11
Mrz
2008

Gotthard zum Abschied

Mein Göttibub Tim wird mir immer sympathischer. Ja, klar, es ist nichts Aussergewöhnliches, dass man sein Patenkind mag. Aber das mit Tim geht tiefer: Ich habe entdeckt, dass wir eine Obsession teilen. Die Gotthard-Obsession. Tim weiss zwar noch nicht, dass er eine Gotthard-Obsession hat. Er ist ja erst 3, genau 3 sogar. Ich aber erkenne eine Gotthard-Obsession schon im Keim. Schliesslich hat meine Begeisterung für den Pass der Pässe mich dazu gebracht, ihn anno 2003 in einer dreitätigen, strapaziösen Wanderung zu überqueren. Und so erkannte ich den Keim von Tims Gotthard-Obsession, als ich ihn heute Nachmittag zum Geburtstag zum ersten Mal ins Verkehrshaus Luzern gebracht habe. Das Verkehrshaus gehört hierzulande zum Göttibubenprogramm, und ich habe beschlossen, nicht zu lange damit zu warten.

Dass er auf Züge steht, weiss ich schon lange. Denn wann immer er irgendwo auch nur Schienen sieht, sagt er, laut und deutlich „Tschütschübahn“*. Wenn er in Frogg Hall auf Besuch ist, dann sagt er irgendwann „Tschütschübahn luege“**, und dann weiss man: Jetzt muss man ihn zum Dachfenster hochheben, damit er die Züge sehen kann, die weit drüben am Hang vorbeidonnern.

Klar, dass ihn die vielen Züge im Verkehrshaus begeisterten. Er sah sich alle an. Gründlich. Drückte alle Knöpfe. Am längsten aber sah er das wohnzimmergrosse Modell der Gotthardbahn mitsamt Kirche von Wassen an. Er bliebt dort sage und schreibe ein Viertelstunde lang stehen. Eine Ewigkeit für einen Dreijährigen. Er kreischte, wenn wieder irgendwo aus einem Tunnel ein Zug auftauchte. Kreischte lauter, wenn zwei Züge sich kreuzten. Es war eine richtige Freude! Jetzt weiss ich schon, was ich ihm zu seinem achten oder zehnten Geburtstag schenken werde: eine Fahrt durch den echten Gotthardtunnel, den alten, mitsamt Kehrtunnels und allem drum und dran. Ich fürchte, ich werde mich dann benehmen wie Emil Steinberger im Zug. Und wenn Herr T. auch dabei ist, werden wir uns sogar benehmen wie zweimal Emil.

Wenn der alte Gotthardtunnel dann überhaupt noch befahren wird. Denn schliesslich gibt es ja bald einen Neat-Tunnel durch den Gotthard, und der sticht schon bei Amsteg fadengerade in den Berg. Dann heisst es ade, Kirchlein von Wassen.

Jesses, da fällt mir ein: Bestimmt wissen viele von Euch gar nicht, was es mit dem Gotthard, seiner Bahn und dem Kirchlein von Wassen überhaupt auf sich hat. Tja, da bleibt mir nichts anderes übrig, als Euch hier erstmals in geordneter Form alle Links zu meinem Gotthard-Epos zu präsentieren: jener losen Sammlung von Texten, in denen ich über meine Gotthardüberquerung zu Fuss berichte.

Das ist ein Abschiedsgeschenk, denn am Donnerstag fliege ich für ein paar Tage nach London, und ich schreibe wohl hier nicht vor dem nächsten Dienstag wieder. Aber mit dem Zeug hier habt Ihr, weiss Gott, genug zu lesen!

1) Einführung mit geradezu hellseherisches Wirtschaftsanalyse

2) Was ist eine Gotthard-Obsession?

3) Uri im Frühsommer 2003

4) Amsteg im Dämmerlicht

5) Wurstsalat in Gurtnellen

6) Die Kehrtunnels von Wassen

7) Das Geisterhaus von Göschenen

8) Heilige Schweizer Erde

9) Total erschöpft kurz vor dem Ziel

10) die Tremola, das Tessin

*Kinderwort für "Eisenbahn"
** "Eisenbahn anschauen"

8
Mrz
2008

Das Böse kommt näher

Vielleicht hat „No Country for Old Men“ mehr mit der Realität zu tun, als uns lieb ist. Warum ich das schreibe? Nun, als Acqua und ich gestern Stunden nach Filmschluss aus der Bar kamen, war unser letzter Bus abgefahren. Da sagte sie: „Ich nehme ein Taxi nach Hause. Man soll nämlich nachts nicht mehr allein rumlaufen. Das rät die Polizei. Naja, nach diesen zwei Schlägereien mit Schwerverletzten, Leuten, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren..."

