11
Aug
2009

Ultimative Touristenfalle

Die kroatische Insel Brioni war einmal Lieblingsresidenz von Jugoslawiens Staatschef Tito. Sie rühmt sich auch eines Tito-Museums. Für Hobby-Historikerinnen klingt das nach einem Must. Aber Achtung! Brioni kann man nur in Gruppen besuchen. Und was man dabei über sich ergehen lassen muss, verletzt die Würde eines erwachsenen Menschen.

- Man muss mit Scharen von lärmenden Teutonen in einer albernen Eisenbahn herumfahren
- Man muss die lauen Witze einer Reiseleiterin über sich ergehen lassen - über Schwiegermütter und Schnaps
- Man muss jedes Blümchen bestaunen und sich Gemeinplätze darüber anhören
- Zur Mittagszeit gibts nichts als die nur schwer zu kauenden Brötchen der einzigen Sandwichbar vor Ort

Brioni rühmt sich auch eines Zoos mit Tieren, die Staatsgäste Tito einst mitgebracht haben.

Zoo on the isle of Brioni

Aber wer unbedingt lebende Tiere sehen muss, geht besser in den nächstbesten Zoo seiner Heimat. Im Brioni-Zoo gibt es wenig zu sehen. Skurril wird die Sache mit den Tieren erst im Tito-Museum. Dort stehen ausgestopft all jene tierischen Staatsgeschenke, die inzwischen das Zeitliche gesegnet haben. Man hat sie ausgestopft, lässt sie in würdigen Vitrinen vor sich hinmüffeln (ziemlich durchdringend) und jagt sämtliche Touristen an ihnen vorbei.

Allenfalls kultverdächtig ist Titos Auto, mit dem die auf Brioni bevorzugt behandelten Luxustouristen auch mal eine Spritzfahrt machen können:

Tito's car

Und das Museum? Nun, es ist der Lichtblick mitten im drögen Tag. Wer sich vor ein bisschen Tito-Beweihräucherung nicht scheut, wird dort eine anregende Fotoausstellung bestaunen. Der Marschall kommt in seiner Kultstätte als treu sorgender Landesvater herüber. Und als grosser Staatsmann. Man erliegt beinahe der Illusion, er habe mit seinem Bund der Blockfreien ein Weltreich regiert.



Ein anregender Ort. Und dennoch: Ich würde nicht noch einmal hinübertuckern.

8
Aug
2009

Liebe am Open Air

Neulich verirrten Herr T. und Frau Frogg sich an ein kleines Open Air irgendwo draussen im Gras. Dem Open Air-Alter um 20 Jahre entwachsen, konnte Frau Frogg dort beobachten, wie das Publikum rundum die Dramen des Jungseins inszenierte. So ähnlich wie wir damals und doch so anders.

Auf der Bühne rockten Strozzini, der Sänger klang, als sitze ihm das Gespenst von Jeff Buckley in den Stimmbändern.

Neben uns ein paar junge Leute. Eine der Frauen trug ein T-Shirt mit der Aufschrift "I'm smart, that's why I'm single". So anders als wir! Wir hätten damals unser Single-Dasein nicht an die grosse Glocke gehängt! Wir hätten verschämt verschwiegen, dass uns keiner liebte. Niemand sollte denken, wir würden als alte Jungfern hängen bleiben wie die welken Frauen, die unsere Eltern manchmal aus Mitleid einluden. Wir gingen zwar an Open Airs. Aber wir hätten uns nicht darauf verlassen, dass die Welt eine junge Frau allein interessant fand.

Irgendwann stand die Frau im Single-T-Shirt auf. Mit zwei Händen fasste sie den Typen neben uns am Kopf, zog ihn hoch und küsste ihn. Es war ein euphorischer Kuss. Einer jener Küsse, wie sie sich zwei stehende Menschen in einer sitzenden Menschenmasse bei 30 Grad und geiler Musik geben, seit es Open Airs gibt.

Anscheinend war die junge Frau seit Neuestem nicht mehr single.

Später gingen die beiden zusammen weg. Sie drängte zu ihm, versuchte ihren Arm um ihn zu legen. Not so smart, hörte Frau Frogg sich selber mit der warnenden Stimme von Mutter Frogg sagen. Zu anhänglich. Und Mutter Frogg behielt Recht: Dem Jungen war das zuviel. Er schob sie weg.

