31
Mai
2009

Blasierte Mädchen

Gestern habe ich an Redder gedacht. Redder ist ein ausgezeichneter Blogger aus Zürich. Was mich manchmal bei ihm nachdenklich macht, ist allerdings die Tatsache, dass er Frauen oder Mädchen meist als "Griiten" bezeichnet. Dieses Wort ist wahrscheinlich eine Abkürzung von "Margrit"*. In meinem Dialekt bezeichnet es blasierte Schönheiten, die Männer anmachen, um sie dann mit einer Abweisung zu demütigen. Redder braucht das Wort "Griite" für alle Frauen, deshalb bin ich mir nicht sicher, ob es in seinem Dialekt dasselbe bedeutet. In meiner Welt sind nämlich die wenigsten Frauen "Griite".

Aber gestern habe ich eine "Griite" gesehen: Marie-Christiane, meine Nicht (fast 8). Bevor Ihr jetzt schlecht über Marie-Christiane denkt, muss ich es sagen: Sie ist ein wunderbares Kind. Sie ist lieb zu ihrer kleinen Schwester Carina (fast immer), hat die beste Phantasie von allen Kindern und ist, auch das muss in diesem Zusammenhang gesagt sein, bildschön. Sie ist gross für ihr Alter und schmal und tanzt Ballett. Sie bewegt sich so grazil wie ein perfekter, neuer Caran d'Ache-Bleistift in der Hand eines Meisterzeichners.

Gestern spielten wir zu Dritt sicher eine Stunde lang Fangen in verschiedenen Rollenspielen. Wir rannten und quietschten. Die kleine Carina rannte und quietschte mit. Dann war ich der Taschendieb und Marie-Christiane die Dame mit dem Perlencollier. Sie holte sich eine Kette mit Plastikperlen und eine Handtasche, stieg in die zierlichen Stöckelschuhe von Omama Ottokar. Ein Stofftier in der Tasche erklärte sie zu ihrem Handy. Und plötzlich wurde alles anders.

Sie stöckelte ihre Mähne schwingend davon bis zum Ende des Gartens. Sie war plötzlich eine Unbekannte. Beim Baum blieb sie stehen und wurde ein extrem angeödeter Teenager. Total blasiert. Sie zückte ihr Handy aus Stoff und rief ihren Freund an.

Ich war richtig verstört. "Wo hat sie bloss dieses Gesicht her?" dachte ich. "Griite" war das einzige Wort, das mir einfiel.

Ich musste an Redder denken.

Ob es daran liegt, dass dieses Mädchen den grössten Teil seiner Kindheit in Zürich verbracht hat?

Dann bliebe eigentlich nur noch die Frage, was Zürcher an "Griiten" so toll finden.

* behauptet Hobbylinguistin Frogg

26
Mai
2009

Das Paradies hat einen Namen

Es heisst Çıralı. Aber versucht gar nicht erst, den Namen des Paradieses auszusprechen! Was haben Türken uns ausgelacht, korrigiert oder einfach nicht verstanden, wenn wir "Çıralı" sagten! Dabei haben wir es genau so ausgesprochen, wie es uns der Sprachführer beigebracht hatte, nämlich "Tscherale" oder "Tschöralö". Das "ı" sprachen wir aus als "kurzes, dumpfes 'i', fast wie das 'e' in 'machen'" (so mein Sprachführer). Doch das schien ganz falsch zu sein. Was die Türken so anders machten als wir, wenn sie "Çıralı" sagten? Das hat Frau Frogg aber auch nicht wirklich verstanden, auch wenn sie genau hinhörte. Da Frau Frogg aber einmal Linguistik studiert und sich für Phonetik interessiert hat, ist sie der Sache nachgegangen. Sie hat festgestellt: Das türkische "ı" ist ein sogenannter geschlossener, ungerundeter Hinterzungenvokal, phonetisch geschrieben ein [ɯ]. Aber das bringt Frau Frogg, mittlerweile Hobbylinguistin, ehrlich gesagt, auch nicht weiter. Und im Moment fällt mir herumturnen mit der Zunge im Mund sowieso schwer: Ich war gerade beim Zahnarzt, und er hat mich unebittlich gequält.