Das hat mir zu denken gegeben. Denn seit ich mich erinnern kann, kann man hierzulande nachts ohne Angst fast überall allein herumlaufen. Aber offenbar stimmt die Grundaussage des Films (Hier ausführlich beschrieben) auch für unser Städtchen: Die Zeiten haben sich geändert. Das Böse ist da, und es wird allmählich bedrohlich.

Das gibt mir ein ungutes Gefühl für den Film und die Blutströme, die darin effektvoll fliessen. Obwohl die Frogg eigentlich fasziniert war von dem Streifen. Weil er als Action-Film ungeheuer gekonnt gegen die Regeln seines Genres verstösst. Zum Beispiel sitzt die Frogg nach zwei atemlosen Stunden plötzlich verblüfft da. Denn der Film ist fertig, doch da gab es kein richtiges Showdown und keine überzeugende Hauptfigur. Und man hat keine Ahnung ob der Bösewicht nun besiegt ist (eigentlich alles schlüssig, betrachtet man den Grundgedanken des Films). Überdies hatte unsere Frogg sich mindestens anderthalb Stunden lang mit einem Helden identifiziert, der sich plötzlich als vernachlässigbare Nebenfigur erwies: mit Llewelyn Moss (Josh Brolin).



Llewelyn hat bei einem Wagenkonvoi voller Leichen einen Koffer voller Geld gefunden. Jetzt will er damit abhauen und ein neues Leben beginnen. Fast den ganzen Film lang zeigen die Coen-Brüder ihn als zähe, clevere und sympathische Hauptfigur in grossen Schwierigkeiten. Nur, um ihn dann ganz erbärmlich abzuservieren. Am Schluss ist er ein namenloser Normalo, der das Beste aus einem Zufall machen wollte. Pech für ihn, dass er sich übernommen hat. Als wirklicher Held des Films erscheint nun Sheriff Bell (Tommy Lee Jones). Aber der hat eigentlich die meiste Zeit nur kluge Reden geschwungen und wird bis zum Schluss auch nicht viel anderes tun.

Gemocht habe ich den Streifen aber nicht nur wegen Llewelyn, sondern auch wegen Killer Anton Chigurh (Javier Bardem, ja, der mit dem Oscar). Chigurh ist eigentlich kein Mensch. Er hat keine Geschichte, keine Psyche. Nichts an seinem Tun ist nachvollziehbar. Und doch: Manchmal, kurz bevor er seine Opfer tötet, blitzt in seinen Augen so etwas wie Zärtlichkeit auf.



Das ist hohe Schule.

Und dennoch erlaube ich mir zum erstenmal in meinem Leben die Mäkelfrage aller kleingeistigen Action-Feindinnen: Müssen wir Gewalt in solchen Bilderorgien zelebrieren, wenn sie uns da draussen schon so gefährlich nahe ist? Ich weiss, angesichts eines so meisterlichen Films wirkt die Frage peinlich. Und doch...

3
Mrz
2008

Über Les Humphries

Ich gebe zu: Als ich heute früh las, dass Les Humphries tot ist, stiess ich einen leisen Schmerzensruf aus. Er war versetzt mit viel Nostalgie und einer Prise Selbstironie. Denn Les Humphries wird im Pop-Olymp vielleicht nicht neben John Lennon und Jimi Hendrix thronen. Doch die Musikwahrnehmung der Frogg hat er entscheidend geprägt, und zwar in einem Alter, in dem's draufankommt: so zwischen sieben und neun.

Kleinfamilie Frogg wohnte damals in einer Dreizimmerwohnung am Stadtrand und sparte auf ein Eigenheim noch weiter draussen. Fernsehen war aus pädagogischen Gründen strikt rationiert. Statt dessen hörte klein Moni Frogg viel Musik. Dabei hatte sie die Wahl zwischen Vaters Marschmusik oder den Hitsingles von Mutter Frogg (so genannte Langspielplatten kauften sich die Eltern Frogg, wohl aus finanziellen Überlegungen, kaum). Klein Moni bevorzugte die Hitsingles von Mutter Frogg. Daliah Lavi, George Harrison, und, ja, die Les Humphries Singers. Sie liefen auf einem Plattenspieler im Design der späten sechziger Jahre (links im Bild; wenn man den Deckel zuklappte, konnte man das Ding offenbar sogar als Ablagefläche benutzen).
.
plattenspieler
(im Bild Mutter Frogg mit Andreas und Moni Frogg an Weihnachten 1971, Bildautor dürfte Vater Frogg sein).

Für lange Zeit wusste die Frogg dank den Les Humphries Singers, Daliah Lavi und George Harrison, wie Musik zu klingen hat: So freudig, so berauschend, so zum Hüftschwenken. Ein Wissen, das vermutlich den Grundstein dafür legte, dass sie später Elvis und die Beatles mochte und viel später Tim Buckley, Oasis und Richard Ashcroft. Es ist nicht auszuschliessen, dass er, zusammen mit einigen anderen, einen Grundstein für noch viel mehr legte.