Wenn sich die Welt nicht sehr verändert hat, ist das Mädchen mit dem T-Shirt längst wieder Single.

5
Aug
2009

Wahnsinn im Blümchenrucksack

Wahrzeichen der kroatischen Stadt Pula ist eine riesige, römische Arena. Majestätisch steht sie in einer sonst etwas russigen, etwas heruntergekommenen und von einer endlosen Werftmauer zugebauten Stadt.

Pula Arena Croatia

Als wir sie uns ansehen gingen, hatte ich meine andere Tasche dabei. Einen kleinen Rucksack.

rucksack 001

Viele meiner Bekannten haben mir seinetwegen Komplimente gemacht. Er sei so leicht und farbig, und überhaupt: Blümchen seien jetzt so im Trend. Was ausser mir niemand weiss: Die Blümchen haben ein fieses Geheimnis. Seht Ihr's?

rucksack 002

Ich finde, die Blütenköpfe sehen aus wie Totenschädel.

Nun ist das ja nichts Schlimmes. Irgendwie neckisch fand ich das. Fand den Designer begabt - hatte er es doch geschafft, seiner heiteren Blumenlandschaft einen Touch Grauen zu geben.

So trug ich mein Rucksäckli sorglos durch die Arena von Pula. Es war gegen Abend, und wir wandelten im Untergrund des antiken Baus. Wir betrachteten eine Ausstellung mit alten römischen Karten und langweiligem Handwerkszeug. Ich fragte mich noch, wieso man der blutrünstigen Vergangenheit des Baus so gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte: den Gladiatoren, den Löwen, den Märtyrern. Wir verliessen den Kellerraum durch einen langen Korridor aus 2000 Jahre altem Gemäuer. Und dann geschah etwas Furchtbares:

Plötzlich lösten sich die Totenköpfe vom Rucksack auf meinem Rücken. Sie schwebten vor meinem geistigen Auge und starrten mich an. Sie waren meine Feinde und mein peinliches, kleines Geheimnis. Sie flössten mir ungeheures Grauen ein. Ein Grauen wie ich es schon seit vielen Jahren nicht mehr erlebt habe. Seit mehr als 15 Jahren. Schon lange nicht mehr habe ich mich so angestarrt , so unbeschreiblich von der Welt verstossen gefühlt. Das heisst: Herr T. war ja bei mir. Aber der würde wohl bald merken, dass ich verrückt geworden war. Und was würde er dann tun? Mich auch verstossen. Was hätte er denn anderes tun sollen? Ich bekam noch mehr Angst.

Ich begann tief durchzuatmen. Das half manchmal. Ich wusste es von früher.

Als wir aus dem langen Korridor traten, war der Spuk vorbei.

Ich frage mich heute noch manchmal, ob ich einfach übermüdet war. Oder ob sich die Gespenster der Gladiatoren von Pula doch bei mir gemeldet haben.

Warum ich das aufschreibe? Weil ich mich frage, ob andere auch solche Anfälle haben. Weil ich mich frage, ob man über so etwas auf einem Blog überhaupt schreiben kann. Ob und wie ich über so etwa schreiben kann.

Zarte Berührung

Während Herr T. das Hotel Hysteria erforscht, gehe ich in Pula eigene Wege. Ich fahre mit dem Bus in die Stadt. Der hält irgendwo an einer belebten Kreuzug. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass hier Endstation ist. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Deshalb frage ich einen alten Mann nach dem Weg zu den Giardini. Er versteht zwar weder Italienisch, noch Deutsch, noch Englisch. Aber er versteht mich. Und gibt mir zu verstehen, dass ich ihm folgen soll.

Dann führt er mich zwischen Scharen von Menschen über die Strasse und auf einen zugedrängelten Markt. Immer achtet er sorgsam darauf, dass wir uns nicht verlieren. Schliesslich bleibt er vor einer kleinen Abzweigung stehen und nimmt sacht meinen Arm. Er weist das Strässchen hinunter und sagt: "Sto metri; sto metri!"* Nie hat jemand die Touristin Frogg so zart und freundlich und zugleich so unaufdringlich am Arm berührt.

