2
Jun
2010

Plötzlich blind

Gestern um 15.10. Ich arbeitete am Computer im Büro. Plötzlich tanzt ein gelbschwarzer Punkt vor dem Namen, den ich gerade schreibe. Ich kann ihn nicht mehr lesen. Ich schaue auf eine andere Stelle des Bildschirms. Der gelbschwarze Punkt hüpft mit und versperrt mir wieder den Blick. Er wird grösser und gelbviolett. Psychedelische schwarze Spiralen wirbeln über den Rand meines Gesichtsfeldes.

So etwas ist mir noch nie passiert.

Es wird schlimmer.

Verdammt. Ich fürchte doch täglich und nicht ganz unrealistischerweise, taub zu werden. Blindheit käme mir wirklich äusserst ungelegen!

Ich erschrecke nicht. Ich verspüre keine Panik. Ich tue, was ich tat, als ich letzten Herbst eines Morgens aufwachte und Herrn T. neben mir nicht mehr verstand. Ich reagiere wie ich in brenzligen Situationen zu reagieren pflegte, als ich noch Auto fuhr: Ich schalte meinen Verstand auf volle Lautstärke und handle.

Ich nehme einen Apfel und suche den Weg nach draussen. Eine Pause wird mir guttun, vermute ich. Hinter unserer Bude haben wir einen grossen Parkplatz mit Blick ins Grüne. Dort ist auch die Raucherecke. Die Raucher machen merkwürdige Sprüche, wenn ich mich jeweils mit einem Apfel zu ihnen setze. Aber das ist jetzt egal. Ich brauche frische Luft und Gesellschaft

Ich blicke in die Bäume und quatsche mit meinem Kollegen, dem Mechaniker.

Allmählich wird das Grün drüben wieder lückenlos. Ich schildere dem Mechaniker, was mir eben passiert ist. Er ist eigentlich nicht Mechaniker, sondern grafischer Gestalter. Warum ich ihn den Mechaniker nenne, erzähle ich Euch ein andermal... vielleicht. Jedenfalls kennt er lange Präsenzzeiten am Bildschirm. "Ach, das Phänomen kenne ich!" sagt er, "Da erschrickt man ganz schön! Aber das ist nicht schlimm! Es reicht, wenn Du ein bisschen nach draussen gehst und in die Weite guckst, glaub mir!"

Ich ernenne den Mechaniker unverzüglich zu meinem neuen Lieblingskollegen.

Er behält recht. Nach zehn Minuten tanzen mir noch ein paar Schleifen am Augenrand. Dann ist der Spuk vorbei. Ich arbeite weiter.

Erst abends wird mir bei der Erinnerung an die Szene mulmig. Ich googelte - recht zögerlich, ich wollte meine Augen schonen - "flimmern vor den Augen". Keine gute Idee. Google sollte einen Warnhinweis aufschalten: "Krankheiten googlen kann ihre Gemütsruhe gefährden und panische Ängste verursachen." Heute früh ging ich erst mal in die Apotheke und zog Erkundigung über dieses merkwürdige Malheur ein. Man riet mir, mir keine Sorgen zu machen. Aber ich solle mich doch gelegentlich beim Augenarzt anmelden.

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Not quite like Beethoven - 2. Jun, 18:25

Ich mache das zwar auch nicht immer aber -- man soll ja bei Computerarbeit alle Stunde 5-10 Minuten Pause machen und die Augen schweifen lassen. Viele Grüße!

diefrogg - 2. Jun, 18:52

Ja, das...

werde ich mir merken! Ich bin, was meine Augen betrifft, immer sehr nachlässig gewesen. Habe immer auf meine Ohren aufgepasst und mein Augenlicht als Selbstverständlichkeit betrachtet. Das kommt davon!
walküre - 2. Jun, 22:33

Was bei Ihnen die Ohren, sind bei mir die Augen - nur nebenbei bemerkt.
Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen aber sagen, dass solche Phänomene einerseits durch Übermüdung verursacht werden (der Herr Mechaniker hat völlig recht), andererseits auch durch manche Lichtquellen; mir ist unlängst passiert, dass ich unabsichtlich in eine Halogenlampe geschaut habe und danach plötzlich nicht mehr lesen konnte, weil ich in der Mitte meines Sichtfeldes nur mehr eine Art pulsierenden Stern hatte (auch Autoscheinwerfer neuerer Modelle können diesen Effekt hervorrufen). Ihren Schreck kann ich jedenfalls gut nachvollziehen ...

punctum - 2. Jun, 22:48

Den Schreck kann ich gut verstehen - zumal Sie ja außerdem sicher besonders sensibilisiert sind durch den bereits erlebten Schock des Gehörverlustes. Das fehlte noch, dass dann noch etwas hinzukommt! Schön, dass es schnell wieder besser wurde. (Ich nehm es mal auch für mich als Mahnung, wirklich ab und an mal eine Bildschirmpause einzulegen!)

