3
Dez
2006

An Roger de Weck

Sehr geehrter Herr de Weck

Ich bin ja ein Fan Ihrer Kolumnen in der SonntagsZeitung. Auch am letzten Samstag, als ich Sie live an einem Podium in Luzern sah, war ich im Prinzip sehr angetan von Ihrer Analyse: Ja, viele Medien sind nicht mehr in der Lage, die Realität adäquat abzubilden.

Nur eins hat mich irritiert: Sie sprachen da von der «Qualität des Menschen». Etwa im Sinn von: Ungebildete Menschen sind Menschen von minderer Qualität. Glauben Sie das wirklich? Ich meine: Sie selber haben gesagt, dass wir inzwischen in einer Zweidrittelsgesellschaft leben. Da müsste Ihnen doch klar sein, dass viele Menschen nicht viel dafür können, wenn sie kein Gymnasium besuchen konnten. Wenn sie gar nicht dran glauben, dass die Zweidrittelsgesellschaft ein interessanteres Thema ist als Britney Spears.

Na gut. Ich bin ja auch nur ein kleines Redaktörlein in der grossen Medienmaschine. In jener Medienmaschine, die Ihrer Meinung nach die Menschen systematisch dumm macht. Aber ich muss Ihnen sagen: Bei mir käme ein Autor, der in diesem Sinne über die «Qualität von Menschen» redet, so nicht ins Blatt. Weil ich das menschenverachtend fände.

Freundliche Grüsse
die frogg

28
Okt
2006

Wind um Ken Loach

«The Wind That Shakes The Barley» hat zwar die Goldene Palme von Cannes bekommen. Aber man wird dem als Linken bekannten Loach auch vor, er glorifiziere ganz undifferenziert einen linken Freiheitshelden. Da muss ich doch sagen: Wer den Film so sieht, hat sich von seinen Vorurteilen über Loach blenden lassen. Ich finde, Loach stellt dem Sozialismus diesmal keine sonderlich gute Note aus. Ideologisch lässt mich der Film sogar ziemlich ratlos.

Na gut, der Filmheld Damien ist ein Linker, und hübsch anzusehen ist er noch dazu.


Aber in der zweiten Filmhälfte (leider so spät, dass die Geblendeten es längst nicht mehr sehen) scheitert Damien brutal: In seiner ideologischen Sturheit verrennt er sich in einen Konflikt mit seinem pragmatischeren Bruder. Dass die Auseinandersetzung tragisch endet (und nicht nur für die Brüder), dafür sorgt die Logik des Krieges.

Na gut. Dass ein tragischer Held wegen seiner Gesinnung stirbt, sagt noch nichts schlechtes über die Gesinnung. Meist werden heldenhafte Gesinnungsopfer sogar Märtyrer. Damien aber wird kein Märtyrer. Dass sein Heldenmut sinnlos war, lehrt uns ein Blick in die Geschichte: Der Film spielt im irischen Freiheitskrieg, um 1920. Damals war Sozialismus eine vernünftige Ideologie: Viele hungerten, und der Sozialismus war eine vielversprechende, neue Strategie gegen den Hunger. In den letzten Jahren aber ist die Republik Irland ein blühender EU-Staat geworden. Dazu haben Linke sicherlich ihren Beitrag geleistet, wenn auch ohne selbstmörderisches Heldentum. Es war also nicht Damien’s Sturheit, die das Land weiter gebracht hat. Damien hätte mehr bewirkt, wenn er weiter gelebt hätte und Arzt geblieben wäre.

Nun neige ich selber zum Pragmatismus. Deshalb kann ich die Haltung von Damien’s Bruder Teddy besser nachvollziehen. Aber auch aus ihm macht der Krieg ein Monster. Pragmatismus ist also auch keine Lösung. Na gut, denke ich: Nicht die Gesinnungen in diesem Film sind schlecht. Der Krieg ist schlecht. Nur: Wären die Iren die Engländer anders losgeworden als mit einem Krieg? Wohl kaum.

