11
Apr
2010

Kaputter Sozialstaat

Dies ist die Geschichte der Kellnerin Verena. Sie ist eine fiktive Figur, aber ihre Geschichte ist zusammengestückelt aus vielen einzelnen Geschichten, die ich in letzter Zeit gehört habe. Verena hat die Meniere'sche Krankheit. Alle paar Wochen hat sie einen Drehschwindel-Anfall. Sie kann sich dann nicht mehr auf den Beinen halten, ist auch schon hingefallen, oft erbricht sie während solcher Anfälle. Wenn ihr schwindlig war, fiel sie jeweils einen halben oder ganzen Tag bei der Arbeit aus - meistens ohne Vorwarnung.

Irgendwann hatte ihr Chef genug und entliess sie. Nicht nett, aber verständlich. Wer will schon eine unzuverlässige Kellnerin.

Die Sache hatte sich herumgesprochen, und sie fand keinen neuen Job.

Nun gibt es für solche Fälle in der Schweiz die so genannte Invalidenversicherung (IV). Meinen jedenfalls die meisten Schweizer und zahlen als Arbeitnehmer auch brav monatlich ihre Beiträge. Aber wer sich ein bisschen umhört, erfährt schnell: Die IV ist selber invalid, krank gespart von unseren Politikern. Mit dem Segen des Volkes, muss man fairerweise sagen, aber das macht es nicht besser.

Verena ging zur IV. Sie bat nicht um eine Rente. Sie wollte Beiträge für eine Umschulung. Sie wollte einen Beruf, bei dem sie sich ihre Zeit besser selber einteilen konnte.

"Tut uns leid", hiess es bei der IV, "Verena bräuchte eine Ausbildung, keine Umschulung. Und wir sind eine Umschulungs-Institution, keine Ausbildungs-Institution." Zu Deutsch: Wer schon keinen rechten Beruf hat, soll auch keinen lernen, wenn er erst krank ist.

Ihr Arzt sagt sarkastisch. "Also bitte! Wofür brauchen wir denn eine IV!? In der Schweiz wird doch heute niemand mehr krank!"

Falls Verena jemanden zum Anpumpen gefunden hat, prozessiert sie jetzt gegen die IV. Das tun viele. Falls nicht, wird sie zum Sozialfall.

Ich will nicht jammern. Gestern habe ich diesen Bericht im Tagesanzeiger-Magazin gelesen und muss sagen: Im Vergleich dazu gehts uns blendend. Auch wenn Verena zum Sozialfall wird: Frieren oder hungern muss sie nicht.

Aber der Mechanismus ist ein ähnlicher: Da stösst eine Gesellschaft eine ganze Gruppe von Menschen aus. Weil sie den falschen Pass haben. Oder weil sie krank sind. Man lässt sie verschwinden, vergisst sie und lässt es sich gut gehen. So einfach ist es.

5
Apr
2010

Unsichtbare Helden

"Das Alter ist nichts für Feiglinge." Mit diesem Zitat beginnt die Rezension des neu publizierten letzten Tagebuchs von Max Frisch. Und es ist wahr: Rund herum sehe ich gerade drei tapfere alte Menschen, lauter Helden, die kein grosses Wesen um ihre Taten machen.

Zum Beispiel den Tigervater (79). Seine Leiden kann schon kaum noch einer zählen. Polyarthritis, Diabetes, tränende Augen, you name it, he's got it. Neulich hat ihn wieder eine Lungenentzündung erwischt. Im Spital haben sie ihn ins Koma versetzt und an die Lungenmaschine gehängt. Jetzt sitzt er auf der Intensivstation, nach zehn Tagen und einem unliebsamen Zwischenfall endlich einigermassen bei Sinnen. Überall stecken Kabel und Schläuche in ihm, und er kann wegen der Lungenmaschine nicht sprechen. Aber für uns gibt er sich alle Mühe, sich selbst zu sein, mitsamt Humor, der für ihn typischen Höflichkeit und ein paar ungehaltenen Gesten. Mit unendlicher Mühe füllt er Papierstück um Papierstück mit krakeligen Zeichen.