Zudem war Les Humphries mit Sicherheit der erste Engländer, den klein Moni, ein frühreifes Kind, irgendwie sexy fand - Pferdegesicht hin oder her. Es sollte nicht der letzte sein.

Und dann waren da noch diese Single-Covers, die man beim Musikhören so intensiv bestaunen, so innig studieren konnte. Das unten ist das Bild, das ich wahrscheinlich meine ganze Kindheit lang am längsten und intensivsten betrachtet habe. Mit Hilfe dieses Bildes hat klein Moni in der Schweizer Kleinstadt eine zugegebenermasse naive Vorstellung dafür enwickelt, wie auf dieser Welt Weisse, Asiaten und Afrikaner zusammen Spass haben können.

humphries

Aus Respekt für den alten Herrn habe ich sogar endlich meine Scheu vor YouTube-Videos überwunden und präsentiere Euch hier meinen Lieblingssong von anno dazumal: "Mexico".

2
Mrz
2008

Konzentrationslager-Buch

walddergoetter Freunde, hier mache ich für einmal Werbung. Werbung für ein Buch und Werbung für eine Serie von Lesungen. Das Buch heisst "Der Wald der Götter“ und ist vom litauischen Nationaldichter Balys Sruoga. Er schildert darin seine Erlebnisse im Konzentrationslager Stutthof im heutigen Polen. Sruoga wurde 1943 von den Deutschen dorthin gebracht, offenbar einfach deshalb, weil er Professor war. Er überlebte mit letzter Kraft und schrieb, kaum zu Hause, seine Erlebnisse nieder. Dann, 1947, starb er nur 51-jährig.

Sein Werk wurde im sowjetisch besetzten Litauen erst 10 Jahre später veröffentlicht, weil die Besatzer fanden, die Russen würden darin zu wenig positiv dargestellt. Kürzlich ist es auf Deutsch erschienen. Der Übersetzer, Markus Roduner, lebt in Vilnius und kommt für den Lesungszyklus in die Schweiz.

Ich weiss, das Thema ist alles andere als mainstreamig. Aber ich habe das Buch gelesen und finde es beeindruckend. Es entzieht sich den üblichen Massstäben der Literaturkritik. Vielmehr ist es ein kraftvolles Dokument dafür, dass manche Menschen auch in der entsetzlichsten Situation einen klaren Geist behalten. Und anklagen können. Und Dinge festhalten können, auf dass sie nicht vergessen gehen. Sruoga schlägt einen ganz anderen Ton an als etwa Imre Kertesz, der bekannteste "KZ-Autor": Betont Kertesz in einer ungeheuer poetischen Sprache die Tragik der Situation, hat Sruoga einen bitteren, zynischen, ab und an auch burlesken Humor, mit dem er den Schindern noch im Nachhinein Widerstand entgegensetzt. Diese schildert er nicht etwa als aus der Ferne wirkende Bürokraten, sondern als verrohte, korrupte Dummköpfe, die selber im Dreck des Lagers versinken. Und das Erschreckende: Täter und Opfer werden sich dort immer ähnlicher.

Also: Unbedingt an die Lesung gehen! (Link im 1. Kommentar).

28
Feb
2008

Mein erstes Stöckchen

Meine geschätzten Leserinnen und Leser! Hier gibt es eine Premiere: Die Frogg fasst ihr erstes Stöckchen (von der geschätzten Frau Katiza). Es geht so:

1. Nimm das nächste Buch in deiner Nähe mit mindestens 123 Seiten.
2. Schlage Seite 123 auf.
3. Suche den fünften Satz auf der Seite.
4. Poste die nächsten drei Sätze.
5. Wirf das Stöckchen an fünf Blogger weiter.

Nun denn:
"Verlassen Sie sich nicht auf eine baldige Entlassung!"
Schon bald wurden alle Gefangenen - auch wir! - in neue Baracken verlegt, die wir selbst gebaut hatten, die alten übernahmen der Krankenbau und die Werkstätten. Auch im neuen Lagertrakt erhielten wir Litauer eine eigene kleine Baracke, niemand verbot uns, mit den anderen Insassen zu sprechen. Allen war klar: Hier würden wir für lange Zeit bleiben - bis zum Ende des Krieges, eventuell bis zum Ende unseres Lebens.

(Aus: Balys Sruoga: "Der Wald der Götter", aus dem Litauischen von Markus Roduner, BaltArt Verlag Langenthal, 2007. Und was es mit diesem ganz und gar sonderbaren Buch auf sich hat, werde ich Euch demnächst erklären).

Ja, und statt hier fünf Mitblogger aufzufordern, lege ich das Stöckchen einfach hin und hoffe, dass jemand es packt!
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

Mai 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7535 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 14. Apr, 12:45

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren