2
Dez
2009

Schlimmes Erwachen

Gestern Abend telefonierte ich noch mit meiner Freundin Ella. Ich schaute fern, mit und ohne Untertitel. Ich hörte unten auf der Strasse Autos vorbeifahren und weit weg die Züge.

Heute Morgen: Nur das Gejodel und Georgel in meinem Ohr.

Vor ein paar Tagen hörte ich noch Gebrabbel am Radio, dann konnte ich vorübergehend wieder Nachrichten hören. Eben fragte ich Herrn T,: "Läuft das Radio"?

Er sagte Ja. Ich hörte nur verschneites Stimmrauschen.

Und das schlimmste ist: Ich weiss nicht, was ich machen soll. Im Spital haben sie getan, was sie konnten. Wenn ich jetzt anrufe, werden sie mich nur abwimmeln.

1
Dez
2009

Sexiest Man Alive

Neulich beim Spazieren: Ich habe mir meine Ohropax gesteckt. Damit ich nicht hören muss, wie die Autos gurgeln und chirbschen, wie der Fluss dünn rieselt und schmurgelt und girrt und wie die Stimmen meiner Mitspaziergänger blechern klingen. Herr Meniere hat mich im Griff.

Da kommt mir ein Paar entgegen. Ihn kenne ich an der Gestalt, ohne ihn anzusehen. Er ist Kuno, der Hüne.

Als ich 14 war, war er the Sexiest Man Alive. Er war eine Klasse über mir in der Kantonsschule. Er war ein Sport-As und muss eine verlässliche Stimme gehabt haben. Jedenfalls sang er die Hauptrolle im Schulmusical. Wenn ich mich mich ein wenig anstrenge, kann ich sie von fern noch hören, diese Stimme, einen weichen, eher vorsichtigen Bariton. Als wolle er ja nichts falsch machen. Aber das merke ich erst jetzt, in der Erinnerung.

Damals merkten wir das nicht. Die Prinzessin und ich (vor allem ich) himmelten ihn an. Er ignorierte uns, so gut er konnte.

Wider erwarten eroberte er nach der Matur nicht Hollywood und nicht einmal Leutschenbach. Nein, Jahre später fand ich Bilder von ihm im Regionalteil unseres Tagblatts. Er zeigte sich unseren Fotografen stets in der Umgebung angegrauter Herren, die der Schmauch von Zigarren zu umwehen schien. Er trug den Titel eines Direktors. Als ich noch Journalistin war, habe ich ein- oder zweimal mit ihm telefoniert. Beruflich. Dabei verzichtete ich tunlich darauf, unsere gemeinsame Gymi-Zeit anzusprechen.

Diesmal schaue ich an ihm vorbei. Ich richte meinen Blick fest auf den Wegrand. Ich will ihn gar nicht sehen. Ich habe genug mit mir selber zu tun.

Aber irgendetwas zwingt meinen Blick auf sein Gesicht. Ja, das ist es: Er sieht mich an. Seine Augen blitzen hellbraun, er gibt mir ein frisches Halblächeln. Er erkennt mich.

Ich nehme mich zusammen. Er kann ja nicht sehen, dass ich furchtbar taub bin.

Ich gebe ihm mein geheimnisvollstes Halblächeln zurück.

29
Nov
2009

Letztes Telefon

Nehmen wir einmal an, Ihrer hättet noch Zeit für genau ein einziges Telefongespräch. Nachher würdet Ihr gehörlos und nie mehr telefonieren können. Wen würdet Ihr anrufen? (Ehepartner, Kinder oder Eltern einmal ausgenommen)

Edit: Ehepartner, Kinder oder Eltern nicht ausgeschlossen. Sonst ist es wirklich verdammt schwierig.

27
Nov
2009

Zweite Wunderheilung

Obwohl ich gerade in Cortison-Behandlung bin, stürzte mein Ohr gestern Abend wieder brutal ab: Von Roger Federers Fernseh-Kommentar zu seinem Spiel hörte ich nur noch "brabbelbrabbel... guet gschpiilt.... brabbelbrabbel..., a bitz a tschälensch", oder ähnlich. Nicht so schlimm. Er sagt ja sowieso immer dasselbe. Schlimmer: An telefonieren war nach 21 Uhr nicht mehr zu denken (ich hätte es vielleicht gekonnt, aber ab einem gewissen Punkt schäme ich mich jeweils, dauernd "hä?!" zu sagen).

Irgendwann am Abend sagte ich mir so gelassen wie möglich: Frau Frogg, Du wirst nicht wieder gesund. Wenn Du ins Leben zurück willst... "Ja, das will ich, unbedingt und möglichst bald!" qiuekste Frau Frogg.... also gut, wenn Du wieder zurück ins Leben willst, dann musst Du Dich damit abfinden, dass Du es mit einer Behinderung tust. Am besten lernst Du möglichst schnell, damit umzugehen! Ich muss zugeben: Damit sich Frau Frogg so etwas einigermassen gelassen sagen kann, braucht sie die Hilfe eines Milligramms Temesta. Aber vielleicht gehts auch eines Tages ohne.

