13
Mai
2010

Wunder am Strassenrand

Neulich war ich an einem öffentlichen Interview mit Dani Levy (hier der Anlass, ein gut eingefädeltes Projekt übrigens). Der Filmemacher hat sich von 25 Jahren Erfolg nicht zu einem aalglatten Kommunikations-Profi zurechtschniegeln lassen. Er ist mal erfrischend, mal geschwätzig, beim Antworten nicht immer auf der Höhe der Frage, aber das macht nichts. Man mag ihn trotzdem. Und er hat mich an eine seltsame Geschichte erinnert.

Es muss Anfang 1987 gewesen sein, und Levys Erstling "Du mich auch" lief im Kino. Ein schräger, anarchischer Schwarzweissfilm über ein verrücktes Paar.



Der Film für Konrad und mich. Wir waren frisch verliebt, gerade dabei, einander richtig kennen zu lernen. Jeder Tag brachte neue Wunder. Der Film lief in einem kleinen Kino in einem abends ausgestorbenen Stadtrandquartier. Auf dem Weg dorthin kamen wir an einer Konditorei vorbei. Sie war geschlossen, es war dunkel. Aber neben dem Laden gab es einen Kasten mit kleinen Glasfenstern. Wer eine Münze in den Kasten warf, konnte eines der Fenster öffnen und einen Artikel herausnehmen. Aber der Automat war leer, bis auf ein einziges Kästchen. Darin stand, hell erleuchtet, ein einziges Diplomat.



Das Ganze sah wunderbar aus, noch viel schönes als das auf dem Bild. Fast sublim, eine kleine Lourdes-Grotte der Vanille-Göttin in einer kalten Vorfrühlingsnacht.

Sollten wir es mit einer Münze aus seinem Kasten holen? Nein, das kam gar nicht in Frage. Es schien unmöglich, so einen zauberhaften Anblick zunichte zu machen.

Wir gingen ins Kino. Wir liebten "Du mich auch". Als wir herauskamen, waren wir glückstrunken.

Noch einmal gingen wir zur Konditorei mit dem Diplomat-Wunder. Wir wollten es nochmals sehen. Aber es war nicht mehr da. Jemand hatte die Scheibe zerschlagen und den Becher durch das Loch herausgeholt. Es hatte eine Riesensauerei gegeben. Das Fenster war innen von Vanillecreme ganz verschmiert.

Wir wussten erst nicht. Sollten wir kreischen vor Lachen oder betreten schweigen.

Dann schlichen wir still von dannen.

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Not quite like Beethoven - 14. Mai, 17:52

Sehr schöne Geschichte. Dankeschön!

diefrogg - 14. Mai, 18:23

Oh, es freut mich,...

hier wieder mal einen Erstkommentar von Ihnen zu lesen! Gern geschehen!
nömix - 14. Mai, 18:05

Niemand wird je erfahren, was den Automaten-Zerstörer in jener Nacht umtrieb – ob bloßes Begehren das Motiv für seine unfromme Vandalentat war, oder gar die Unerträglichkeit eines Anblickes vollkommener Unberührtheit.

diefrogg - 14. Mai, 18:27

Für mich kommt...

eigentlich nur letzteres in Frage. Aber Sie haben Recht: Letztlich bleibt das Glaubenssache ;)
jueb - 15. Mai, 09:14

Schon wieder...
Frau Frogg, bin ich ganz bei Ihnen, und bei Dani Levy, wie er noch mit Maria Schrader zusammen war, mein Gott!, das schönste Paar in der deutschsprachigen Filmwelt und dann vor allem das hier: http://www.x-filme.de/html/meschugge.html
was habe ich gelitten, damals, weil diese filmische Perle bei Publikum und Kritik gleichermaßen durchfiel (JEDER, DER DAS LIEST: BITTE MESCHUGGE ANSCHAUEN) - aber eine Frage habe ich noch, Frau Frogg, zu ihrer Geschichte, die auch mein Herz anrührt (wie derzeit die ersten Staffeln von "Six feet under") - was bitteschön ist ein Diplomat??

diefrogg - 15. Mai, 11:31

Es mag merkwürdig...

klingen nach diesem selbstbewussten Eintrag gestern - aber dieselbe Frage habe ich mir heute Morgen beim Aufstehen gestellt. Also, ein Diplomat (sächlich) ist das Ding, das man auf dem Bild sieht. Hier eine relativ dünne Erläuterung vom Fachmann. Demnach besteht ein Diplomat aus nichts als Vanillecreme mit Ananasstückchen (oder Schokoladecreme), einem Sahnehäubchen und etwas Dekoration. Am leichtesten erkennbar ist es für den Laien am gefältelten Papierbehälter, in den es gegossen ist. Typischerweise ist die Creme (heisst auf Deutsch wohl Sosse), aus der es besteht, richtig dick, damit sie nicht ausfliesst. Laut Betty Bossi ist das Diplomat mit der Götterspeise verwandt. Wobei, auch das muss erläutert werden: Betty Bossi ist keine Person, sondern eine Institution. Diejeinge Institution, ohne die es die Schweizer Küche gar nicht gäbe. Hier mein ultimativer Eintrag über Betty Bossi.

Wenn ich mich richtig erinnere (ich habe seit Jahren kein Diplomat mehr gegessen), haben manche einen hellen Biscuit-Boden (wobei: Was das auf Deutsch heisst, muss jetzt jemand anders erklären.
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