Wenden wir uns dem Paradies also zu, ohne es beim Namen zu nennen. Wir erreichten es am Montag, 4. Mai, nachmittags. Es handelt sich um ein Dorf in einer Bucht rund 80 Kilometer südwestlich von Antalya. Die Gegend ist bemerkenswert naturbelassen. Und sie hat durchaus muslimische Züge: Ihre Schönheit wehrt sich gegen eine bildliche Darstellung. Oder lag es nur an meiner mangelnden Könnerschaft als Fotografin? Ich habe getan, was ich konnte. Und doch schien es mir fast unmöglich, die Wirkung des Ortes bildlich festzuhalten. Hier ein paar wenige Impressionen.

lykien 09 028 lykien 09 031 lykien 09 010 lykien 09 025

Aber ich konnte das Paradies riechen. Es roch nach Pinienwäldern und Meer, nach Rosen und Jasmin und nach glücklichen Hühnern.
Ich konnte es hören: Im nahen Fluss quakten die Frösche, der Wind raschelte in den Blättern und in unserem Zimmer hörten wir die Brandung auf den Kiesstrand donnern. Und am Abend im Restaurant am Meer konnte es schon mal vorkommen, dass wir unter unserem Tisch ein merkwürdiges Geräusch hörten. "Das klingt wie eine kotzende Katze", sagte Acqua. Und es war eine kotzende Katze. An jedem anderen Ort auf der Welt hätte die Frogg einen Zustand bekommen. Aber nicht hier. Hier hatte sogar eine Katze mit Brechreiz unter meinem Restaurant-Tisch Platz. Easy.

Und wir selber sahen das Paradies natürlich: Den gewaltigen Strand. Die zartgrünen Wiesen dahinter, in denen die Bauernfrauen aus der Nachbarschaft abends wilde Kräuter pflückten. Die riesigen Pinienwälder. Die Rosensträucher in unserem Garten, all die Katzen und Hunde und Frösche.

Ich bin ja sonst eher misstrauisch, wenn ich beim Reisen im Paradies lande. Aber diesmal gab ich mich dem Glück, an einem so schönen Ort zu sein, einfach hin.

23
Mai
2009

Antalya: Frühstück im Regen

Unsere erste Nacht in Antalya verbrachten wir in einem preisgünstigen Stadthotel. Ihr werdet diese Sorte Hotel kennen: In den Zimmern kann man sich gerade so umdrehen, wenn man sich dabei nicht zu breit macht. Im Bad wackelt die Klobrille, der Wasserhahn spinnt und die Druckvorrichtung des Seifenspenders fällt ab, wenn man sie drückt. Und puncto Sauberkeit ist man nicht unglücklich über eine leicht verminderte Sehfähigkeit. Ich hätte in dem Haus meine zwei, drei Nächte verbracht und es dann vergessen. Wenn da nicht der hübsche Garten mit den Orangenbäumen, dem Swimming Pool und der Bar gewesen wäre.

"Hier werden Sie morgen frühstücken", sagte der Mann von der Réception vergnügt, als er uns durch den Garten in unsere Zimmer führte.

Wir genehmigten uns einen Schlummertrunk. Dann legten wir uns ins Bett. Dann begann es draussen zu regnen.

Das Fenster unseres Zimmers war geöffnet. Schliesslich waren wir in der Südtürkei, und es war Anfang Mai. Ich lag in der Dunkelheit und lauschte auf das sachte, helle Rauschen da draussen. Nun ist die Frogg ein Voralpenkind und kennt, weiss Gott, den Regen. Eigentlich gab es für sie keinen Grund, zu horchen und zu staunen. Das war nichts weiter als ein leichter Landregen. Und doch war es ein besonderer Regen. Mein erster Regen in der Türkei. Regen, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. Die Regensaison war doch vorbei! Und warum hätten ausgerechnet wir von den durchschnittlich drei Regentagen, die die Statistik für den Mai in Antalya ausweist, einen bekommen sollen?! Noch dazu in unserer ersten Nacht?! Doch es war Regen. Ein leichter Regen, der ohne giftigen Wind kam und die Luft lau liess.

Gegen Morgen wurde er heftiger. Als wir aufstanden war er zum klebrigen Dauerregen mit eingestreuten heftigen Schauern geworden. Draussen im Garten tropfte alles. Auch die Orangenbäume. Das Frühstücksbuffet stand dennoch am Pool, unter einem Vordach. Die ersten Gäste der Saison hielten schützend die Hand über ihre Brotkörbe, wenn sie sie von Vordach zu Vordach trugen.

antalya regen"
(Bild von Acqua)

Der Barmann freute sich. "Endlich regnet es", sagte er. "Es hat den ganzen Winter nie genug geregnet!"

Als wir ins Zimmer zurückgingen, hatte ich nasse Füsse. Als wir mit dem Taxi zum Otogar von Antalya fuhren, hagelte es sogar kurz.

Dann blieb es zwei Tage wechselhaft.

21
Mai
2009

Seltsamer Betriebsausflug

Kollege Eisenherz und die Frogg sitzen im Thermalpool. Laues Wasser umfächelt uns. Wir plaudern seit mindestens einer halben Stunde so intensiv wie wir in bald zehn Jahren Kollegenschaft nicht geplaudert haben. Irgendeine Unterwasserdüse hat gerade aufgehört, mit ihrem Gesprudel fröhlich quietschende Kinder an uns vorbeizutreiben. Da sagt er: "Weisst Du, wenn Du mich fragst, war das erst der Anfang."