Heute Morgen war dann wieder ein Termin im Spital fällig: die dritte von vier letzte Woche begonnenen Cortison-Spritzen direkt ins Trommelfell. Die Injektionen machen die jungen Ärzte im Spital, es ist fast jedes Mal jemand anderes. Diesmal war wieder der etwas andere Doktor an der Reihe. Er ist noch jung, asiatischer Abstammung und sieht irgendwie selbstvergessen aus, wenn er auf seinen Strohsandalen durch die Gänge schlurft. Er geht anders mit Frau Frogg um als die anderen Ohrenärzte. Wenn man zu normalen Ärzten sagt: "Hören Sie, dieses Auf und Ab macht mich halb wahnsinnig. Ich bin mit den Nerven am Ende." Dann sagen die: "Ach, Sie müssen das positiv sehen. Es besteht eine reelle Chance, dass alles wieder gut wird." Er aber sagt: "Das verstehe ich gut." Und versucht irgendwie zu helfen.

Letztes Mal, an einem verzweifelten Morgen, schrieb er mich ein paar Wochen krank und schickte mich dann nach Hause. Ich solle mich ausruhen, sagte er. Das sei das Wichtigste. Ich ruhte mich aus, und dann geschah etwas ganz Aussergewöhnliches: Gegen 17 Uhr konnte ich wieder Radio hören. Am Abend ging ich mit Veronika spazieren. Sie wird bezeugen, dass wir damals eine ganz normale Konversation führten. Dazu war mir leicht schwindlig, und ich hatte dieses seltsame Geräusch im Ohr: wie Schmelzwasser, das unter Eis hervorrieselt. Wie 1000 fallende Stecknadeln. Am nächsten Morgen hörte ich wieder alles. Das war meine erste Wunderheilung.

Leider dauerte das Glück nicht mehr als zwei Tage. Danach wandte sich das arme Ohr wieder zeitweise sehr ruckartig von der Welt ab. Deshalb erwartete ich diesmal auch nicht viel vom etwas anderen Doktor. Ich liess ihn mir meine Spritze geben und legte mich dann zu Hause auf die Couch. Herr T. hörte kochte Mittagessen und hörte Radio. Ich hörte Brabbeln.

Kurz vor dem Mittagessen streckte mich ein für meine Verhältnisse ungewohnt heftiger Schwindelanfall noch tiefer in die Polster. Gleichzeitig hörte ich im Soundbrei am Radio wieder erste klare Phrasen. Ich schluckte ein Antemin gegen die Übelkeit und nahm das Mittagessen zu mir. Danach hörte ich die ersten Flugzeuge seit Tagen am Nachmittagshimmel. Und ich hörte 1000 fallende Stecknadeln.

Vorhin hörte ich wieder leise Musik. Sehr leise. Und ich dankte still dem etwas anderen Doktor. Ob die Heilung von Dauer ist oder nicht, wird sich diesmal zeigen. Aber er hat mir einen Aufschub gewährt. Den werde ich geniessen, auch wenn er nur einen Tag dauert.

25
Nov
2009

Gelächter über Untertitel

Weil ich so lärmempfindlich bin, habe ich angefangen, mit Ohropax fernzusehen und die Untertitel einzuschalten. Nach einigem Getüftel fand Herr T. heraus, dass es ganz einfach ist: Man bleibt auf SF1, drückt auf der Fernbedienung den Teletext-Knopf und dann 777. Zwar beschränkt einen das ein wenig bei der Sendungswahl. Sport interessiert mich ja nicht so, obwohl gerade da die Untertitelung besonders breit ist. Ich bin ja mehr der schöngeistige Typ. Aber offenbar nimmt das Fernsehen an, dass Schöngeister alle gut hören. Nun, wie dem auch sei: Gestern liess ich es bei der "Tagesschau" und "Ein Fall für Zwei" bewenden. Offenbar ist der Krimi so harmlos, dass man ihn sogar Hörbhinderten zumuten kann.



Dafür bringen die Untertitel von "Ein Fall für Zwei" mich immer weder zum Lachen: Da huscht etwa Privatdetektiv Matula durch ein nachtblaues Interieur hinter einem Verdächtigen her, dazu heisst es: "Unheimliche Musik", dann "spannende Musik", dann "unheilvolle Musik". Ich frage mich, wozu diese Information da ist. Hat Musik eine handlungsrelevante Funktion, die ich noch nicht bewusst erkannt habe? Oder will man uns Hörbehinderten einfach zu verstehen geben, dass man uns nicht vergessen hat?
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