1
Apr
2007

Hardrock Heaven

Gestern abend habe ich im Luzerner Kleintheater Werner Bodineks Stück Himmelblue gesehen. Ein Stück über einen im Leben gescheiterten Rockmusiker namens Blue. Blue stirbt und macht sich im Jenseits auf die Suche nach dem Rock-Himmel. Er sucht lange, trifft unterwegs im Polka-Himmel seine Liebe Frida und scheitert beim ersten Auftritt im himmlichen Rock-Café abermals: Die Grossen verjagen ihn mit Schimpf und Schande, weil: Er weiss «seinen» Song nicht.

Ja, richtig, das Stück basiert auf einer Kurzgeschichte von T.C. Boyle. Bodineks Autor Paul Steinmann hat aber den Schluss geändert: Bei Boyle gibt sich der Held mit Frida und einem Plätzchen im Polka-Himmel zufrieden. Bei Steinmann bekommt er noch eine Chance, kehrt zurück ins Leben und übt fortan unaufhörlich «Voodoo Chile», «seinen» Song. Jenen Song, mit der Sänger sagt, dass er eine einmalige Bestimmung im Leben hat:

«And he said fly on, fly on
Because Im a voodoo chile, baby, voodoo chile»

So lese ich das jedenfalls.

Item.

Ich hatte so meine Probleme mit der Produktion als solches. So war ich nie ganz sicher, ob Bodinek schlecht singt, weil er einen schlechten Rockmusiker spielt; oder ob er schlecht singt, weil er es nicht besser kann.

Trotzdem: Das Stück zu sehen lohnte sich, weil es mir eine Erkenntnis bescherte: Rockmusik lässt uns glauben, dass wir mehr sind als ein biederes Persönchen irgendwo in Frösch oder Bielefeld oder Niederwurlitz. Polka dagegen sagt uns, dass es schon in Ordnung ist, ein biederes Persönchen zu sein wo immer man ist.

Allerdings liess es mich mit ein paar Fragen zurück: Würde ich mich mit dem Polka-Himmel zufrieden geben. Und: Wo würde ich hingehen, wenn man mich nicht mal im Polka-Himmel dulden würde?

16
Mrz
2007

Lebenshilfe für Büromenschen

Irgendwo habe ich lesen einmal als Überlebenshilfe bezeichnet. Wie ich das meine, habe ich bislang nicht ausgeführt. Jetzt aber werde ich es tun – ansatzweise jedenfalls.

Ich muss dazu sagen, dass ich ein Büromensch bin. Seit mehr als einem Jahrzehnt friste ich meine Tage in Grossraumbüros. Meistens haben diese kleine Zwischenwändchen, die man mit Papier behängen kann. Meine Wändchen würde ich am liebsten mit Zitaten aus Büchern vollhängen.

Zum Beispiel:

«We haven’t the chance of a snowball in hell.»
Der Satz ist aus «Ulysses» von James Joyce, das schwöre ich. Um genau Angaben zu suchen, bin ich aber zu faul. Aufgehängt hätte ich ihn in meinem ersten Büro. Einem Büro in einem zum Untergang verdammten Betrieb. Dass er das war, wussten alle. Schon als er gegründet wurde. Nur wir kämpften wie die Löwen gegen das Verderben. Manchmal aber wurde die frogg frustriert über das Unterfangen oder ihre Kollegen. Wenn das passierte, dann zitierte sie leise diesen Spruch vor sich hin. Dann wurde sie jedes Mal vergügt.

Das ist zehn Jahre her. In meinem jetzigen Büro würde ich schon lange gern den hier aufhängen:

«Ja, mach nur einen Plan
sei n ur ein grosses Licht!
Und mach dann noch ‚nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höh’res Streben
Ist ein schöner Zug.»


Bertolt Brecht: «Die Dreigroschenoper», dritter Akt, Szene 7

Oder den hier.

Getan habe ich es nie. Wahrscheinlich bin ich einfach zu faul. Ich bin nun mal faul, was die visuelle Erscheinung meines Büros betrifft. Meistens sieht es schon auf meinem Schreibtisch aus, als hätte darunter ein Erdbeben Stärke 8 stattgefunden. Mit Wanddekorationen fange ich gar nicht an, bevor ich einmal richtig aufgeräumt habe.

Es kann aber auch andere Gründe haben. Aber die werde ich hier erst erörtern, wenn ich meinen Schreibtisch aufgeräumt habe. Oder wenn ich pensioniert bin.

Nur so viel: Sie helfen, diese Sprüche. Sie helfen. Auch wenn man sie nur leise aufsagt.

10
Mrz
2007

Wie Frauen lesen

Ja. Jetzt stelle ich mir die Frage doch noch. Und für ein wenig Unterstützung bei der Antwort griff ich zu Ruth Klügers «Frauen lesen anders». Ich hatte das Buch vor ein paar Jahren aus einer Grabbelkiste gekauft und lange ungelesen im Gestell stehen gehabt (weil ich meine feministische Phase für abgeschlossen hielt).



