12
Dez
2009

Keine Freudentränen

Wochenlang habe ich gebetet, dass ich irgendwann wieder Musik hören kann. Lange Zeit konnte ich es nicht, weil sie in meinen Ohren einfach zu beschissen klang. Alle Gitarren verstimmt, alle Synthesizer fehlprogrammiert, alle Pauken kaputt, dazu Tröten, Scheppern und Gurgeln. Ich wollte unbedingt noch einmal, wenigstens noch einmal, das sagenhafte Gitarrensolo von "Stairway to Heaven" ohne Fehltöne hören. Und ein paar andere Songs von anderen Bands, klar. Aber "Stairway to Heaven", das war besonders wichtig. Als junges Mädchen habe ich den Song oft gehört. Achtlos. Er kam ja jeden Tag am Radio (damals hörte unsereiner SWF 3, seither kenne ich jedes Kaff im Schwabenland wegen der Verkehrsmeldungen). Erst in der Frühphase meiner Hörstürze besann ich mich auf die schiere Brillianz dieses Solos.

Hier eine Live-Version:



Heute morgen war es soweit. Die Töne sind wieder da und sitzen, die Nebengeräusche sind fast weg.

Ich erwartete, in Freudentränen auszubrechen.

Statt dessen setzte sich eine miese, kleine Traurigkeit zwischen meine Rippen und breitete sich aus. Schliesslich war sie es, die mich zum Weinen brachte.

Ich wusste: Ich werde nie mehr dieselbe sein wie früher.

Bin ich undankbar?

11
Dez
2009

Im Kühlschrankgewitter

Vergangene Nacht hatte Frau Frogg einen kleinen Schwindelanfall. Seither hört sie auf dem rechten Ohr wieder richtig gut.

Zwar bin ich immer noch lärmempfindlich und trage draussen weiter Ohropax. Doch heute tat ich etwas ganz Wunderbares. Etwas, was ich seit Wochen nicht mehr ohne Entsetzen über den Zustand meines Gehörs hatte tun können. Wer nie an einer Tieftonschwerhörigkeit gelitten hat, wird mein Glück darüber schwerlich nachvollziehen können. Aber ich erzähle es Euch trotzdem: Als ich im Coop einkaufte, blieb ich vor dem Kühlschrank mit den Fischstäbchen und den Pangasiusfilets stehen. Dann zupfte ich mir das Ohropax aus dem rechten Ohr. Und dann liess ich mich vom Kühlschrankgesurr duschen, etwa eine halbe Minute lang. Ich konnte es wieder hören, und es klang, wie Kühlschrankgesurr zu klingen hat. Für mich war das wie ein Bad in einem Wasserfall auf einer tropischen Trauminsel.

9
Dez
2009

Bescheuerte Versicherung 2

Neulich habe ich mein Problem mit der Callmed-Krankenversicherung geschildert.

Heute Mittag hatte ich alle Formulare für eine Versicherungsänderung ordentlich ausgefüllt. Ich freute mich: Laut dem netten Sachbearbeiter vom Montag gab es eine unbürokratische Lösung für mein Problem. Dennoch ging ich persönlich zur Versicherung. Ich wollte sicher sein, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Und siehe da: Ein neuer Sachbearbeiter, neue Schickanen: Jetzt brauche ich noch die Bestätigung eines Ohrenarztes, dass ich tatsächlich an schwankender Hörminderung auf beiden Ohren leide. Dass ich deswegen manchmal nur schwer telefonieren kann. Und dass deswegen eine kurzfristige Versicherungs-Änderung Sinn macht. Der Versicherungsheini erklärte: "Sonst gibt das bei der Revision des Bundesamtes möglicherweise ein Problem." Und man brauche das Gutachten bis 31. Dezember, jawoll.

Freunde, ich habe ein dünnes Nervenkleid zur Zeit. Ich bin schier in Tränen ausgebrochen, als er das sagte.

Ich ging dann sofort zu meinem Ohrenarzt, was sich zum Glück mit einem Spaziergang einrichten liess. Er selber war gerade nicht da. Seine Arzthelferin kennt mich mittlerweile. Sie wiegte bedauernd den Kopf: "Tja... das ist ein Gutachten... dafür braucht der Herr Professor mindestens zwei Wochen."

7
Dez
2009

Tränen, Tränen, Tränen

Am Samstag ging ich spazieren. Ich sah, wie drei Schwäne nebeneinander den Göttersee hinunterflogen. Ich hörte, wie ihre Schwingen aufs Wasser aufschlugen. Sonst hörte ich ausser dem Gedröhn in meinen Ohren nicht besonders viel. Dennoch war ich für einen Moment lang eins mit mir und der Welt.