Ich bleibe also ratlos.

Aber wenn man so lange über einen Film nachdenken kann wie ich bereits über «The Wind That Shakes The Barley» nachdenke, dann kann er nicht schlecht sein.

Also vier Sterne (von fünf)

23
Sep
2006

Abidjan

Die abgewiesenen Flüchtlingsfamilien von Frösch verbringen ihre Zeit in einer Unterkunft neben der Kehrichtverbrennung. Bevor sie ausreisen, natürlich. Sie bekommen Nothilfe, 5 Franken im Tag.

Naja, sagt der Tiger, das ist immer noch besser, als neben den Kehrichthaufen von Abidjan zu leben und gar nichts zu bekommen, oder?

9
Sep
2006

Blut spenden

Eben habe ich beim Aufräumen meinen Blutspendender-Ausweis gefunden. 0 Rh neg. C-D-E steht da drauf. Ich weiss noch, wie sich der junge Mediziner überschlug, der mir meine Blutgruppe erklärte. Ich solle möglichst oft Blut spenden, wurde er nicht müde mir zu raten. Meine Blutgruppe sei besonderes selten und besonders wertvoll. Weil man mein Blut jedem geben könne.

Ehrlich gesagt: Ich habe 1989 zum letzten Mal Blut gespendet. Damals war ich 24 und wir hatten einen HIV-positiven Mitbewohner in meiner WG. Wenn der Hühnchenknochen für seinen Hund zurechtschnitt, dann schnitt er sich auch mal in den Finger. Mir wurde fast schlecht vor Angst, ich könnte mich oder jemand anderen mit meiner Blutspende angesteckt haben, als ich damals mein Blut ins Tütchen fliessen sah.

Natürlich war ich bloss ein bisschen hysterisch.

Aber ich bin später nie mehr Blut spenden gegangen.

Jetzt habe ich auch eine gute Entschuldigung: Wer zwischen 1985 und 1986 während mehr als zwei Monaten in England war, sollte nicht Blut spenden gehen, hat das Bundesamt für Gesundheit einmal erklärt. Wegen des Rinderwahns. Ich war vom August 1985 bis zum Juli 1986 die ganze Zeit in England.

Ich bin richtig froh um diese Ausrede.

7
Sep
2005

Herz gebrochen

Ehrlich gesagt: Ich habe dem Herrn T. gegenüber schon einmal behauptet, dass der Wirbelsturm Katrina ein gewisses ästhetisches Empfinden bewies, als er Biloxi zerstörte. Biloxi ist die zweithässlichste Stadt, die ich je gesehen habe. Nichts als Casinos und Parkhäuser und vierspurige Strandstrassen und eine total misslungene Stadtplanung.

Auf dem Rückweg von Biloxi nach New Orleans fuhren wir durch einen Ort namens Bay St. Louis. Ein hübsches Dorf mit einem malerischen Dorfkern direkt am Meer. Wunderbare «Eggs Benedict» gab es in einem der Restaurants dort. «Hier hättem wir Ferien machen sollen, und nicht in Biloxi!» klagte ich zu Herrn T.

Neulich habe ich Bilder von Bay St. Louis im Fernsehen gesehen. Der hübsche Dorfkern: ein Trümmerhaufen! Die Einsebahnbrücke von Amtrack: ein Trümmerhaufen!

Katrina hat doch keinen Geschmack!

Ich meine, die Zerstörung von Biloxi ist furchtbar. Die von New Orleans ist noch viel furchtbarer. Aber Bay St. Louis hat mir fast das Herz gebrochen.

Katrina stiehlt mir das Ferienparadies in meinem Kopf.

Ich protestiere gegen Katrina und gegen alle unfähigen amerikanischen Behörden und ich weiss: gestohlene Ferienparadiese sind eine Kleinigkeit.

Aber trotzdem: Es ist furchtbar.
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