Nur: Ruth Klüger liess mich im Stich. Im ersten Teil des Buches weist sie lediglich nach, dass viel Literatur sexistisch ist, ob von Frauen oder von Männern, und auch kanonisierte Literatur wie jene von Friedrich Schiller. Sexistisch im Sinne von:

1) Frauen kommen gar nicht vor
2) Sie werden lediglich als Anhängsel von Männern dargestellt
3) Sie werden auf stereotype Art und Weise dargestellt.

Das ist für die Frogg nichts Neues.

Im vierten Essay gibt es dann ein paar interessante Zitate über schreibende Frauen. Zum Beispiel: «Die Autorität der schreibenden Frau wird angezweifelt, bewusst oder unbewusst (ein Autor masst sich ja ipso facto seinen Lesern gegenüber Autorität an). In Amerika wurde einmal durch ein Experiment festgestellt (...), dass Informationen, die von Männern ausgehen, mehr Glauben geschenkt wird als denselben Fakten, wenn Frauen sie vermitteln.» (S. 97).

Da ging mir das Licht auf, das für mich das Buch lesenswert gemacht hat: Ich begriff, warum ich mich immer dagegen gesträubt habe, meinen uralten männlichen Nick in einen weiblichen umzuwandeln.

Im Rest des Buches zeigt Ruth Klüger dann vor allem eins: Wie Ruth Klüger liest – und sie liest vielleicht nicht anders, aber vor allem anderes als die Frogg, nämlich kanonisierte deutsche Literatur. Und damit wäre bewiesen: Es gibt keine spezifisch weibliche Art zu lesen.

5
Mrz
2007

Wenn Kranke lesen

Neulich habe ich hier meine Lesevorlieben verlinkt – und dann andernorts auch noch vollmundig behauptet, Lesevorlieben, insbesondere die von mir in besagtem Eintrag präsentierten Lesevorlieben, seien geschlechtsspezifisch.

Jetzt, wo ich ein bisschen gründlicher über das Lesen nachzudenken begonnen habe, fällt mir wieder ein: Die Liste, die ich damals aufstellte, war die Liste einer Kranken. Und zu den Erkenntnissen, die ich diesen Winter gemacht habe, gehört diese: Kranke lesen anders.

Das wurde mir zum ersten Mal klar, als ich während jenen furchtbaren, zum Glück bestens verdrängten Wochen Ende Dezember zum zweiten Mal beim Ohrenarzt sass, die Schweizer Illustrierte in den Händen hielt und feststellte: Das, was ich da lese, ist im Moment genau das Richtige für mich. Alle Texte sind genau so kurz wie meine Aufmerksamkeitsspanne.

Ich, die ich früher Ringier-Produkte gemieden habe. Weil ich ihre Sprache so anbiedernd fand, dass es mir davon den Gaumen zusammenzuziehen pflegte wie von diesen honigtriefenden türkischen Süssigkeiten.

Aber ich war eben krank. Ich brauchte Trost. Und zwar Trost, der mich erreichte, bevor die nächste Panikattacke über mir zusammenschlug und mich von allem wegriss.

Und seit ich weiss, dass Kranke anders lesen, weiss ich auch, warum in Pflegeheimen immer die «Glückspost» herumliegt. Und möchte nicht ausschliessen, dass sogar ich eines Tages die «Glückspost» lesen werde.

3
Mrz
2007

Was die Mächtigen lesen

Reden wir also übers Lesen, lieber Epper, liebe Seifenblasenpusterin, liebe alle!

Wenn es um Lesegewohnheiten geht, bin ich eine überzeugte Anhängerin von Pierre Bourdieu: Ich finde, lesen ist eine Sozialisationsfrage. Wir lesen, damit wir mit denen über unsere Lektüre reden können, zu denen wir gehören (oder gehören wollen).

Über die so genannte literarische Qualität schreibt Bourdieu nicht direkt. Aber er legt nahe, dass so genannte literarische Qualität vor allem ein Kriterium für Geisteswissenschaftler ist.

All das habe ich vor etwa einem Jahr an einem Podiumsgespräch über Dan Browns «Sakrileg» an der Uni Luzern wunderbar bestätigt gefunden. Bourdieu stellt ja fest, dass männliche Führungskräfte am meisten Krimis lesen.

Nun galten für die Referenten auf dem Podium Dan Brown’s Bücher als die grottenschlechtesten Romane, die sich je gut verkauft haben. Eine Meinung, die ich übrigens teile. Nun ja, sämtliche Referenten waren gestandene Professorinnen und Professoren der Theologie und der Geisteswissenschaften.

Aber wer sitzt da mitten im Saal der Uni? Im Grossen Saal, der wohl seit Gründung der Uni noch nie so überfüllt gewesen ist? Die zwei Herren Regierungsräte Anton Schwingruber (CVP, Luzern) und Hanspeter Uster (Alternative, Zug, damals war er noch Regierungsrat).

Nun ja, das bestätigt zwar Bourdieu. Aber ich gebe zu: Es wirft ein halbes Buch voller neuer Fragen auf...
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