch.
Als seine Brücke fertig war, stürzte er sich von ihr in die Tiefe.

Bald war klar: Ein Kompromiss musste her.

Wir entschieden auf Scuol, zu deutsch Schuls, im Engadin. Das ist weg, aber nicht zu weit. Es liegt im Süden, aber nicht zu sehr.

Meine Ferien haben heute begonnen. Mit einem kleinen Umweg bei Freunden sind wir am Montag dort.

Heute eiert mein gutes Ohr. Aber ich nehme meine Kräfte zusammen. Das muss jetzt gehen. Ich melde mich hiermit für drei Wochen ab.

9
Jun
2010

Schweizer Song wieder entdeckt

Ich habe seit meiner Jugend nicht gesungen. Ich war ja immer der Meinung: Singen und Gitarre spielen überlässt man besser jenen, die es richtig gut können. Musik braucht schliesslich ein Publikum. Da gehöre ich hin, wenn es um Musik geht. Zum Publikum.

Aber gestern Abend holte Veronika ihre Gitarrre, und wir sangen mit den Kindern. Das hat Spass gemacht. Jetzt finde ich, mit Kindern solte man singen. Unbedingt.

Ich stellte fest, dass sich das Liedgut der Schweizer Jugend in den letzten Jahren nur leicht verändert hat: So haben ein paar Abba-Songs haben ihren Weg in den Kanon gefunden. Fest zum Repertoire gehört dagegen immer noch "Ramseyers wei go grase"* Zum Glück! Zwar verstand ich den Text (hier ist er) schon als Kind nicht recht. Schliesslich war ich ein Stadtkind und hatte keine Ahnung vom Grasen. Was etwa bedeutet: "Der Ältischt geit a d'Schtange"? Keine Ahnung. Macht nichts. Man versteht als Kind, dass der älteste Bub einen Fehler macht und den Grossvater in Rage versetzt. Er hängt den Kindern einen Schlötterling** an, und diese wehren sich gemeinsam. Oder so ähnlich.

Der Song hat eine typische Schweizer Emotion auf wunderbar fröhliche Weise konserviert: Ärger. Man kann richtig Gas geben beim Singen und furchtbar böse dreinschauen.

Deshalb eignet er sich auch gut für Rock- und Hiphop-Neu-Interpretationen, wie ich bei meiner kleine Youtube-Recherche festgestellt habe.



Das hat offenbar auch eine bekannte Schweizer Apfelsaft-Firma gemerkt.

Demnächst werde ich meine fast vergessene Gitarre bei meinen Eltern holen.

* "Ramseyers wollen Heu ernten gehen"
** Beschimpfung

6
Jun
2010

Haarige Tatsachen

Schon ewig will ich über das Thema schreiben. Aber es ist ein Tabuthema, und nicht zuletzt deshalb zögerte ich. Doch vor zwei Tagen machte das Wetter einen ziemlich abrupten Garderobenwechsel nötig. Noch der Donnerstag sah Frau Frogg in ihrem Februar-Schal. Gestern dann schien endlich richtig die Sonne, und die Frauen der Schweiz führten auf breiter Front neue T-Shirts und entblösste, frisch lackierte Zehennägel spazieren.

Frau Frogg hatte keine Zeit, ihre Zehennägel zu lackieren, denn die Sonne brachte es an den Tag: Sie hatte es versäumt, sich um die Haarpracht an ihren Beinen zu kümmern.

Ihr müsst wissen: Als Desmond Morris seinen Bestseller Der nackte Affe über menschliche Verhaltensbiologie schrieb, dachte er dabei nicht an Frau Frogg. Frau Frogg ist nicht nackt: Sie ist - wenn im Naturzustand belassen - an Armen und Beinen mit mit wuchernden, schwarzen Haaren bekleidet. Ihr Bikinibereich reicht ungefähr bis zu den Knien. Auch im Gesicht ist sie für ein weibliches Wesen ausserordentlich stark behaart: Frau Froggs Augenbrauen etwa arbeiten schläfenseitig fleissig an einer Brücke zum Haaransatz. Nur der Teufel weiss, für wen oder was.

Einmal hatte ich einen ebenso dunkel und dicht behaarten Liebhaber. Er wollte unbedingt ein Kind von mir. Manchmal stellte ich mir voller Zärtlichkeit vor, wie ein Erzeugnis unserer Liebe ausgesehen hätte. Ein Pelzäffchen wahrscheinlich, von oben bis unten bedeckt mit einem zarten, schwarzen Flaum.