Für einen Moment ist es, als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben. Denn Eisenherz meint die Kündigungwelle, die während meiner Ferien über unseren Betrieb gegangen ist. Mittlerweile wissen wir, welche unserer Kollegen sie mit sich gespült hat. Wir haben eine Wirtschaftskrise. Der Inseratemarkt ist zusammengebrochen. Und, sagt Eisenherz: "Jetzt werden doch überall immer mehr Leute arbeitslos. Wenn die ihre nächste Aborechnung bekommen, überlegen sie sich gut, ob sie noch eine Zeitung brauchen oder nicht."

Er hat zweifellos Recht.

Da sitzen wir, mitten in einer wahnwitzig schönen Landschaft. Die Sonne scheint uns wie irr ins Gesicht. Wir reden weiter, noch viel länger. Uns trennen so viele Dinge, dass es ein Wunder ist, dass wir uns so gut verstehen.

Dem Buffet später spreche ich mit aussergewöhnlichem Genuss zu. Wir Kollegen begegnen uns mit einer neuen Art von Freundlichkeit. Keiner von uns weiss, wo er in einem Jahr sein wird.

19
Mai
2009

Rasender Taxifahrer

Ich möchte hier keineswegs behaupten, alle türkischen Chauffeure seien Raser. Im Gegenteil: Ich bin in der Türkei schon Hunderte Kilometer Taxi, Dolmuş und Bus gefahren - über Bergstrecken und im Stadtverkehr, bei Tag und Nacht. Nur wenige Male hatte ich Grund, mir Sorgen zu machen. Aber der Kerl, der uns vom Flughafen Antalya ins Stadtzentrum fuhr, jagte mir Todesangst ein.

Wir hatten einen Fixpreis mit ihm ausgemacht - und er schien die Strecke in der im Preis verrechneten Richtzeit zweimal zurücklegen zu wollen. Er donnerte mit Vollgas bei Rot über Kreuzungen, weil er gar nicht hätte bremsen können. Standen Autos vor ihm, bremste er erst, wenn ich es im Geiste schon knallen hörte. Damit es nicht knallte, wechselte er im letzten Moment die Spur. Dass er dabei ein paar Sicherheitslinien überfuhr? Völlig irrelevant für ihn. Und natürlich hockte er jedem auf die Stossstange, der sich vor ihm auf die Überholspur wagte.

Ich fand ihn eine Zumutung für alle anderen Verkehrsteilnehmer und sah mich sterben, und das in unserer ersten Nacht in Antalya! Und wie es so ist, wenn man seinen Tod unmittelbar vor sich glaubt: Mein Bewusstsein veränderte sich. Nein, es war nicht so, dass mein Leben an meinem geistigen Auge vorbeizog. Ich begann bloss zu denken. Und ich beobachtete mich dabei selber wie in einem glasklaren Spiegel. Ich erinnere mich noch an jeden meiner Gedanken. Ich dachte an Orhan Pamuk, der den Bruch von Verkehrsregeln als nationalistischen Akt beschrieben hat. Für manche sei er Ausdruck für eine "eine antiwestliche 'Verfeinerung", eine Lebensart, die besagte, dass unsere alte Welt noch immer Bestand hatte und sogar ein Nationalismus des: 'Wir sind die, die wir sind.'" Laut dem Nobelpreisträger "steckte auch die Sehnsucht dahinter, sich an unsere eigene praktische Geschicklichkeit gegenüber einem Westen zu erinnern, dessen Überlegenheit in Technologie, Kultur und Organisation im täglichen Leben überall zu spüren war."* Und derweil ich mit diesem vermaledeiten Taxifahrer durch die Nacht von Antalya raste, glaubte ich plötzlich diesen Raser und auch die Raser der Schweiz zu verstehen (auch wenn ich ihr Verhalten in keinster Weise billige). Rasen als Akt der Selbstbehauptung in einer Welt, in der man als minderwertig dazustehen glaubt. Wie einleuchtend!

Doch ich war nicht bereit, für diese Erkenntnis zu sterben! Verstohlen studierte ich das Gesicht unseres Taxifahrers. Erleichtert stellte ich fest, dass er die 30 überschritten haben musste. Er hatte seinen eigenen Fahrstil also bereits um die 10 Jahre überlebt. Da bestanden für uns auch noch Chancen.

Ich erwog, ihm einen Aufpreis anzubieten, damit er langsamer fuhr. Aber meine Begleiterin Acqua fasste später in Worte, was ich zu dieser Idee nicht dachte, sondern nur ahnte: "Damit hättest Du ihn wohl in seinem Stolz verletzt." Und wir beide waren sicher, dass das nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hätte.

So blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu beruhigen. Wir überlebten denn auch den Höllenritt.

Und unser nächster Taxichauffeur fuhr uns mustergültig durch einen Hagelschauer auf der Schnellstrasse.

*Orhan Pamuk: "Der Blick aus meinem Fenster", Frankfurt am Main, 2008, S. 62.
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