Oder meine Nachbarin, Frau Baumgartner (86). Seit der Operation vor zwei Monaten tut ihr das Knie nicht weniger weh, sondern mehr. Sie zeigt es gern her in seinem dicken Stützstrumpf. Es ist ganz geschwollen, und sie kann kaum gehen. Aber als ich ihr am Karfreitag einen Osterhasen brachte, hatte sie gerade ihren Teppich ein bisschen shamponiert.

Oder Grossmutter Walholz (89)..., ach, Grossmutter Walholz! Jetzt redet sie selbst am Telefon fast nicht mehr. Hört sie noch schlechter? Oder fehlt ihr die Kraft? Wir wissen es nicht. Aber sich aufgeben? Sich etwa gar ins Altersheim verfrachten lassen? Nein, niemals!

3
Apr
2010

Ostern bei Frau Frogg

Eine schmerzhafte Entzündung im Hals beunruhigt mich seit vier Tagen: Sie gefährdet mein Gehör. Ich bekämpfe sie mit Vitamin C, frischer Luft, genügend Schlaf und Tee.

Wenn ich Angst bekomme, bete ich den Psalm Nr. 23 herunter oder rufe die drei gitarrenbewehrten Schutzpatrone meines Gehörs um Beistand an:


Jack White


Peter Green


Jimmy Page.

Opium fürs Volk? Kein Problem. Hauptsache, es wirkt. Es wirkt.

1
Apr
2010

Kleines Wunder

Meine Nichte Carina (im Mai 5-jährig) entdeckt das Glück des Schreibens. Zur Zeit ist sie bei Omami zu Besuch. Die zeigte mir neulich voller Stolz eine Baguette, die in zwei Tiefkühltüten stak. Auf der einen Tüte stand in krakeliger, aber durchaus kühner Handschrift "BARISET"*:

*Hierzulande wird eine Baguette auch als "Parisette" bezeichnet. Zugegeben, die Orthografie sitzt bei Carina noch nicht ganz. Aber sie hat ja noch Zeit zum Lernen!

31
Mrz
2010

Verarmen mit Stil

Ich werde in Zukunft wohl öfter knapp bei Kasse sein. Ich werde mich einschränken müssen. Ich werde bald ein paar bei mir selber unpopuläre Massnahmen ergreifen müssen: zum Beispiel die billigste Provinzcoiffeuse im Kanton suchen. Abends in der Migros verstohlen zu den Kistchen mit den Sonderangeboten huschen. Und wahrscheinlich werde ich nicht mehr bei Street One jene stylishen Hosen kaufen können, die meine Hüften noch einigermassen präsentabel aussehen lassen. Sondern ich werde bei Vögele und C&A die Gestelle durchwühlen.

Aber drei Dinge werde ich nie tun. Niemals!

- Ich werde nie meine Haushaltsabfälle im Büro entsorgen, um Sackgebühren zu sparen (solche Leute gibt es, glaubt mir).
- Nie werde ich in den Ferien (so ich denn überhaupt je wieder in die Ferien fahre) lautstark und ausführlich wie die Schwaben Bier- und Souvenirpreise vergleichen und zur Erkenntnis gelangen, dass man mich hier nur abzocken will.
- Ich werde nie mehr billiges Rindshackfleisch kaufen. Das Zeug stinkt! Es ist ja gut, dass unsere armen Kühe und Munis seit BSE nicht mehr ihre eigenen Artgenossen verzehren müssen. Aber Fischmehl ist auch keine Alternative!

Sollte ich eines dieser Dinge jemals doch tun, möge man mich an meine guten Vorsätze erinnern!

Und noch der Ohrwurm des Tages:

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