Doch das war einmal. Frau Frogg ist älter geworden. Inzwischen führt sie einen täglichen, verschwiegenen Kampf gegen einen Damen-Kinnbart. Neuerdings spriessen ihr sogar Haare im Winkel zwischen dem Kiefer und Hals. Sie sind schwarz - derweil jene auf ihrem Kopf allmählich ergrauen.

"Stimmt es, dass Frauen ab 45 auch weniger Kopfhaare haben?" fragte ich meine neue Coiffeuse. Ich hatte das in der Werbung gelesen. Meine Coiffeuse warf einen vielsagend Blick auf die frisch abgeschnittenen Haufen neben meinem Stuhl und sagte: "Darüber wirst Du Dir wohl nie Sorgen zu machen brauchen!"

An all das dachte ich, als ich am Freitagabend die Haare von meinen Beinen graste.

Danach konnte ich es endlich wagen, mein Sommerröckchen anzuziehen. Ich sähe darin noch ganz ansehnlich aus, behautet Herr T. Auf der Strasse fühlte ich mich etwas weissbeinig, etwas nackt - aber plötzlich doch wieder erstaunlich jung.

Nur der Sommerhit, den ich auf meinem MP3-Player wählte, fühlt sich irgendwie letztjährig an.



Aber der Sommer dauert - hoffentlich - noch eine Weile und wird Neuigkeiten bringen.

2
Jun
2010

Plötzlich blind

Gestern um 15.10. Ich arbeitete am Computer im Büro. Plötzlich tanzt ein gelbschwarzer Punkt vor dem Namen, den ich gerade schreibe. Ich kann ihn nicht mehr lesen. Ich schaue auf eine andere Stelle des Bildschirms. Der gelbschwarze Punkt hüpft mit und versperrt mir wieder den Blick. Er wird grösser und gelbviolett. Psychedelische schwarze Spiralen wirbeln über den Rand meines Gesichtsfeldes.

So etwas ist mir noch nie passiert.

Es wird schlimmer.

Verdammt. Ich fürchte doch täglich und nicht ganz unrealistischerweise, taub zu werden. Blindheit käme mir wirklich äusserst ungelegen!

Ich erschrecke nicht. Ich verspüre keine Panik. Ich tue, was ich tat, als ich letzten Herbst eines Morgens aufwachte und Herrn T. neben mir nicht mehr verstand. Ich reagiere wie ich in brenzligen Situationen zu reagieren pflegte, als ich noch Auto fuhr: Ich schalte meinen Verstand auf volle Lautstärke und handle.

Ich nehme einen Apfel und suche den Weg nach draussen. Eine Pause wird mir guttun, vermute ich. Hinter unserer Bude haben wir einen grossen Parkplatz mit Blick ins Grüne. Dort ist auch die Raucherecke. Die Raucher machen merkwürdige Sprüche, wenn ich mich jeweils mit einem Apfel zu ihnen setze. Aber das ist jetzt egal. Ich brauche frische Luft und Gesellschaft

Ich blicke in die Bäume und quatsche mit meinem Kollegen, dem Mechaniker.

Allmählich wird das Grün drüben wieder lückenlos. Ich schildere dem Mechaniker, was mir eben passiert ist. Er ist eigentlich nicht Mechaniker, sondern grafischer Gestalter. Warum ich ihn den Mechaniker nenne, erzähle ich Euch ein andermal... vielleicht. Jedenfalls kennt er lange Präsenzzeiten am Bildschirm. "Ach, das Phänomen kenne ich!" sagt er, "Da erschrickt man ganz schön! Aber das ist nicht schlimm! Es reicht, wenn Du ein bisschen nach draussen gehst und in die Weite guckst, glaub mir!"

Ich ernenne den Mechaniker unverzüglich zu meinem neuen Lieblingskollegen.

Er behält recht. Nach zehn Minuten tanzen mir noch ein paar Schleifen am Augenrand. Dann ist der Spuk vorbei. Ich arbeite weiter.

Erst abends wird mir bei der Erinnerung an die Szene mulmig. Ich googelte - recht zögerlich, ich wollte meine Augen schonen - "flimmern vor den Augen". Keine gute Idee. Google sollte einen Warnhinweis aufschalten: "Krankheiten googlen kann ihre Gemütsruhe gefährden und panische Ängste verursachen." Heute früh ging ich erst mal in die Apotheke und zog Erkundigung über dieses merkwürdige Malheur ein. Man riet mir, mir keine Sorgen zu machen. Aber ich solle mich doch gelegentlich beim Augenarzt anmelden.

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Journal einer Kussbereiten

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