Und dann rückt mir ins Bewusstsein, dass kroatisch ja eine slawische Sprache ist. Erinnerungen an Russland steigen in mir hoch. Dort, so lehrte uns einst Peter, kauft man eine kleine Flaschen Wodka, indem man im Laden grinsend und mit echt russischen Draufgängertum "schto gramm!" sagt.

Von diesem Moment an mag ich Pula.

* "Hundert Meter! Hundert Meter"

4
Aug
2009

Hände reinigen, bitte!

Ich hatte eigentlich geglaubt, die Kunst des Händewaschens seit ungefähr anno 1969 tadellos zu beherrschen. Doch heute früh, als ich eine der Toiletten in unserem Bürogebäude betrat, fand ich dort eine Flasche mit Desinfizierlösung vor. Dazu am Spiegel eine Anleitung in dieser Art:


(Quelle: www.mrsa-net.nl)

Sie belehrte mich eines Besseren. Daraus zu schliessen, dass die Schweinegrippe auch ihr Gutes hat, finde ich aber etwas verfrüht.

2
Aug
2009

Im Hotel Hysteria

In Pula landeten wir im Hotel Histria.

Hotel Histria

Es lag meilenweit vom Stadtzentrum in einem Hotelghetto auf einer Halbinsel. Wir hatten beide nicht dorthin gewollt. Es hatte vier Sterne und war sündhaft teuer. Wie wir trotzdem hingekommen waren? Darüber breitet die Sängerin hier höflich den Mantel des Schweigens. Sagen wir es so:

- Es wäre schön, wenn es auf dem Bus-Terminal von Pula eine Tourist-Info gäbe
- Es wäre noch schöner, wenn sie am Sonntag auch nach 13 Uhr geöffnet wäre

Jedenfalls nannten wir das Haus Hotel Hysteria, kaum hatten wir uns fertig gestritten. Wir waren immer noch beide nicht sonderlich gut gelaunt, als wir unsere Siebensachen auspackten. Umso überraschter war Frau Frogg, als Herr T. plötzlich schallend lachte. Er hatte unsere Istrien-Wanderführer in den Händen: Eben hatte er darin einen Spaziergang gefunden, der genau von diesem unzugänglichen Fleckchen Erde ins Stadtzentrum von Pula führt. In etwa zwei Stunden, wohlgemerkt. Dennoch nahmen wir ihn noch am selben Nachmittag unter die Füsse. Am Abend lernten wir dann, dass es auch einen Bus vom Stadtzentrum ins Hotel Histria gibt.

Schliesslich freundeten wir uns gar mit dem Hotel Hysteria an. Herr T. machte es zum Ziel einer einsamen Exkursion:

Er entdeckte:

- Wie der Animator dort seine Schäfchen zum Wasserballspielen bringt
- Wo die Angestellten im Beauty Salon ihre Zigarettenpause machen
- In welchen Mauernischen der Hotelfassade die Mauersegler (oder waren es Schwalben?) ausruhen, wenn sie lange genug durch die Lüfte rundum gedüst sind
- Er sah jene Brüstung über dem Swimmig Pool, die man nicht betreten durfte (Einsturzgefahr)
- Und das Schlemmerlokal am anderen Ende der Lobby

Und den Lift, natürlich.
Hotel Histria Escalator, Pula

Herr T. liebte den Lift!

Schutzengel

Auf dem Spielplatz beim Göttersee steht die längste und steilste Rutschbahn der Alpennordseite. Da will Tim hinunterrutschen. Dafür muss er eine steile Treppe aus gebeizten Baumstämmen hochsteigen. Gegen 20 Stufen, schätze ich. Ich gehe nicht mit hinauf. Tim ist vier. Treppen steigen kann er mittlerweile alleine. Ich schaue nur zu. Im oberen Drittel turnt er einen Moment lang herum und verliert plötzlich das Gleichgewicht. Da hängt er, an nichts als einem Stück blauem Himmel, und rudert mit den Ärmchen.

Ich stehe da und sehe ihn fallen, höre ihn schreien, sehe gebrochene Knochen, gebrochene Leben.

Doch er fängt sich und klettert weiter. Als wäre nichts gewesen. Stunden später kann er sich gar nicht mehr an den Moment erinnern. Ich schon.
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Journal einer Kussbereiten

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