Kätzerin - 5. Jun, 03:39

Kaleidoskopische Sehstörungen...

beeinträchtigten vor ein paar Jahren mein Blickfeld. Bei welchen Tätigkeiten genau kann ich nimmer sagen, aber mindestens einmal auch vorm Bildschirm. Diesen medizinischen Begriff dafür hab ich mir selbst erdacht, es zogen lichterne Farbenspiele wie die Spiegelungen von Kristallprismen vor mir auf und allmählich auch wieder ab. Kein Arzt konnte mir was hierzu sagen, und selbst im Google fand sich kein brauchbarer Hinweis. Erst als ich wegen eines kleinen Unfalls zur Augenärztin mußte, erklärte diese mir, Menschen die stark erschöpft sind, würden davon heimgesucht. Zwar leide ich nach wie vor am Chronischen Erschöpfungssyndrom, doch es stimmt, damals mußte ich noch weitaus mehr Verpflichtungen gerecht werden, als heute. Außerdem greife ich seit Jahren alles an natürlichen Therapiemöglichkeiten auf, was ich aufschnappen kann und mich über Wasser hält und halte mich disziplinert daran wie an einem Rettungsanker fest. Es treten dennoch leider zusehends neue besorgniserregende "Baustellen" hinzu, Du weißt vielleicht noch, ich nenne das mein unverrückbares Schicksal, und ich wünsche für uns alle, daß sich meine überaus positive Prophezeiung vom nahenden, größten Wunder aller Zeiten, alsbald erfüllen wird. Bis dahin müssen wir möglichst unverdrossen weiterkämpfen und zwischendurch nicht vergessen, immer wieder mal wieder tief durchzuatmen.

diefrogg - 6. Jun, 14:35

Ja, Erschöpfung...

ist (oder war) in diesem Zusammenhang tatsächlich ein Thema. Ich arbeite zwar so wenig wie noch nie. Aber in den letzten Wochen hatte ich einen Husten, der mir nicht nur die Stimmbänder und Bronchien zukleisterte, sondern manchmal auch die Gehirnwindungen - schien mir jedenfalls. Mein Blutdruck sank zuweilen so tief, dass ich kaum noch denken konnte. Und am Abend hätte ich jeweils nichts lieber getan, als mich auf dem Sofa einzukugeln. Aber seit heute klingt meine Stimme wieder normal. Jetzt hoffe ich, dass ich die Sache in den Griff bekomme.
Wüstenfuchs - 6. Jun, 18:21

Das was Sie "kaleidoskopisch" nennen, kann ich mit einem Phänomen verbinden, dass mich so ein bis zwei Mal im Jahr heimsucht. Aus dem Nichts heraus fängt ein Teil meines Gesichtsfeldes (meist einseitig) in einem durch Prismen zerlegte Struktur zu zerfliessen. Lesen ist dann unmöglich. Was ich so zusammentragen konnte, könnte es sich dabei auch um eine sogenannte "Aura" handeln, also Vorboten für Migräneanfälle. Und das interessante ist, dass es diese Auren gibt OHNE Migräneanfälle (Oliver Sachs hat darüber ein interessantes Buch geschrieben). Bei mir braucht es vieleicht 20 Minuten oder etwas länger, dann verschwindet das Prisma wieder und alles ist wie zuvor. Nur ein einziges Mal habe ich danach eine Migräne gehabt. Alle anderen Male war alles wie vorher.
diefrogg - 6. Jun, 18:34

Huch, wie unheimlich!

Ja, das mit der "Aura" habe ich auch gelesen beim Googeln. Ich glaube allerdings nicht, dass das Ganze irgendwie mit Migräne zu tun hatte. Ich habe zum Glück selten Kopfschmerzen, geschweige denn Migränen!
Kätzerin - 8. Jun, 01:39

Haut hin,...

was Wüstenfuchs da beschreibt, jedenfalls größtenteils. Gott sei Dank, zu jener Zeit hatte ich's eher selten Kopfschmerzen zu tun, dafür gegenwärtig mehr, meine Nebenhöhlen halt und so fort... Gute Besserung an alle noch, ich bedanke mich recht schön. :-)
steppenhund - 5. Jun, 10:21

Flimmern tritt selten aber immer wieder einmal auf. Ich nehme es als Warnzeichen. Es ist auch stressabhängig, scheint es mir. Lässt sich aber mit den beschriebenen Mitteln leicht bekämpfen. 5 Minuten die Augen zumachen hilft auch.
Ich habe früher die Rauchpausen meiner Kollegen nicht sonderlich geschätzt (Sie mussten dazu auf den Gang), bis mir eingefallen ist, dass sie sowieso jede Stunde eine Augenschonungspause benötigten.
Das nennt man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen:)

diefrogg - 6. Jun, 14:45

Genau.

Deshalb habe ich meine Apfelpausen eingeführt. Aber es ist einfach nicht dasselbe ;)
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