22
Mai
2010

Der erste und der letzte

Das Gehör

Aus: "unerhört" pro audito Schweiz, Schulverlag plus AG, pro audito, Bern, Schutzumschlag

18
Mai
2010

Seltsame Begegnungen

Neuerdings gehe ich häufig nach der Arbeit in der Stadt einkaufen. Danach sitze ich an der Bushaltestelle, warte auf meinen Bus und lese den "Blick am Abend": Neulich begegnete mir darin das Bild von Reda el Arbi. El Arbi ist gerade in Thailand. Das wusste ich natürlich, denn ich lese auch seinen Blog, ohne dort allerdings häufig zu kommentieren oder so. Ich glaube nicht, dass er meinen Blog liest. Aber als ich das Bildchen von Reda im "Blick am Abend" sah, hatte ich richtig Freude, einen alten Bekannten zu entdecken. Ich hätte ihm am Abend schier einen Kommentar geschrieben. "Redder, ich habe Dich im 'Blick am Abend" gesehen!" wollte ich schreiben. Aber ich liess es bleiben.

Denn er hätte das blöd gefunden. Ich finde es auch blöd, wenn irgendwelche Halbbekannten mir im Bus erzählen, dass sie mein Bild in der Zeitung gesehen haben. Jeder kann mein Bild in der Zeitung sehen. Da ist nichts dabei.

Die Begebenheit gehört zu jenen seltsamen Begegnungen, die man im Medienzeitalter täglich hat und die eigentlich gar keine sind.

Ebenfalls seltsame Begegnungen habe ich mit Izzie Stevens.



Für alle, die es nicht wissen: Izzie Stevens existiert gar nicht. Sie ist eine der Ärztinnen in der Ärzteserie "Grey's Anatomy", die am Montag bei uns auf SF2 läuft. Das heisst: Sie ist dort nicht einmal mehr Ärztin, sondern unlängst vom Klinik-Chef gefeuert worden. Zuvor war sie sogar an Krebs gestorben (wurde dann aber im letzten Moment gerettet. Das erfuhr die Zuschauerin jedoch erst einen Montag später). Seither taucht sie nur noch sporadisch auf. Wie ein Gespenst.

Als Izzie starb, hatte ich gerade mein Gehör wiedererlangt und telefonierte mit einer Freundin (nur, damit Ihr nicht glaubt, jemand der solche Geschichten erzählt, hätte keine Freunde). Aber ich sah aus dem Augenwinkel, dass Izzie starb.

Ich war richtig traurig.

Seither warte ich jeden Montag darauf, dass sie wieder auftaucht. Was sie aber fast nie tut. Izzie ist ein Gespenst geworden, für mich und für die Serie.

Aber es gibt da auch ein beinahe gegenteiliges Phänomen.

Seit ich taub war, habe ich viel mehr Mail-Kontakte als früher. Zuvor hatte ich immer geglaubt, die Schrift sei eine sachliche Angelegenheit. Geschriebene Worte bestünden aus Buchstaben, und Buchstaben könnten keine Gefühle transportieren. Dachte ich. Ich fand Briefe deshalb immer ziemlich langweilig. Aber jetzt bekomme ich manchmal Nachrichten, in denen ich Momente grosser Freundschaft verspüre. Funken des Verständnisses. Momente von Nähe, ja von einer Innigkeit, die zu kommunizieren ich per E-Mail für unmöglich gehalten hatte. Sogar gegenüber Personen, die ich nur durch E-Mails kenne, mit denen ich noch nie oder schon viele Jahre nicht mehr gesprochen habe.

Und ich glaube nicht, dass ich mir das einbilde.

17
Mai
2010

Stilles Jahrzehnt

Um 2000 begann für mich ein stilles Jahrzehnt. 2002 kaufte ich meine letzte CD für eine sehr lange Zeit. Es war Human Conditions von Richard Ashcroft und ich liebte sie. Aber Musik hatte einfach keinen Platz mehr in meinem Leben. Ich wurde ein Newsjunky. Newsjunkies hörten in diesem Land bis vor kurzem meist Radio DRS1. Das ist ein guter Nachrichtensender. Aber über das Musikprogramm von DRS1 kann ich nicht viel Gutes erzählen. Eines Tages im Jahr 2008 hörte ich dort diesen Song.



Neben der so genannten Musik, die man sonst auf DRS1 anhört, fühlte es sich an wie eine frische Brise. Wie ein Hauch von Revolution. Ihr könnt Euch vorstellen, wie der Rest ist.

Ich genoss die Stille, wenn es gerade keine News zu hören gab. Ich genoss surrende Kühlschränke und Abwaschmaschinen. Kein Witz. Das sind Geräusche von unschätzbarem Wert.

Und sonst hatte ich meine Arbeit. Und ausserdem immer mehr Probleme mit dem linken Ohr. Manchmal sagte ich mir: Ich kann sowieso kaum noch stereo hören. Warum sollte ich da noch Musik hören?

Um Weihnachten 2006 hatte ich erstmals Schwierigkeiten mit meinem rechten Ohr. Ich ahnte, dass ich möglicherweise nicht mehr sehr viel Zeit hatte. Dass ich mich wohl besser sputete mit Musikhören. "Das Leben ist zu kurz, um schlechte Musik zu hören", sagte ich mir.

Aber ich merkte, dass ich den Anschluss ans Musikgeschehen verloren hatte.