Zu Hause griff ich dann nach Wochen unablässiger Lektüre seichter Kost zu diesem Buch:


Denn mir wurde klar: Die Welt hat drängendere Probleme als mein Ohrenleiden. Es schien, dass mich die Welt wieder hatte.

Doch gestern hatte ich noch einmal einen schweren Rückfall in die Abgeschiedenheit meiner Krankheit. Ich war bei meinen Eltern zu Besuch und hing dort in meinem Zimmer herum. Ich brach in Tränen aus und konnte kaum noch zu weinen aufhören. Ich weinte, einfach weil ich traurig war. Ich weinte um mein verlorenes gutes Ohr. Ich weinte, weil alles, was ich höre, schrecklich klingt. Ich weinte, weil ich mich als das missratenste und nutzloseste Kind im Quartier meiner Eltern fühlte. Und weil sie sich trotzdem so viel Mühe um mich geben.

Dabei sollte ich allmählich genug geweint haben. Ich weine seit dem 30. Oktober täglich. Das war der Tag, an dem ich ins Spital musste. Als sie mir die Nadel mit dem Cortison ins Ohr gestossen hatten, lag ich da. Vor meinem geistigen Auge sang Robert Page "I'll give you every inch of my love" und ich brach in Tränen aus. So frech, so unbeschwert, so englisch, so Rock'n'roll. Und vielleicht alles vorbei für mich.

In den wechselhaften Wochen danach schein es, als müsste jeder Aspekt meines Lebens betrauert sein: Meine nie geborenen Kinder; meine dahinsiechende Grossmutter; die Tatsache, dass auch meine Eltern älter geworden sind; die Tatsache, dass Herr T. da war; die Tatsache, dass er nicht da war; die Erinnerung an meine viel zu früh verstorbene erste Liebe; dass ich vielleicht nie mehr mit meinen Lieblingskollegen zusammenarbeiten werde; mein Stolz auf meinen Beruf; mein Stolz auf mein Gehör; mein Stolz auf... Ich weiss nicht, ob das je wieder aufhört.

Aber eins weiss ich: Heute las ich wieder Ziegler. So viel Wissen. So vieles, was uns Westlern so dringend gesagt gehört. Und immer zu wenig Zeit, es zu sagen. Immer diese Eile. Ziegler schreibt genau wie er spricht: atemlos, eindringlich, getrieben. Auch wenn das Thema ernst ist: Ich musste lächeln.

4
Dez
2009

Bescheuerte Versicherung

Ich glaubte, etwas Kluges zu tun: Im September schloss ich für das kommende Jahr eine so genannte Callmed-Krankenversicherung ab. Das bedeutet: Bevor ich einen Arzt aufsuche, muss ich eine 0800-Nummer meiner Krankenkasse anrufen. So spare ich Prämien. Und die Krankenkassen scheinen ganz erpicht darauf, ihre Versicherten in ein solches System zu stecken.

Das war, bevor die Hörstürze auf meinem guten Ohr begannen.

Unterdessen habe ich gemerkt, dass die Sache einen Haken hat: Vielleicht gibt es auch in Zukunft Tage, an denen ich wegen meiner Meniere-Erkrankung auf beiden Ohren miserabel höre. So schlecht, dass ich gar nicht telefonieren kann. Und wahrscheinlich hätte ich genau an jenen Tagen das Bedürfnis, einen Arzt oder gar das Spital aufzusuchen.

Gestern hörte ich ganz ordentlich. Deshalb beschloss ich, bei der Callmed-Versicherung nachzufragen, ob sich das Problem irgendwie lösen liesse.

Nun heisst es ja, man werde bei diesen Callmed-Zentren mit medizinisch geschulten Leuten verbunden. Aber die Callcenter-Frau, die ich am Telefon hatte, schien den Begriff Meniere'sche Krankheit noch nie gehört zu haben. Als ich ihr mein Problem schilderte, blieb ihr dann vollends die Spucke weg. Freunde, ich höre ja nicht besonders gut. Aber ich konnte sehr wohl hören, wie die Frau einen furchtbar dümmlichen Blick bekam, als sie stammelte: "Ja, dann... dann... ändern Sie wohl besser Ihre Versicherung wieder."

Das würde auf Grund dieser Erfahrung tatsächlich gern. Aber leider ist das Anfang Dezember nicht mehr möglich. Es erstaunt mich, dass die Frau am Telefon das nicht gewusst hat.

Edit 7. Dezember: Ich kann bis Ende Jahr meine Versicherungspolice doch ändern. Dem Himmel sei Dank!
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Journal einer Kussbereiten

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