27
Nov
2013

Jubel im traurigen Café

Alles hier ist in langen Jahren ins gleiche, undefinierbare Gelblich herübergewelkt: die Wände, die Vorhänge, die Gäste. Es ist ein himmeltrauriges Café. Fast unsichtbar steht es im Verkehrsgebrüll einer Ausfallstrasse. Ich bin überhaupt nur hier, weil ich in der Nähe einen Termin habe und viel zu früh dran war.

Ich bin in eine untergehende Welt geraten. Zwei alte Männer blättern stoisch in der Zeitung. Es ist früher Nachmittag. Der Wirt - selber steinalt - bringt im Zeitlupentempo zwei Teller mit Speck und Bohnen - für sich und seine Frau, die im Lokal serviert. Er hat ein Zwänzgabachtimuul*.

Plötzlich fragt der eine Rentner den Wirt über zwei Tische hinweg: "Hesch de Match gseh?"** "Jojo", sagt der Wirt, "aber die hend jo schlächt gschpelt, die andere, die hättid doch das vel besser chönne!"*** Seine Mundwinkel sinken noch tiefer, so viel Verachtung in einem einzigen Gesicht! Sie zielt wohl auf Chelsea, das gestern Abend an der Champion's League vom FC Basel abgetrocknet wurde. Eine Sensation! Bilder vom jubelnden Basler Torschützen Salah zieren heute sämtliche Frontseiten im Land.


(Quelle: tageswoche.ch)

Der Gast lässt sich nicht beirren. "Momoll", sagt er, "die hend scho guet gschpelt, mer hed das gfalle!"****

Unerwartet mischt sich auch der andere Gast ein, ein neunzigjähriger Geist mit blauen Ringen unter den Augen und einem zeitlosen Buchhalter-Anzug: "Das hat es noch nie gegeben!" ruft er aus, "Auf der linken Flanke war jeder einzelne in Topform, von vorne bis hinten. Das wird es lange, lange nicht mehr geben!"

Nun kommt Begeisterung auf, der gelbliche Raum leuchtet, phosphoresziert gewissermassen. Die Mundwinkel des Wirtes stehen bald auf fünf vor halb sieben, aber er kann nichts gegen die plötzliche Lebendigkeit in seinem Lokal tun. Sie dauert wenige Minuten.

Dann geht der erste Gast. "Emmer vorewäg nä!", sagt der Wirt zum Abschied. "Jojo, nämmers wies chond"*****, sagt der Gast. Es ist der Rentnergruss in unserer Stadt.


*Luzerndeutsch für eine mürrische Miene: Die Mundwinkel sehen aus wie Uhrzeiger, die auf zwanzig nach acht stehen.
** "Hast Du den Match gesehen?"
*** "Die haben doch schlecht gespielt. Die hätten das doch viel besser gekonnt."
**** "Die waren schon in Ordnung. Mir hat das gefallen."
**** Zwei Versionen von: "Wir werden schön eins ums andere tun."
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Journal einer Kussbereiten

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