Es ging es noch zwei Jahre, bis ich mir wieder eine neue CD kaufte. Es war die hier.



Es war Liebe beim ersten Hinhören, und es ist eine tolle CD. Aber vielleicht nicht gerade ein musikalischer Jungbrunnen.

Dennoch: Als ich letzten Herbst mein Gehör verlor, war ich froh um den Vorrat an neuen Songs, die ich in Gedanken hören konnte. Der Tinnitus auf meinem rechten Ohr klang wochenlang genau wie die Slide-Gitarre auf diesem Song.



Und in meinem Kopf spielten immer wieder die Zeilen:
"Somebody said they saw me,
swinging the world by the tail,
bouncing over the white cloud,
killing the blues."

Jetzt bin ich hungrig auf etwas ganz Neues.

13
Mai
2010

Wunder am Strassenrand

Neulich war ich an einem öffentlichen Interview mit Dani Levy (hier der Anlass, ein gut eingefädeltes Projekt übrigens). Der Filmemacher hat sich von 25 Jahren Erfolg nicht zu einem aalglatten Kommunikations-Profi zurechtschniegeln lassen. Er ist mal erfrischend, mal geschwätzig, beim Antworten nicht immer auf der Höhe der Frage, aber das macht nichts. Man mag ihn trotzdem. Und er hat mich an eine seltsame Geschichte erinnert.

Es muss Anfang 1987 gewesen sein, und Levys Erstling "Du mich auch" lief im Kino. Ein schräger, anarchischer Schwarzweissfilm über ein verrücktes Paar.



Der Film für Konrad und mich. Wir waren frisch verliebt, gerade dabei, einander richtig kennen zu lernen. Jeder Tag brachte neue Wunder. Der Film lief in einem kleinen Kino in einem abends ausgestorbenen Stadtrandquartier. Auf dem Weg dorthin kamen wir an einer Konditorei vorbei. Sie war geschlossen, es war dunkel. Aber neben dem Laden gab es einen Kasten mit kleinen Glasfenstern. Wer eine Münze in den Kasten warf, konnte eines der Fenster öffnen und einen Artikel herausnehmen. Aber der Automat war leer, bis auf ein einziges Kästchen. Darin stand, hell erleuchtet, ein einziges Diplomat.



Das Ganze sah wunderbar aus, noch viel schönes als das auf dem Bild. Fast sublim, eine kleine Lourdes-Grotte der Vanille-Göttin in einer kalten Vorfrühlingsnacht.

Sollten wir es mit einer Münze aus seinem Kasten holen? Nein, das kam gar nicht in Frage. Es schien unmöglich, so einen zauberhaften Anblick zunichte zu machen.

Wir gingen ins Kino. Wir liebten "Du mich auch". Als wir herauskamen, waren wir glückstrunken.

Noch einmal gingen wir zur Konditorei mit dem Diplomat-Wunder. Wir wollten es nochmals sehen. Aber es war nicht mehr da. Jemand hatte die Scheibe zerschlagen und den Becher durch das Loch herausgeholt. Es hatte eine Riesensauerei gegeben. Das Fenster war innen von Vanillecreme ganz verschmiert.

Wir wussten erst nicht. Sollten wir kreischen vor Lachen oder betreten schweigen.

Dann schlichen wir still von dannen.

12
Mai
2010

In der Warteschlaufe

Ich habe einen Auftrag für eine kleine Reportage abgelehnt, die ich früher mit Handkuss gemacht hätte. Mit Begeisterung und ohne Rücksicht auf Überstunden. Ich hätte wieder einmal etwas Gutes schreiben können. Aber ich sah keinen wirklichen Gewinn darin, fürchtete den extra Stress.

Ich habe eine kleine Geschäftsidee. Damit ich ein wenig Geld verdienen könnte, falls ich mein Pensum reduzieren müsste. Aber ich hänge fest. Bevor ich weitermache, müsste ich mit jemandem reden können. Idealerweise mit Herrn T. Doch Herr T. ist geschäftlich unterwegs.

"Lass Dich nicht gehen", sagt ein Kumpel zu mir, "Häng nicht herum. Wenn Leute zu viel herumhängen, dann bauen sie ab."

Ich will nie mehr malochen wie damals vor fünf Jahren.

Ich warte auf den Termin mit dem Oberarzt. Nach dem Treffen mit dem Assistenzarzt Schnösel bin ich immer noch verunsichert. Vielleicht wird der Oberarzt mir einen Fingerzeig geben, wie es weitergehen soll. Ich erwarte nicht, dass er mir Entscheidungen abnimmt. Aber ich kann nicht mit meinem Chef sprechen, bevor ich mit dem Oberarzt gesprochen habe. Ich muss noch zwei Wochen warten.

Ich höre Musik, als würde es morgen verboten. Naja, vielleicht kann ich es morgen nicht mehr. Ich könnte dümmeres tun.

Eine leise Stimme sagt zu mir: "Geh keine Risiken ein! Wir Froggs gehen keine Risiken ein. Wir bleiben konventionell. Mittelständisch. Das Leben ist gefährlich genug, ohne dass man sich auf Abenteuer einlässt." Ich weiss nicht, ob ich auf sie hören soll.

Ich weiss nicht, ob das alles gut oder schlecht ist.

Ich wasche Wäsche. Ich koche. Ich blogge.

Der Soundtrack dazu heisst "Bad".



Ein wunderschöner Song.
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